Pflicht-Gutachten steht zur Diskussion

Zug sträubt sich gegen neue Tempo-30-Ideen des Bundes

Auf den Strassen rund um den Zuger Kolinplatz herrscht seit rund einem halben Jahr Tempo 30. Die Einführung weiterer Tempo-30-Zonen will der Kanton hingegen nicht vereinfachen. (Bild: Andreas Busslinger)

Der Bund will die Einführung neuer Tempo-30-Zonen im Siedlungsgebiet vereinfachen. In Zug lösen die Vorschläge aus Bern keine Welle der Begeisterung aus – ganz im Gegenteil.

Der Kanton Zug ist wahrlich nicht als Oase des langsamen Verkehrs bekannt. Auch wenn die Tempo-30-Welle nach und nach auch an den Zugersee schwappt, so bleibt der Kanton in seiner Haltung gegenüber Temporeduktionen insgesamt kritisch. Das zeigt sich aktuell in der Vernehmlassung zur vereinfachten Einführung von Tempo-30-Zonen.

Anders als der Kanton Zug zeigte sich der Bundesrat zuletzt nämlich sehr offen gegenüber einem unkomplizierten Verfahren für neue Tempo-30-Zonen. So hat er im vergangenen November einen entsprechenden Vorschlag in die Vernehmlassung geschickt (zentralplus berichtete).

Es braucht keine Gutachten mehr

Zukünftig sollen Behörden kein Gutachten mehr erstellen müssen, wenn sie eine neue Tempo-30-Zone in siedlungsorientierten Strassen (vorwiegend Quartierstrassen) realisieren wollen. Stand heute können diese Zonen nur angeordnet werden, wenn sie dazu beitragen, den Verkehr sicherer, flüssiger oder weniger umweltbelastend zu gestalten. Dies müssen die zuständigen Ämter mittels Gutachten belegen.

Der Bund attestiert zusätzlichen Tempo-30-Zonen nebst der aufgeführten Vorteile auch eine grundsätzliche Verbesserung der Lebensqualität. Er verweist zudem auf die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU), die belegt hat, dass Tempo 30 die Unfallgefahr deutlich reduziert. So haben Erhebungen der BFU gezeigt, dass die Zahl der schweren Unfälle dank einer Temporeduktion von 50 auf 30 Stundenkilometer um mindestens ein Drittel sinkt.

«Diese Gutachten sind für uns sehr wichtig, damit mögliche Schwachstellen aufgezeigt und bauliche Massnahmen geplant werden können.»

Beat Villiger, Sicherheitsdirektor Kanton Zug

Darum befürwortet der Bund, dass neue Tempo-30-Zonen nicht durch ein spezifisches Gutachten, sondern bloss über eine Abwägung der Verhältnismässigkeit zu beurteilen sind. Das soll es den Behörden vereinfachen, neue 30er-Zonen auf Quartierstrassen zu realisieren.

Kanton Zug ist skeptisch

Unkomplizierte Verfahren für die Tiefbauämter? Sollte doch eigentlich Musik in den Ohren der Behörden sein. Die Zuger Sicherheitsdirektion sieht das hingegen anders. Sie hat sich im Rahmen der Vernehmlassung klar gegen die Vorschläge des Bundesrats geäussert.

Sie sieht im Gutachten den Vorteil, dass die zuständigen Behörden verkehrsberuhigende Massnahmen bereits frühzeitig prüfen können. Solche Massnahmen seien nötig, damit die Autofahrerinnen die Tempo-30-Zone erkennen und einhalten.

Der Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger (Mitte) stellt auf Anfrage klar: «Wir sind nicht gegen die Einführung von Tempo-30-Zonen in Quartieren. Aber diese Gutachten sind für uns sehr wichtig, damit mögliche Schwachstellen aufgezeigt und allenfalls bauliche Massnahmen geplant werden können.»

