Initiative spaltet die Gemüter

Top oder Flop? So denkt Sursee über ein autofreies Städtli

Fahren künftig keine Autos mehr durch Sursees Altstadt? Eine Initiative fordert dies. (Bild: ewi)

Das Städtli in Sursee soll autofrei werden. So will es eine Initiative, für die derzeit Unterschriften gesammelt werden. Ein Rundgang durch die historische Altstadt zeigt: Die Idee überzeugt längst nicht alle.

Der erste Sommertag des Jahres lockt die Menschen in Sursee in Scharen nach draussen. Ein Spaziergang durch das Städtli unterstreicht das. Vor dem Stadtcafé sitzen sie an der Sonne, in manchem Glas funkelt knallorange ein Aperol Spritz. Rentnerinnen schlendern durch die historische Altstadt und besichtigen die schönen Fassaden. Ein Paar auf einer Velotour fährt auf E-Bikes durchs alte Stadttor.

Das historische Städtli soll autofrei werden

Die historische Altstadt in Sursee ist ein Schmuckstück. Man muss keine Architektin sein, um zu erkennen, dass das Stadtbild in sich stimmig ist. Nicht ohne Grund wurde Sursee 2003 für seine vorbildliche Siedlungsentwicklung mit dem renommierten Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes ausgezeichnet.

Dennoch erkennt der Heimatschutz in der Würdigung Sursees einen Wermutstropfen. Im entsprechenden Bericht heisst es: «Schade nur, dass nach wie vor tagsüber Autokolonnen durch das Städtchen brummen und dass in der Oberstadt und in den Nebengassen parkiert wird, während eine Gehminute vor den Mauern die Parkplätze leer stehen. Denn auf den Geschmack des motorfreien Wohnens, Arbeitens, Einkaufens und Flanierens sind die Surseer ‹Altstädter› noch nicht gekommen.»

Schon vor 20 Jahren wurden in Sursee Diskussionen über den Autoverkehr in der Altstadt geführt. (Bild: ewi)

20 Jahre später soll sich das ändern. Zumindest aus Sicht der Grünen, der SP und der GLP sowie der Verkehrsverbände VCS, Pro Velo und Umverkehr. Sie sammeln derzeit Unterschriften für ein autofreies Städtli (zentralplus berichtete). Eine autofreie Zone soll die Altstadt attraktiver machen. Die Initiantinnen erhoffen sich weniger Verkehrslärm, mehr Sicherheit für Fussgänger und neue Begegnungszonen. Anstelle der rund 20 Parkplätze in der Oberstadt soll hier künftig ein Wochenmarkt stattfinden. Auch die Gastronomie soll durch die Befreiung vom Verkehr neue Aussenflächen erhalten. Ein Angebot, das in Sursee bereits jetzt genutzt und geschätzt wird (zentralplus berichtete).

«Sollte die Initiative angenommen werden, werde ich am Folgetag aus der Altstadt ziehen.»

Magdalena Hiltbrunner, Ladenbesitzerin in der Unterstadt

Bis zum 16. Mai hat das Initiativkomitee Zeit, um die 300 gültigen Unterschriften zusammenzutragen. In einer Gemeinde von der Grösse Sursee sollte dies ein Selbstläufer sein. Doch an der Urne dürfte die Vorlage bei einer möglichen Abstimmung eine wesentlich schwereren Stand haben. Denn ein Spaziergang durch die historische Altstadt zeigt: Die Idee eines autofreien Städtlis überzeugt nicht alle.

Ladenbesitzerin denkt schon an Auszug

Besonders kritisch äussert sich das Gewerbe. Magdalena Hiltbrunner, Inhaberin des Dekogeschäfts Inspire in der Unterstadt, hat eine klare Meinung zur Initiative. «Sollte die Initiative angenommen werden, werde ich am Folgetag aus der Altstadt ziehen. Ein autofreies Städtli wäre eine Katastrophe für mein Geschäft.» Sie hat sich in den letzten Wochen intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und ist zur Überzeugung gekommen: «Ein autofreies Städtli würde für das Gewerbe den Tod bedeuten.»

Hiltbrunner weist auf die grossen Vasen und Dekorationsartikel in ihrem Laden. Ihre Kunden seien darauf angewiesen, mit dem Auto bis zum Geschäft fahren zu können. Ein alternatives Transportkonzept mag sie sich gar nicht ausdenken.

