Städte befürchten Millionenkosten

Verspätung? So wirkt sich Tempo-30 auf den Zuger ÖV aus

Braucht es im Zuger ÖV wegen der neuen Tempo-30-Zone am Kolinplatz mehr Geduld? (Bild: Andreas Busslinger)

Rund um den Zuger Kolinplatz gilt seit rund einem Jahr Tempo-30. Wirkt sich das neue Temporegime wie in anderen Schweizer Städten negativ auf den öffentlichen Verkehr aus? Zeit für eine Zwischenbilanz.

Tempo-30 ist in der Schweiz längst zur Glaubensfrage geworden. Dass ein reduziertes Tempo den Verkehr sicherer macht, ist erwiesen. Doch macht es den Verkehr auch flüssiger? Daran scheiden sich die Geister. Wunderbar illustriert hat das der Abstimmungskampf zur Krienser Zentrums-Testplanung im Februar. Die Gegnerschaft punktete mit dem Argument, eine neue Tempo-30-Zone im Krienser Zentrum würde zu einem Verkehrskollaps führen. Das Stimmvolk lehnte die Vorlage deutlich ab (zentralplus berichtete).

Ein solcher Verkehrskollaps hätte auch Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr (ÖV). Die Busse stecken im Stau, die Pünktlichkeit würde leiden – so die Befürchtungen.

Ein Jahr Tempo-30 am Kolinplatz

Ob sich diese aber auch bewahrheiten, lässt sich in der Stadt Zug überprüfen. In der Zuger Innenstadt rund um den Kolinplatz gilt seit rund einem Jahr ein neues Tempo-30-Regime (zentralplus berichtete). Davon betroffen sind auch die Zuger Verkehrsbetriebe (ZVB). Sieben verschiedene Linien fahren über den Kolinplatz sowie die angrenzenden Tempo-30-Abschnitte auf der Graben- und Ägeristrasse sowie der Neugasse. Kämpfen die Busse seither mit der Pünktlichkeit? Zeit für eine Zwischenbilanz.

Die Antwort lautet klar: nein. So sagt ZVB-Sprecherin Karin Fröhlich auf Anfrage: «Rund um den Kolinplatz gilt seit März 2021 Tempo-30. Wir spüren auf diesen Abschnitten kaum Veränderung für die ZVB-Busse.» Und wie erklärt sie sich das? «Die Strecke ist sehr kurz und das Geschwindigkeitsniveau generell tief.»

Sprich: Auf der kurzen Distanz ist es für die Busse kaum möglich, Verspätung einzufangen. Zudem beträgt die durchschnittliche Geschwindigkeit der Busse wegen des vielen Verkehrs sowieso selten mehr als 30 Stundenkilometer.

Andere Städte, andere Folgen

Dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, dass die Temporeduktion in Zug spurlos am ÖV vorbeiging. Das zeigt ein Blick in andere Schweizer Städte. In Zürich tut sich beispielsweise einiges in Sachen Tempo-30. So hat der Stadtrat beschlossen, dass bis 2030 praktisch in der gesamten Stadt Tempo 30 gelten soll. Das macht den Verkehr sicherer und leiser – und kostet den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) jede Menge Geld.

Auf 20 Millionen Franken schätzt der ZVV die jährlichen Folgekosten, die durch die Tempo-30-Absichten des Stadtrats entstehen. Wenn Bus und Tram nur noch mit maximal 30 Stundenkilometer durch Zürich fahren, können sie den dicht getakteten Fahrplan nicht mehr einhalten. Die Konsequenz: Es braucht zusätzliche Kurse, mehr Personal oder gar neue Busse und Trams.

«Vermutlich sind die Busse in der engen Luzerner Kernstadt sowieso kaum schneller als mit Tempo-30 unterwegs.»

Widar von Arx, Leiter Kompetenzzentrum für Mobilität der Hochschule Luzern

Für die Zusatzkosten kommt der Zürcher Stadtrat nur vorübergehend auf, heisst es in der «Neuen Zürcher Zeitung». Nach einer gewissen Übergangszeit muss der ZVV die Kosten selber tragen. Dies dürfte sich letztlich auf die Ticketpreise auswirken. Für Zürcher wird der ÖV wohl bald teurer. Ähnliches gilt für die Stadt Winterthur, wo der Stadtrat ebenfalls vorsieht, in den kommenden Jahren flächendeckend Tempo-30 einzuführen. Auch fallen gemäss Einschätzung des Stadtrats für den ÖV Extrakosten in Millionenhöhe an.

