«Wir können uns solche Betonprojekte nicht mehr leisten»
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Rund eine Milliarde Franken will der Kanton in die Umfahrung von Zug und Unterägeri investieren. Stellt sich die Frage, ob das in Zeiten der Klimakrise noch zeitgemäss ist. Verkehrs- und Klimaorganisationen äussern sich sehr deutlich.
2015 – das war vor sieben Jahren. Lange her. Greta war vielleicht der Name einer Grosstante. Ölheizungen wurden noch munter durch Ölheizungen ersetzt, Energiemangel war irgendwo, aber sicher nicht bei uns. La dolce vita halt. Vor sieben Jahren: Das war im Privaten vielleicht gestern. Im öffentlichen Bereich hingegen manchmal gefühlt wie vor ein paar Lichtjahren.
Vor sieben Jahren stimmte die Stimmbevölkerung über den Stadttunnel ab. Nach der damaligen Ablehnung bringt der Kanton Zug das Vorhaben nun wieder aufs Tapet – zusammen mit der Umfahrung Unterägeri (zentralplus berichtete). Letzte Woche überwies der Zuger Kantonsrat das Geschäft an die Kommission für Tiefbau und Gewässer. Der politische Prozess nimmt seinen Lauf.
Aber taugen die Rezepte von vorgestern für die Probleme von heute und morgen? Die Frage geht – um den Tunnelblick etwas zu weiten – an Organisationen und Expertinnen, die sich mit Klima- und Verkehrsfragen beschäftigten.
Weder Busspuren noch Velowege im Tunnel
Finn Küttel vom Klimastreik Zug sagt klipp und klar: «In Zeiten der Klima- und Energiekrise noch ein solches Projekt aufzulegen ist absolut absurd.» Es sei mit den grundlegendsten Klimazielen einfach nicht vereinbar, eine Milliarde für ein Projekt zu bezahlen, das bereits während der Bauzeit immense Emissionen verursachen würde.
Auch die Tatsache, dass das Projekt keine Busspuren oder Velowege inkludiere und es möglich mache, dass im Jahre 2040 noch mehr Autos auf den Zuger Strassen fahren würden, sei aus Klimasicht inakzeptabel. «Man kann es biegen wie man will: Verkehrsprobleme wurden noch nie mit zusätzlichen Strassen gelöst, sondern durch die Förderung von effizienten Verkehrsmitteln wie dem ÖV oder dem Fahrrad.»
«Umfahrungen lösen das Verkehrsproblem nicht an der Quelle, sondern generieren insgesamt mehr Verkehr.»
Goran Vejnovic vom VCS Zug
Goran Vejnovic vom VCS Zug sagt: «Wir sind sehr skeptisch gegenüber diesen Plänen. Umfahrungen lösen das Verkehrsproblem nicht an der Quelle, sondern generieren insgesamt mehr Verkehr.» Eine heutige Diskussion müsste viel breiter sein als vor sieben Jahren. «Die Klimafrage war damals leider zu wenig im Fokus, genauso wie die Nachhaltigkeit unseres Energiekonsums. Umfahrungen passen zur alten, engen Denkweise.»
Ein sehr grosser Teil des Verkehrs in der Stadt Zug sei noch immer Ziel-/Quellverkehr. «Deshalb ist der Nutzen einer Umfahrung in diesem Fall sowieso fraglich.» Eine Reduktion des Verkehrs könnte nach Ansicht von Goran Vejnovic auch Vorteile sozialer und gesundheitlicher Art mit sich bringen: «Es ist ja allen klar, dass wir uns viel zu wenig körperlich bewegen.»
Erinnerung an die «autogerechte Stadt» der 1970er-Jahre
Silas Hobi vom Verein Umverkehr.ch geht davon aus, dass sich der öffentliche Diskurs seit 2015 wohl eher noch zusätzlich in Richtung Ablehnung eines solchen Projekts verschoben hat: «Man kann auf jeden Fall festhalten, dass in den letzten sieben Jahren ein sehr starkes Umdenken stattgefunden hat und die Dringlichkeit für Klimaschutzmassnahmen stark gestiegen ist.»
