Schmerzen und Jobwechsel wegen Unfall

VBL-Chauffeur rettete Leben – und bleibt auf Kosten sitzen

Valerio Giglio fährt wegen chronischen Nackenschmerzen keine VBL-Busse mehr. (Bild: ewi)

Dank seiner schnellen Reaktion bei einem Unfall ist der ehemalige VBL-Chauffeur Valerio Giglio noch am Leben. Doch bis heute plagen ihn Schmerzen. Von der Versicherung und dem System fühlt er sich ungerecht behandelt.

Ein schöner Tag im April 2021. Valerio Giglio fährt seinen VBL-Bus von Emmenbrücke auf der Hauptstrasse in Richtung Luzern. Es ist Mittag, die Sonne steht hoch am Himmel und blendet Giglio beim Fahren. Trotzdem erkennt er ein merkwürdiges Glitzern am Auto, das ihm entgegenkommt.

Erst wenige Meter bevor sich die beiden Fahrzeuge kreuzen, realisiert der Giglio, dass es sich beim Glitzern um die offene Anhängerklappe handelt, die weit auf die Gegenfahrbahn hinausragt. Im letzten Moment kann er den Bus um einen Meter nach rechts lenken. So streift die offene Anhängerklappe den Bus und schlitzt dessen Seite auf voller Länge auf.

Giglio schrammt nur knapp am Tod vorbei

Noch am selben Tag vermeldet die Luzerner Polizei, dass sich beim Unfall fünf Personen, inklusive der Chauffeur des Busses, verletzt haben (zentralplus berichtete). Sie wurden zur Kontrolle mit der Ambulanz ins Spital gebracht. Doch Giglio geht noch am selben Tag nach Hause, er scheint sich nicht ernsthaft verletzt zu haben.

«Hätte ich nicht so schnell reagiert und im letzten Moment den Kopf weggezogen, wäre ich jetzt tot.»

Valerio Giglio

Er nimmt sich lediglich ein paar Tage frei, um den Unfall zu verarbeiten. Verständlich, wenn man die Unfallbilder betrachtet. Ein Bild in der «Luzerner Zeitung» zeigt, dass sich eine Stange der Anhängerklappe durch die Frontscheibe des Busses direkt in die Fahrerkabine gebohrt hat – auf Kopfhöhe. «Hätte ich nicht so schnell reagiert und im letzten Moment den Kopf weggezogen, wäre ich jetzt tot», sagt Giglio im Gespräch mit zentralplus knapp zwei Jahre nach dem Unfall.

Bei dem Busunfall in Luzern sind im April 2021 mehrere Menschen verletzt worden.
Bei dem Busunfall in Luzern sind im April 2021 mehrere Menschen verletzt worden. (Bild: Luzerner Polizei)

«Wäre ich nicht ausgewichen, wären vielleicht auch Passagiere ums Leben gekommen. Wenige Meter weiter vorne warteten Personen auf den Bus. Hätte mich die Stange erwischt, wäre der Bus unkontrolliert und ungebremst auf diese Menschen zugerollt.»

Versicherung will Arztkosten nicht übernehmen

Diese Horrorszenarien konnte Giglio im letzten Moment abwenden. Doch seine Blitzreaktion hat eine Kehrseite. Denn seit dem Unfall plagen den VBL-Chauffeur Nackenschmerzen aufgrund der abrupten Kopfbewegung. Gleich nach dem Unfall habe er davon noch nichts gespürt und wollte nach ein paar freien Tagen auch gleich wieder auf die Strasse. «Doch die Schmerzen wurden zunehmend stärker.»

Schliesslich wurden die Schmerzen so gross, dass sie Giglio bei der Arbeit einschränkten. Ungefähr einen Monat nach dem Unfall konsultierte er seine Hausärztin. Befund: Ein Schleudertrauma, ausgelöst durch den Unfall. Die Ärztin verordnete Giglio Medikamente, Salben und Physiotherapie – das ganze Programm. Doch der grosse Ärger sollte erst noch folgen.

«Ich zahle also mehr Geld als der Fahrer, obwohl er schuld am Unfall war.»

Denn Giglios Unfallversicherung will die Kosten nicht übernehmen. Trotz eines Schreibens der Ärztin und eines weiteren Spezialisten bleibt die Versicherung dabei: Die Nackenschmerzen seien nicht auf den Unfall zurückzuführen, deshalb läuft der Fall über die Krankenversicherung. «Hätte ich beim Unfallprotokoll angegeben, dass ich den Kopf angeschlagen habe, würde es als Unfall gelten. So hingegen nicht.» Und somit bleibt Giglio auf einem Teil seiner Arzt- und Physiokosten sitzen. Der Betrag belaufe sich mittlerweile auf eine vierstellige Summe, rechnet er vor.

