Bund will Staus verhindern

Wo auf Luzerns Autobahnen bald Tempo 60 gelten könnte

Die untersuchten Massnahmen gegen das Stauproblem spalten die Meinungen: Für Alexander Stadelmann (links im Bild) vom TCS sind sie nutzlos, für Michael Töngi vom VCS durchaus prüfenswert. (Bild: lob/zvg)

Autofahrerinnen haben im letzten Jahr rund 32’500 Stunden im Stau verbracht. Das ist zu viel, findet der Bund. Derzeit prüft er Tempo 60 auf Autobahnen, um das Problem zu lösen. Wo in Luzern? Wir sagen es dir.

Wer um 7 Uhr morgens mit dem Auto zur Arbeit fährt, wird sich bereits an die langen Kolonnen rund um die Stadt gewöhnt haben. Die 15 Minuten in der Blechlawine sind fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie das Bundesamt für Statistik mitteilt, haben Schweizer Autofahrer im letzten Jahr rund 32'500 Stunden im Stau verbracht. Das ist zu viel, findet das Bundesamt für Strassen (Astra).

Stau verursacht Kosten von 2 Milliarden Franken jährlich

Die verbrachte Zeit im Stau geht nämlich nicht nur auf die Nerven, sondern auch ans Portemonnaie. Wie das Bundesamt für Raumentwicklung im «Tages-Anzeiger» vorrechnet, kosten Staus zusammen mit den verursachten Umwelt-, Klima-, Energie- und Umweltkosten weit über zwei Milliarden Franken jährlich. Um den Verkehr künftig flüssiger zu machen, untersucht das Astra verschiedene Massnahmen.

Beispielsweise, ob Lastwagen künftig zu den Stosszeiten nicht mehr auf der linken Spur fahren dürfen. Oder deren Nachtfahrverbot gekürzt oder gar zeitlich verschoben werden. Auch die Schliessung von einzelnen Autobahnspuren und -einfahrten steht im Raum.

Temporär Tempo 60 bei drohendem Stau

Weitaus umstrittener ist aber eine andere Massnahme, die das Astra prüft. Nämlich die temporäre Verringerung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf Tempo 60. Die Idee: Sobald der Verkehr stark zunimmt und zu stocken beginnt, soll die erlaubte Geschwindigkeit gedrosselt werden.

Möglich machen sollen das sogenannte «Systeme zur Geschwindigkeitsharmonisierung und Gefahrenwarnung» (GHGW). Hinter dem etwas umständlichen Namen stehen die digitalen Anzeigetafeln über der Autobahn. Diese werden bereits heute eingesetzt, um beispielsweise vor Baustellen oder Glatteis zu warnen.

«Das führt zu unnötigem und sinnlosem Mehrverkehr in Dörfern, Zentren und Städten. Das will niemand.»

Alexander Stadelmann, Geschäftsführer TCS Sektion Waldstätte

Gemäss Astra-Mediensprecher Thomas Rohrbach stehen solche Anlagen bereits auf rund 400 Kilometern Autobahn. Bis 2026 sollen rund 1'500 Kilometer aufgerüstet sein. «Das ist eine sehr teure Investition», sagt Rohrbach auf Anfrage. «Wir wollen deshalb aus dieser Massnahme möglichst viel herausholen.»

TCS: «Das ist weder durchdacht noch klug»

Der Geschäftsführer des Touring Clubs Schweiz Sektion Waldstätte (TCS) ist von der Tempo-60-Massnahme alles andere als begeistert: «Das ist weder durchdacht noch klug.» Er ist überzeugt, dass das Stau-Problem damit nicht gelöst wird.

Im Gegenteil: Die Massnahme verursache gar noch mehr Probleme: «Wenn man das Tempo auf 60 hinuntersetzt, verlängert sich dadurch die Reisezeit. So wird das Ausweichen auf Hauptstrassen und Gemeindestrassen attraktiv. Das führt zu unnötigem und sinnlosem Mehrverkehr in Dörfern, Zentren und Städten. Das will niemand.»

«Autofahrerinnen müssten ja eigentlich froh sein, dass der Verkehr potenziell flüssiger wird.»