«Solche Betonprojekte müssen auf jeden Fall sehr gut hinterfragt werden.»
Silas Hobi vom Verein Umverkehr.ch
Solche Strassenbauprojekte würden an die «autogerechte Stadt» der 1970er-Jahre erinnern. «Sie haben mit moderner Verkehrspolitik nichts zu tun. Entgegen der landläufigen Meinung führen solche Projekte in der Regel zu Mehrverkehr und zusätzlicher Verkehrsbelastung, ausser es werden massive flankierende Massnahmen auf dem entlasteten Strassennetz umgesetzt.»
Es bräuchte den Rückbau von Strassen
Die Zementproduktion sei global für acht Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und in der Schweiz einer der grössten Einzel-Emittenten, so Silas Hobi. «Solche Betonprojekte müssen auf jeden Fall sehr gut hinterfragt werden und haben, wenn schon, höchstens für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine Legitimation. Für den motorisierten Individualverkehr können wir uns solche Projekte nicht mehr leisten.»
Um den Verkehr zu reduzieren, brauche es keinen Ausbau von Strassen, sondern den Rückbau von Strassen und die konsequente Förderung von ÖV, Fuss- und Veloverkehr. Wenn diesbezüglich die Infrastruktur verbessert werde, könnten Fahrten vom motorisierten Individualverkehr wegverlagert werden. «Häufig fehlt dafür der Platz. Darum müssen Strassen entsprechend umgestaltet werden.»
Reduktion hätte viele positive Nebeneffekte
Für Silas Hobi steht fest, dass mit einer Reduktion des Autoverkehrs sehr viele positive Nebeneffekte erzielt werden können: «Lärm und Luftverschmutzung werden reduziert und die Verkehrssicherheit steigt.» Zudem erhalte der öffentliche Raum eine höhere Aufenthaltsqualität.
«Das Problem solcher Projekte ist, dass sie in der Regel das Verkehrsaufkommen erhöhen, während wir es reduzieren müssten.»
Stephan Buhofer, Geschäftsleiter WWF Zug
«Eines der wirkungsvollsten Instrumente auf kommunaler Ebene ist die Parkplatzbewirtschaftung. Anzahl, Preis und Lage der Parkplätze haben einen entscheidenden Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl.» Eine gute ÖV-Anbindung lohne sich erst ab einer gewissen Siedlungsdichte. «Mit durchmischten Quartieren und der ‹Stadt der 15 Minuten› steigt auch der Austausch unter der Bevölkerung und die Quartiere werden belebt.»
Neue Strassen als schlechte Strategie
Und was sagt der WWF zu den geplanten Umfahrungen Zug und Unterägeri? Geschäftsleiter Stephan Buhofer erklärt auf Anfrage: «Das Problem solcher Projekte ist, dass sie in der Regel das Verkehrsaufkommen erhöhen, während wir es reduzieren müssten.» Der Verkehrssektor sei mit rund einem Drittel der Emissionen – ohne Einberechnung des Flugverkehrs – das grosse Problem bei den Reduktionsbemühungen.
Studie um Studie zeigten, dass neue, gute Strassen wieder mehr Verkehr anziehen und verursachen. «Neue Strassen sind also eine schlechte Strategie, um den Verkehr zu reduzieren. Das entsprechende Geld könnte man zum Beispiel in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs auf dem Land investieren.»
Stephan Buhofer äusserte sich im Namen des WWF Zug bereits im Vernehmlassungsverfahren zum geplanten Zentrumstunnel Zug. In der damaligen Stellungnahme heisst es, der WWF Zug stehe dem Vorhaben ablehnend gegenüber. «Die Erfahrung zeigt, dass neue Strassen mehr Verkehr mit sich bringen, während der motorisierte Individualverkehr (MIV) reduziert werden sollte.»