Zug fürchtet den Zorn der Bevölkerung

Ohne Gutachten sei es kaum möglich festzustellen, wo solche Massnahmen notwendig sind, heisst es in der Stellungnahme aus Zug. Zwar liessen sich solche Massnahmen bei Bedarf auch erst im Nachhinein umsetzen. Doch Zug befürchtet, dass die Behörden damit den Zorn der Bevölkerung auf sich lenken. Nachträgliche Massnahmen würden auf grosses Unverständnis bei den betroffenen Autofahrern stossen, so die Sicherheitsdirektion.

«Erfahrungsgemäss können neue 30er-Zonen bei der betroffenen Bevölkerung Emotionen auslösen.»

Beat Villiger, Sicherheitsdirektor Kanton Zug

Beat Villiger begründet: «Erfahrungsgemäss können neue 30er-Zonen bei der betroffenen Bevölkerung und den Fahrzeuglenkenden Emotionen auslösen.» Neue Tempo-30-Zonen sollten deshalb auf Anhieb funktionieren, ohne dass Nachbesserungen nötig seien. Solche wären in der Bevölkerung sonst ein «Ärgernis», so Villiger.

Die Zuger Sicherheitsdirektion geht sogar so weit, das Gutachten als «unverzichtbar» zu bezeichnen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Behörden dank des Gutachtens auch die Auswirkungen einer neuen Tempo-30-Zone auf den öffentlichen Verkehr abschätzen könnten.

Luzern sieht es anders

Anders als der Kanton Zug sieht es Luzern. Auch hier hat sich die Regierung im Rahmen der Vernehmlassung zu den Vorschlägen geäussert und «begrüsst» die Absichten des Bundes, wie es in der Stellungnahme heisst. «Wir erwarten, dass mit dieser Anpassung nicht bloss der Verwaltungsaufwand reduziert werden kann, sondern die erleichterte Einführung auch dem Lärmschutz zugute kommt», so die Argumentation des Kantons Luzern.

Gleichzeitig äussert der Kanton Luzern Bedenken, dass neue Tempo-30-Zonen Rettungsdienste und den öffentlichen Verkehr einschränken könnten. In diesen Fällen seien Ausnahmeregelungen zu prüfen.

Was sind siedlungsorientierte Strassen?

Gemäss dem Schweizerischen Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS) sind siedlungsorientierte Strassen nicht ausschliesslich auf die Bedürfnisse des motorisierten Verkehrs ausgerichtet. Diese Strassen, vorwiegend in den Quartieren, sollen auch ein Begegnungsraum sein.

Verkehrsorientierte Strassen hingegen sind Strassen, die primär auf motorisierte Fahrzeuge ausgerichtet sind. Auf Anfrage will das Zuger Tiefbauamt keine konkreten Beispiele dafür nennen. Da die Stadt Zug, wie alle anderen Zuger Gemeinden, derzeit ihre Ortsplanung revidiert, sei der Zeitpunkt für konkrete Beispiele ungeeignet.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von transit
    transit, 01.03.2022, 09:41 Uhr

    Seit auf der Neugasse Tempo 30 ist ist wohl noch niemandem aufgefallen dass der Verkehr flüssiger läuft, im Gegenteil. Tempo 30 in Wohnquartieren ja, aber nicht auf Kantons- und Hauptstrassen. Durch Tempo 30 gibts keine Verbesserungen dort wo der Verkehr laufen muss – vorallem bringts der Luftqualität rein gar nichts.

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  • Profilfoto von Laura Löbl
    Laura Löbl, 28.02.2022, 17:47 Uhr

    Rechte Zuger sind für Glencore, North Stream2 und gegen 30 auf der Strasse. Weil der Treuhänder keine Zeit verlieren will, zur russischen Bank zu fahren. Deshalb 50 oder lieber mehr, weil sonst der Profit auf Kosten der anderen die anderen machen. Zuger Logik!

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