Michael Töngi, Präsident des VCS Luzern

Um die Stauproblematik zu lösen, solle das Astra vielmehr auf die geplanten Grossprojekte in Luzern setzen. Mit dem Durchgangsbahnhof könne der Autoverkehr auf den öffentlichen Verkehr umgelagert werden (zentralplus berichtete). Und mit dem Zwillingsprojekt Bypass würde sich der restliche Verkehr besser verteilen (zentralplus berichtete). Einen weiteren Ansatzpunkt sieht Stadelmann bei grossen Paketverteilzentren: «Statt dass viermal am Tag die Post, DHL und weitere Post-Unternehmen Pakete in die Stadt liefern, würden sich Lieferungen wieder mehr konzentrieren.» Oder bei sogenannten Mobilitäts-Drehscheiben, wo Autofahrer auf verschiedene andere Transportmöglichkeiten umsteigen können.

Michael Töngi vom VCS versteht Aufregung nicht

Diametral entgegengesetzt sieht es jedoch der Präsident des Verkehrs-Clubs Luzern (VCS) Michael Töngi: «Ich verstehe überhaupt nicht, wieso das Thema so hochgekocht ist.» Gemäss jetzigem Stand handle es sich um eine rein technische Untersuchung, ob der Verkehr durch tiefere Geschwindigkeit flüssiger werde. «Autofahrerinnen müssten ja eigentlich froh sein, dass der Verkehr potenziell flüssiger wird. Das ist keine Autoverhinderungs-Aktion.» Ob und wie solche Massnahmen wirken, müsse man halt zuerst ausprobieren.

Auch Astra-Mediensprecher Rohrbach versteht die Aufregung nicht. Überrascht ist er jedoch nicht. «Was wichtig ist zu betonen: Wir untersuchen die Massnahme erst.» Mit Computer-Modellen werden die Massnahmen auf verschiedenen Strecken zumindest theoretisch auf ihre Wirksamkeit getestet. Erst wenn der Nutzen gross genug sei, dass er den Aufwand und die Kosten rechtfertige, würde allenfalls ein Pilotprojekt gestartet.

Bund ist überzeugt, dass tiefere Geschwindigkeit nützt

Jedoch zeigt sich Rohrbach beziehungsweise das Astra davon überzeugt, dass tiefere Geschwindigkeit für flüssigeren Verkehr sorgt. Als Beispiel nennt er die Autobahn A14 auf dem Abschnitt zwischen der Verzweigung Rütihof und Rotsee. Seit 2018 ist dort eine GHGW-Anlage installiert. Zu Spitzenzeiten dürfen die Autofahrer dort nur noch mit 80 Kilometern pro Stunde über die Autobahn fahren.

«Zwar hat es da immer noch viel Stau», räumt auch Rohrbach ein. Jedoch deutlich weniger als vorher: So gebe es 60 Prozent weniger Stau und 25 Prozent weniger stockenden Verkehr. Das Astra könne sich ähnliche Anlagen auch auf der Autobahn A2 vorstellen, beispielsweise in der Region Sursee. Denn die A2 ist absolute Rekordhalterin, wenn es um Blechlawinen geht: Rund ein Drittel aller Staustunden verbringen Autofahrer auf dieser Strecke. Aber nicht nur: «Das Astra könnte sich solche Anlagen in jeder grösseren Agglomeration vorstellen.»

Ob diese Anlagen dann auf 80 oder auf 60 Kilometer pro Stunde drosseln, wird sich noch zeigen. Die Ergebnisse der Modellversuche werden im Laufe des nächsten Jahres erwartet. Und bis dahin wird der zentralplus-Staumelder noch vor so mancher Blechlawine warnen.

Verwendete Quellen
  • Artikel «Tages-Anzeiger» (hinter Paywall)
  • Zahlen des Bundesamts für Statistik zu Staus 2021
  • Schriftlicher Austausch und Telefonat mit Thomas Rohrbach, Mediensprecher Bundesamt für Strassen (Astra)
  • Telefonat mit Michael Töngi, Präsident VCS Luzern und Grüne-Nationalrat
  • Medienmitteilung des Bundesamts für Strassen Astra (2018)
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14 Kommentare
  • Profilfoto von S. B.
    S. B., 14.07.2022, 20:37 Uhr

    Dort wohnen wo man arbeitet wäre auch ein Ansatz!