Entschuldigung des Anhänger-Fahrers bleibt aus

Valerio Giglio fühlt sich ungerecht behandelt. Erst recht, seit Anfang dieses Jahres das Urteil des Kantonsgerichts für den Fahrer des offenen Anhängers bekannt wurde: Der Mann wird gemäss Urteil mit einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 60 Franken bestraft. Diese muss er allerdings nur im Wiederholungsfall innert zwei Jahren bezahlen. Sofort fällig wird eine Busse von 500 Franken (zentralplus berichtete).

«Ich zahle also mehr Geld als der Fahrer, obwohl er schuld am Unfall war», fasst Giglio zusammen. «Das ist doch eine Frechheit.» Hinzu kommt, dass der Chauffeur aufgrund der chronischen Nackenschmerzen den Job bei der VBL an den Nagel hängen musste. Heute arbeitet er als Lastwagenfahrer im Tiefbau, wo er weniger Kopfbewegungen als im Stadtverkehr machen muss. «Wegen des Jobwechsels musste ich sogar Lohneinbussen in Kauf nehmen. Und der andere bekommt eine Busse von 500 Franken. Das kann doch nicht sein.»

Giglio fordert keine höhere Strafe für den anderen Mann. Aber er will, dass immerhin seine Kosten übernommen werden. Und eine Entschuldigung will er auch. «Ich habe von ihm nie eine Karte oder eine Entschuldigung erhalten. Das hätte ich schon erwartet.» Zumal der damalige VBL-Chauffeur bewusst auf eine Anzeige verzichtet hat, weil der Mann den Unfall nicht absichtlich verursacht hatte.

Glücklicher Ausgang mit bitterem Nachgeschmack

Trotz des vielen Ärgers und des Papierkriegs: Valerio Giglio ist froh, noch am Leben zu sein: «Das ist das Wichtigste. Ich hatte grosses Glück an diesem Tag.» Dennoch hat die Geschichte für ihn ihre Schattenseite. Dass er bei der Versicherung die korrekten Angaben gemacht hat und deswegen auf den Kosten sitzen bleibt, hat für ihn einen bitteren Nachgeschmack. Auch kommen die Bilder vom Unfall immer wieder hoch, insbesondere an dieser Stelle oder wenn ihm auf der Strasse ein Auto mit Anhänger entgegenkommt.

Immerhin: Busfahren geht trotz der traumatischen Erfahrung gut. «Wobei ich schon zu meinen VBL-Zeiten ein schlechter Passagier war», fügt Giglio lachend an.

Verwendete Quellen
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


4 Kommentare
  • Profilfoto von Otti Burri
    Otti Burri, 08.02.2023, 08:52 Uhr

    Hallo
    Ich habe den neuesten Bericht zu Ex-VBL-Chauffeur Giglio gelesen. Vor 13 Jahren hatte ich einen Velounfall, ich machte eine Bremsung um nicht in einen Fussgänger zu fahren. Auf dem Velostreifen war ein kleiner gefrorener Schmelzwasserfleck, den ich dabei nicht wahrgenommen habe. Ich stürzte und erwachte auf dem Trottoir. Fazit: Schulterbandriss (Tossy 3) und eine Strafanzeige wegen Nichtbeherrschen des Fahrzeuges, aber wenigstens ohne finanzielle Busse…
    Das zu unseren Gerichtsverfahren.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Harry Hirsch
    Harry Hirsch, 07.02.2023, 13:13 Uhr

    Beim Schleudertrauma sind die Grenzen von Versicherung brauchen und Versicherung missbrauchen sehr nahe beisammen. Verständlich das die Versicherung genau hinschaut. Hoffentlich kommt es für alle gut.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔1Nachdenklich👎1Daumen runter
  • Profilfoto von Jaap Super
    Jaap Super, 06.02.2023, 22:09 Uhr

    VR-Präsident Renzo Simoni, das Genie mit Einfluss auf allen sozialen und gesellschaftlichen Ebenen der Schweiz, könnte das sicher mit einem Schnippeln des linken Händchens regeln. Fehlt ihm das Engagement für seine Mitarbeiter, weil ihn dies nur Zeit kostet und keinen Rappen einbringt?

    👍2Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎1Daumen runter
  • Profilfoto von Phi
    Phi, 06.02.2023, 18:42 Uhr

    Eine tragische Geschichte, wünsche dem betroffenen einen gerechten Ausgang. Nun würde mich noch wundern, um welche Versicherung es sich hier handelt. Bei der möchte ich jedenfalls nicht Kunde sein. Genau für solche Fälle hat man eine solche Versicherung ja eigentlich abgeschlossen.

    👍3Gefällt mir👏1Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon