Kastanienbaum: Forscher spüren Tiefseesaibling auf

Verschwundener Fisch im Vierwaldstättersee aufgetaucht

Der Tiefseesaibling (hier ein Exemplar aus dem Bodensee) vor der Rigi. Zur Vierwaldstättersee-Variante: siehe Bild unten.

(Bild: Aura/Eawag, Montage zentralplus)

Lange wurde er vermisst, 1950 wurde er letztmals im Vierwaldstättersee registriert: der Tiefseesaibling. Jetzt haben ihn Forscher der ETH im Urnersee aufgespürt. Ihre Untersuchung förderte noch mehr Erstaunliches zutage.

Fischer prägen unser Bild vom Leben im Vierwaldstättersee. Sie fangen zu fast 80 Prozent Felchen – auch wenn sie ebenso gern Eglis, Hechte, Saiblinge oder Rotaugen aus den Netzen klauben oder vom Haken nehmen. 

Was sie eher nicht aus dem Wasser ziehen, ist ein Tiefseesaibling. Denn diese Art wurde 2008 von der Weltnaturschutzunion für ausgestorben erklärt. Und kam überhaupt nur im Bodensee (in einer Tiefe von 80 Metern) vor – sagt die wissenschaftliche Literatur. Trotzdem haben Forscher des ETH-Wasserforschungsinstituts Eawag in Kastanienbaum die Tiefseesaiblinge nun im Vierwaldstättersee gefunden – und zwar im fjordartigen tiefen obersten Teil, dem Urnersee. Jedenfalls steht im neusten Magazin der Aufsichtskommission Vierwaldstättersee (siehe Box): «Besonders erfreulich ist die Wiederentdeckung des historisch beschriebenen Tiefseesaiblings».

Grosse Vielfalt an Saiblingen

Timothy Alexander von der Abteilung Fischökologie und Evolution am Eawag erklärt: «Taxonomisch beschrieben wurden vom Tiefseesaibling in der Schweiz zwei Arten – eine aus dem Neuenburgersee und eine aus dem Bodensee.» Beide hätten als ausgestorben gegolten. Aber auch Thunersee und Vierwaldstättersee hätten tief lebende Saiblings-Typen, die noch nicht als eigene Spezies benannt wurden.

«Wir wissen nicht, ob es eine eigene Art ist.»

Tim Alexander, Eawag, Kastanienbaum

Derzeit betrachte man den Tiefseesaibling aus der Zentralschweiz noch als speziellen Typus des normalen Seesaiblings. Da er aber dem Erscheinungsbild des Vetters aus dem Bodensee gleiche, sei man daran, ihn genauer zu untersuchen. «Wir wissen nicht, ob es nicht doch eine eigene Art ist», sagt Alexander. «Genetische Abklärungen sind derzeit im Gange.»  Beurteilt würde zudem das Aussehen und das Verhalten, um zu entscheiden, ob der Vierwalsstättersee-Tiefsesaibling unterschiedlich genug sei, um eine eigene Spezies darzustellen.

Und hier ist er nun: der tief leebende Saibling des Vierwaldstättersees, gefangen im Urnersee.

Und hier ist er nun: der tief lebende Saibling des Vierwaldstättersees, gefangen im Urnersee.

(Bild: Eawag)

Für alle Nicht-Fischer: Der Saibling gehört zur Familie der Lachs- oder Forellenfische und ist ein wenig kleiner als Forellen.

Vor 70 Jahren gesichtet

Überhaupt fanden die Forscher aus Kastanienbaum im Vierwaldstättersee «eine beeindruckende Vielfalt» von Saiblingsformen. Gemäss Alexander gibt es Saiblinge, die sich darauf ausgerichtet haben am Boden zu leben, und solche, deren Verhaltensweisen ans freie Wasser angepasst sei. Bereits 1950 sei zudem von Paul Steinmann neben dem normalen Seesaibling eine Zwergform im Vierwaldstättersee beschrieben worden.

Derselbe Wissenschaftler hatte auch eine tief lebende Form des Saiblings im Vierwaldstättersee gefunden, die seither nicht mehr festgestellt wurde. «Das heisst nicht, dass sie ausgestorben war», sagt Tim Alexander. Fischer hätten ihnen erzählt, dass sie ab und zu wie Tiefseesaiblinge aussehende Individuen aus dem Wasser zögen, die dann in den Fangstatistiken als normale Seesaiblinge aufgeführt werden. Aus der wissenschaftlichen Diskussion aber war der Fisch für fast 70 Jahre verschwunden – bis er nun von den ETH-Forschern wiederentdeckt wurde.