Luzerner ÖV läuft reibungslos

Nebst Zug zeigt sich auch in Luzern, dass eine Temporeduktion nicht zwingend mit höheren Kosten für den ÖV verbunden ist. Denn bei den Verkehrsbetrieben Luzern (VBL) sind die bisherigen Erfahrungen positiv. VBL-Sprecher Sämi Deubelbeiss sagt: «Wir stellen fest, dass die Einführung von Tempo-30 auf städtischen Hauptverkehrsachsen nicht zwangsläufig zum Problem für den ÖV werden muss.»

Er erklärt: «Den Fahrplänen liegen angenommene Geschwindigkeiten auf den einzelnen Streckenabschnitten zugrunde. Die möglichen Geschwindigkeiten werden in den Planungen der Fahrpläne entsprechend berücksichtigt. Wir berechnen die kürzeste Fahrzeit, die aufgrund der Verkehrssituation zu verschiedenen Tageszeiten realistisch ist.» Das heisst, dass für den Fahrplan der VBL vielmehr die erwartete Verkehrssituation als die theoretische Maximalgeschwindigkeit entscheidend ist.

Zwei entscheidende Faktoren

Das bestätigt Widar von Arx, der Leiter des Kompetenzzentrums für Mobilität der Hochschule Luzern. Er sagt, die Auswirkungen neuer Tempo-30-Zonen hänge hauptsächlich mit zwei Faktoren zusammen: mit der durchschnittlichen Fahrgeschwindigkeit auf dem betroffenen Abschnitt sowie mit dessen Länge: «Vermutlich sind die Busse in der engen Luzerner Kernstadt sowieso kaum schneller als mit Tempo-30 unterwegs. Was ist also das Ausmass der Temporeduktion?», fragt von Arx.

Und zweitens: «Je länger die Strecken sind, auf denen neu Tempo 30 gilt, desto grösser wird der Impact auf die Verspätung, zum Beispiel am Endbahnhof. Luzern ist ja flächenmässig relativ kompakt im Vergleich zu Zürich.»

«Mit der Zunahme von Tempo-30-Zonen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs weiter abnimmt.»

Karin Fröhlich, Mediensprecherin Zuger Verkehrsbetriebe

Das heisst im Umkehrschluss: Eine Ausweitung der Tempo-30-Zonen dürfte auch in Zug und Luzern zu Mehrkosten für den ÖV führen. In Luzern wurden im vergangenen Herbst Ideen für Temporeduktionen auf mehreren Hauptverkehrsachsen öffentlich, so etwa auf der Seebrücke oder auf der Tribschenstrasse (zentralplus berichtete). Auch in Zug dürften in den nächsten Jahren weitere Abschnitte hinzukommen, auf denen Tempo-30 gilt.

Tempo-30? Ja, aber …

Trotz der guten Erfahrungen am Kolinplatz haben die Zuger Verkehrsbetriebe diesbezüglich Bedenken: «Mit der Zunahme von Tempo-30-Zonen, mit eventuellen baulichen Massnahmen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Zuverlässigkeit des öffentlichen Verkehrs weiter abnimmt», befürchtet ZVB-Sprecherin Karin Fröhlich. «Daher fordert die ZVB Raum und Bevorzugungen für den öffentlichen Verkehr, um einen zuverlässigen ÖV anbieten zu können.»

Oder, anders formuliert: ja zu Tempo-30, aber nur mit einer entsprechenden Bevorzugung für die Busse. Ob das wiederum gerecht ist, ist zweifelsohne eine weitere Glaubensfrage bei der Verkehrsplanung.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Widar von Arx
  • Artikel der «Neuen Zürcher Zeitung»
  • Schriftlicher Austausch mit Karin Fröhlich
  • Artikel im «Landbote» Winterthur
  • Schriftlicher Austausch mit Sämi Deubelbeiss
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