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  • Profilfoto von Heinz Hanselkranzmeier Dipl. Ing.
    Heinz Hanselkranzmeier Dipl. Ing., 14.07.2022, 16:51 Uhr

    Wieso gibt es Stau? Weil zu Viele mit dem Auto fahren.

    Die Lösung? Mobility pricing, damit weniger sinnlose Autofahrten erzeugt werden.

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  • Profilfoto von Alois Iten
    Alois Iten, 14.07.2022, 14:54 Uhr

    Ich würde diese Statistik des Astra gerne im Detail sehen. Ist diese irgendwo verfügbar?
    Die Aussage, dass seit Installation der GHGW-Anlage 2018 der Stau um 60% zurückgegangen sei, kann ich nämlich überhaupt nicht nachvollziehen. Im Gegenteil. Früher war er von Buchrain bis Rathausen-Tunnel, ausserhalb der Ferienzeit stehen die Pendler jetzt häufig bis Gisikon oder gar Rotkreuz. Vermutlich hat das Astra einfach während des Lockdowns gezählt…

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  • Profilfoto von simon.occur
    simon.occur, 14.07.2022, 14:08 Uhr

    60 Km/h auf Autobahnen ist eine müssige Diskussion. Wieso gibt es Stau? Weil die Kapazitäten fehlen! Mit der zukünftigen Elektrifizierung und Automatisierung des Strassenverkehrs schwindet das Klima-Argument gegenüber der Bahn auf null. Somit ist ein Ausbau der Kapazitäten legitim. Bleibt noch das Dichte-Argument: Will man eine 10-Millionen-CH (ich nicht!) muss man die nötigen Kapazitäten schaffen oder den Wohlstand (themabezogen Platz, Mobilität, Entscheidungs- und Wahlfreiheit) drastisch reduzieren. 60-30-0 : Willkommen in der töng-en-i-alen Zukunft…!

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    • Profilfoto von Verkehrsplaner
      Verkehrsplaner, 14.07.2022, 17:06 Uhr

      Das ist wissenschaftlich absoluter Humbug.
      1. Energie muss umgewandelt/ gewonnen werden. Das Klimaargument sinkt nur schon vom Verbrauch her nicht auf null. Von den Aufwänden für die Herstellung der Autos, Strassen, Verschleissmaterial etc. mal ganz abgesehen.
      Es wird reduziert, mehr nicht. Die Bahn ist nach wie vor effizienter, da mehr Leute auf gleicher Fläche bei gleichzeitig weniger Reibungswiderstand transportiert werden.
      2. Mehr Angebot produziert mehr Nachfrage. Siehe neue Autobahn nach Zürich, siehe eigentlich alle Strassen. Ein pauschaler Ausbau macht also keinen Sinn, da sich das Problem temporär verlagert, bis der Stau wieder da ist aufgrund Mehrverkehr.

      Wenn, dann muss z.B. der Pendlerabzug zugunsten leicht tieferer Steuern gänzlich gestrichen werden, Home Office flächendeckend und gleitende Arbeitszeiten gefördert werden. Oder eben in der Rush Hour das Tempo reduziert. Man kann sowieso nicht schneller fahren im Stau. Der Verkehrsfluss nimmt aber zu. Damit holt man einiges mehr raus, als weiter und weiter Land zu verbauen.

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      • Profilfoto von Philipp
        Philipp, 14.07.2022, 17:36 Uhr

        Der Verkehr nimmt nicht zu nur weil wir mehr Verkehrsfläche zur Verfügung stellen. Der Verkehr nimmt zu weil die Bevölkerung wächst. Alleine 2021 sind 50’000 Personen mehr eingewandert als ausgewandert. Unser Strassennetz ist aber nicht für diese grosse Anzahl an Bewohner ausgerichtet sondern für eine Bevölkerungszahl die wir vor einem Jahrzehnt oder gar länger schon überschritten haben.