2’500 Fische gefangen

Das Eawag untersucht im Rahmen des «Projet Lac» die Fischfauna verschiedener Seen mit einer standardisierten Methode. Denn Berufs- und Hobbyfischer konzentrieren sich auf bestimmte Arten und Grössen. Ihre Fänge zeigen nicht die tatsächliche Zusammensetzung der Fischgemeinschaft.

Links: Fänge der Berufsfischer im Vierwaldstättersee 2010 - 2013, Rechts: Fischbestand laut «Projet Lac». Bemerkung: Cypriniden sind Karpfenartige (Rotaugen, Brachsmen etc.).

Links: Fänge der Berufsfischer im Vierwaldstättersee 2010 – 2013, Rechts: Fischbestand laut «Projet Lac». Bemerkung: Cypriniden sind Karpfenartige (Rotaugen, Brachsmen etc.).

(Bild: Eawag)

Diese Wissenslücke wollen die Forscher aus Kastanienbaum schliessen. Und zwar mit Echolot, verschiedenen Netztypen und gezielten Befischungen vom Ufer ­aus. Sie zählen Populationen aus und vergleichen sie. Und stossen dabei immer wieder auf Erstaunliches: Den im Bodensee offiziell ausgestorbenen Tiefseesaibling entdeckten sie in den vergangenen Jahren schon mal neu. Im Vierwaldstättersee fingen die Forscher für ihre Arbeit fast 2’500 Fische von 21 Arten und rechneten die Resultate auf den ganzen See hoch.

Flachwasserbereiche sollten renaturiert werden

Weitere Erkenntnisse der ETH-Forscher: Aufgrund der guten Sauerstoffverhältnisse im Vierwaldstättersee ist die gesamte Seetiefe besiedelt. Aber die höchste Fischdichte gibt’s in einer Tiefe zwischen null und zehn Metern. Interessant ist die Fangverteilung im tiefen Wasser: Zum Zeitpunkt der Befischung im Sommer waren die Bestände von Egli, die oben schwimmen, Felchen (Mitte) und Seesaibling (tief) deutlich voneinander getrennt.

Einheimische und Einwanderer

Das neuste AKV-Magazin beschäftigt sich mit der Eawag-Untersuchung des Fischbestands im Vierwaldstättersee im Rahmen des «Projet Lac» und warnt vor dem Einschleppen aggressiver standortfremder Arten. Allerdings bleibt es die Antwort schuldig, welche Arten sich nun im Vierwaldstättersee breit gemacht haben. Weiter wird die Frage erörtert, ob der See zu sauber ist, und die Munitionsvernichtung im See thematisiert. Das Magazin wird in allen Gemeinden mit Seeanstoss verteilt und lässt sich auf der Homepage der Aufsichtskommission Vierwaldstättersee (AKV) herunterladen. Die AKV ist ein Gremium der Anrainerkantone, das sich gemeinsam um den Gewässerschutz am Vierwaldstättersee kümmert.

Für eine vielfältige Fischfauna sind gut strukturierte Lebensräume am Ufer wichtig. Im «Projet Lac» wird deshalb auch der ökologische Zustand der Uferzonen beurteilt. Für den Vierwaldstättersee fanden die Forscher, dass nur etwa 41 Prozent der Seeuferlinie einen naturnahen Zustand aufweisen. 59 Prozent sind mehr oder weniger stark verbaut – speziell im Flachwasserbereich und bei Zuflüssen. «Der Handlungsbedarf für ökologische Aufwertungen ist hoch», wird daraus gefolgert.

Felchen eher untervertreten

Der Vierwaldstättersee gilt als Beispiel für einen nährstoffarmen See, der von Anfang der 1950er- bis Mitte der 1990er-Jahre eine Phase mit stärkerer Nährstoffbelastung durchlief. Heute entspricht der Fischbestand des Sees wieder dem eines nährstoffarmen Sees. Allerdings sind die Felchen (Anteil 54 Prozent) im Vergleich mit anderen nährstoffarmen Seen, die nie eine Phase mit höheren Nährstoffkonzentrationen durchmachten, eher untervertreten, dafür kommt der Seesaibling (33 Prozent) sehr zahlreich vor.

Der Vierwaldstättersee liegt bezüglich Fischbestand also zwischen einem typischen Felchensee, wie etwa dem Thuner- und Brienzersee, und einem typischen Seesaiblingsee wie dem Lago di Poschiavo.

So sieht ein Labor im Eawag aus.

So sieht ein Labor im Eawag aus.

(Bild: les)

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