WWF fordert Kostenwahrheit für die Umfahrungen Zug und Unterägeri
Letzteres sei nicht nur aus städteplanerischer Sicht nötig, sondern auch aufgrund der Treibhausgasemissionen und des Ressourcenverbrauchs. «Denn mit der teuren Verlegung des Verkehrs in den Untergrund verschwindet dieser nicht einfach. Im Gegenteil: Er breitet sich aufgrund des erhöhten Komforts und der Unsichtbarkeit weiter aus.»
Der WWF Zug fordere Kostenwahrheit, statt dass durch den steten Ausbau einer staatlich finanzierten Infrastruktur Schäden wie die Treibhausgasemissionen noch zusätzlich gefördert würden. «Der mobilisierte Individualverkehr ist, ob fossil oder elektrisch betrieben, die ressourcenintensivste Art der Fortbewegung auf der Strasse. Der WWF steht dessen Unterstützung mit Steuergeldern kritisch gegenüber.»
Interessantes Szenario des Bundes
Buhofer verweist zudem auf ein Szenario des Bundes, wonach sich das Verkehrsaufkommen in der Zukunft reduzieren könnte. Stephan Buhofer schreibt dazu: «Eine dahingehende Entwicklung kommt aber nicht von ganz allein, sondern setzt eine entsprechende Verkehrspolitik voraus, worunter auch der Verzicht auf neue Infrastrukturprojekte fällt. Und wächst der MIV tatsächlich nicht weiter oder reduziert er sich idealerweise sogar, dann sind Projekte wie diese Tunnel unnötig und die Mittel könnten anderweitig eingesetzt werden.»
Kurz und grundsätzlich zum Schluss die Einschätzung von Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung und Transportsysteme an der ETH Zürich: «Zum weiteren Strassenbau, oder eigentlich jedem weiteren Bau, muss man die Frage stellen, ob man das noch darf, da die CO2-Belastungen so langfristig sind.»
Warum die Stimme der Umweltverbände relevant ist
Die Klimafrage wurde rund um diese Tunnelprojekte bisher kaum thematisiert. Die Verbände können sich einerseits jeweils im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens äussern. In der Regel werden die grossen Verbände dafür speziell angeschrieben.
In einem späteren Schritt haben gesamtschweizerisch tätige Umweltverbände die Möglichkeit, bei Projekten mit Pflicht zu einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) Einsprache zu erheben. Das heisst: Sie können über diesen Weg Einfluss nehmen auf die Ausgestaltung eines Projekts - und die Entscheide der Behörden allenfalls gerichtlich überprüfen lassen.
Goran Vejnovic vom VCS Zug hält ganz grundsätzlich – und auch unabhängig von den vorliegenden Projekten - fest: «Das Einbeziehen der Umweltverbände sollte jeweils dazu dienen, gewisse Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren. Die Verbände haben immer ein paar Vorschläge, wie man unsere Mobilitätsprobleme umweltfreundlich lösen könnte.»
Je mehr Beton, desto mehr CO2-Emissionen
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bestätigt auf Anfrage, dass die Produktion von Beton einen hohen Ausstoss von CO2 verursacht. Dies sei insbesondere auf die Produktion des Zements und des Armierungsstahls zurückzuführen.
Für den hohen Ausstoss sei der grosse Bedarf an Beton entscheidend. In der Schweiz würden pro Jahr rund 35 Millionen Tonnen Beton produziert. «Für einzelne Bauprojekte gilt daher der Grundsatz: Je mehr Baustoffe – insbesondere Beton – eingesetzt werden, desto höher die CO2-Emissionen. Vor allem bei Infrastrukturprojekten wie Tunnelbauten wird viel Beton verwendet, weil alternative Baustoffe wie Holz hier nicht verwendet werden können.» Das Bafu bestätigt zudem, dass die Zementherstellung (inklusive Ziegeleien und Kalkproduktion) einen Anteil von rund 8 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Schweiz ausmacht (Referenzjahr 2020).
- Schriftliche Auskünfte von Finn Küttel (Klimastreik Zug), Goran Vejnovic (VCS Zug), Silas Hobi (Umverkehr), Stephan Buhofer (WWF Zug), Kay Axhausen, ETH Zürich, Bundesamt für Umwelt.
- Bericht: Schweizer Verkehrsperspektiven 2050