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  • Profilfoto von John
    John, 14.07.2022, 12:20 Uhr

    Herr Tönggi wähle ich 2023 sicher nicht mehr

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    • Profilfoto von Kommentarschreiber
      Kommentarschreiber, 15.07.2022, 07:30 Uhr

      @John
      Können Sie uns noch verraten, wen Sie anstelle von Herrn Töngi wählen? Oder gehören Sie zu denjenigen, die zwar motzen und jammern aber ihre demokratischen Rechte nicht wahrnehmen?

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  • Profilfoto von Sandro
    Sandro, 14.07.2022, 11:32 Uhr

    Das alles ist Humbug. Wenn z.bsp bis Rütihof alle mit 120 km/h fahren und dann plötzlich 60 km/h herrscht, kann die Autobahn logischerweise ab diesem Punkt nur noch die Hälfte der Fahrzeuge schlucken. Dafür braucht man keine Studien zu erstellen. Eine drastische Temporeduktion hat daher keinen Nutzen sondern der Stau verlagert sich einfach.
    Einen flüssigen Verkehr und einen hohen Durchsatz erreicht man durch möglichst wenige Tempoänderungen. Und desto schneller man fährt, um so mehr Fahrzeuge können die Autobahn nutzen. Dafür braucht man keine Computersimultationen. Das ist simple Logik.
    Daher währe es am Besten auf sämtlichen Strecken generell 120 km/h ein zu führen. Einzige Ausnahme wären natürlich Baustellen.

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    • Profilfoto von Manuel
      Manuel, 14.07.2022, 16:49 Uhr

      Das ist schlicht falsch. Bei 60 km/h verkleinern sich auch die Abstände der Autos, wodurch mehr Autos auf demselben Abschnitt fahren können.
      Ausserdem gibt es an den Anschlüssen und Knoten weniger Bremsmanöver und der Handorgeleffekt tritt seltener ein. Alles wissenschaftlich stich- und hiebfest bewiesen.
      Die Autofahrer wollen es einfach nicht wahrhaben.
      Im Endeffekt hat man weniger lang für dieselbe Strecke.
      Da man bei Stau eh selten mehr als 60 km/h fahren kann, ist die Massnahme in den Spitzenstunden sinnvoll.

      Da nützt alles subjektive rumjammern nichts.

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      • Profilfoto von Philipp
        Philipp, 14.07.2022, 17:30 Uhr

        Wo uns die Wissenschaft in dieser Hinsicht hingebracht hat sehe ich jeden Tag auf der Strasse. Ich verbringe Berufsbedingt sehr viel Zeit dort und kann in keiner Weise bestätigen was die Wissenschaft oder irgendwelche ASTRA gelehrte uns verplappern. Es geht nur darum die Teilnehmer des Individualverkehrs möglichst zu deprimieren in der Hoffnung dass die Leute dann den ÖV benutzen.

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      • Profilfoto von Kommentarschreiber
        Kommentarschreiber, 15.07.2022, 07:41 Uhr

        @Philipp
        Richtig, ich sehe jeden Tag, wohin uns das ewige Gejammer und Gezeter der Autofetischisten und ihrer damit verbundenen Ignoranz und Leugnung wissenschaftlich fundierter Analysen und Fakten hingebracht hat.

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  • Profilfoto von Reifen Flüsterer
    Reifen Flüsterer, 14.07.2022, 11:06 Uhr

    Die einzige, richtige Lösung wäre, der Verhinderungsclub mit seinem ideologisch geprägten Präsidenten Töngi sowie das Verbandsbeschwerderecht, welches nur der reinen Verzögerung dient, endlich abzuschaffen. Wozu die studierten Theoretiker vom Astra fähig sind, das hat das Fiasko mit der Autobahn-Baustellen-Brücke im Solothurnischen ebenfalls aufgezeigt. Alle entlassen und das frei werdende Geld in die AHV…….. Vier Probleme gelöst!

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  • Profilfoto von Trömpeterli
    Trömpeterli, 14.07.2022, 06:18 Uhr

    Finde ich gut – endlich eine wirksame Lösung gegen Stau, sie einzige Alternative wäre Mobility-pricing einzuführen.

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