«Ich bin dafür, gerade als Velofahrerin. Das schafft in Sursee mehr Lebensqualität.»

Passantin im Städtli

Für die Ladenbesitzerin ist klar, dass von einer autofreien Zone nur eine Branche profitieren würde: die Gastronomie. Sie warnt darum davor, dass die Altstadt bald nur noch aus Cafés, Restaurants und Bars bestehen wird. «Durch den Tag ist im Städtli dann wenig los und am Abend wird es lärmiger als heute.» Sie betont den beruhigenden Effekt, den das Gewerbe auf das Städtli hat.

«Initiative schafft neue Probleme»

So sieht es auch Stephan Kupper, Geschäftsinhaber von Kupper Optik, das seit 20 Jahren am heutigen Standort direkt beim Untertor liegt. Der Optiker befürchtet, dass sich das Städtli als autofreie Zone zu einer «Festhütte» entwickelt, wo es nebst der Gastronomie kein Platz mehr fürs Gewerbe gibt. Auch er ist skeptisch, ob er in einem autofreien Städtli am heutigen Standort seines Geschäfts festhalten würde.

Kupper kann das Anliegen der Initiative zwar nachvollziehen. Doch er warnt davor, dass sie bloss neue Probleme schaffen würde. «Wo wird der Verkehr dann durchgeleitet?», fragt er rhetorisch. «Sursee hat schon jetzt Probleme mit dem Verkehr. Diese Initiative würde zudem die Situation in den Quartierstrassen ausserhalb der Altstadt verschlimmern.»

Währenddessen steigt ein alter Mann direkt vor dem Geschäft aus einem Auto aus und trippelt mit winzigen Schritten in den Laden. Es ist kaum vorstellbar, wie der Mann das Geschäft von einem Parkplatz ausserhalb des Städtlis erreichen würde.

Passantinnen begrüssen die Idee

Anders als bei den Ladenbesitzern klingt es auf der Strasse. Vor der Bäckerei Künzli stellt eine junge Frau ihr Velo ab. Auch sie hat sich schon eine Meinung zur Initiative gemacht. «Ich bin dafür, gerade als Velofahrerin. Das schafft in Sursee mehr Lebensqualität», ist sie überzeugt.

«Unser Städtli in Sursee ist klein. Ein Flanieren wird daher überschätzt, da man in ein paar Minuten durch das Städtli durchgelaufen ist.»

Ursula Koller, Wirtin «Stadtcafé»

Ein paar Meter weiter pflichtet ihr eine ältere Passantin bei: «Ich finde es eine super Idee. Das macht das Städtli attraktiver.» Sie wohne selber nicht in der Altstadt, doch sei sie hier regelmässig unterwegs, zum Beispiel, um etwas trinken zu gehen. Sie zeigt aufs «Stadtcafé» und sagt: «Die Autos machen zu viel Lärm. Ohne Autos wäre es dort viel angenehmer.»

Vor dem «Stadtcafé» herrscht bei schönem Wetter reger Betrieb. (Bild: ewi)

Die Gastronomie befürwortet den heutigen Stand

Fasst man die verschiedenen Rückmeldungen zusammen, kommt man zum Schluss, dass die Beizen die grossen Gewinner eines autofreien Städtlis seien. Doch eine Anfrage zeigt, dass sich zumindest beim Kultlokal Stadtcafé die Euphorie über die Initiative in Grenzen hält. Für Wirtin Ursula Koller stimmt die aktuelle Situation. Denn von Mai bis Oktober gilt im Städtli jeweils am Samstagabend sowie am Sonntag ohnehin schon ein Fahrverbot. «Das Fahrverbot am Wochenende ist eine gute Lösung. Die Gäste schätzen es vor allem bei schönem Wetter», so Koller.

Ursula Koller vom «Stadtcafé» in Sursee. (Bild: zvg / Stadtcafé Sursee)

Dass ein ganzjähriges Fahrverbot das Städtli attraktiver machen würde, bezweifelt sie: «Unser Städtli in Sursee ist klein. Ein Flanieren wird daher überschätzt, da man in ein paar Minuten durch das Städtli durchgelaufen ist.» Sie rechnet damit, dass vor allem in den kalten Monaten weniger Menschen im Städtli unterwegs sind, sollte die Initiative angenommen werden.

Als Betrieb, der auch am Tag geöffnet hat, sei das «Stadtcafé» auf einen guten Branchenmix angewiesen. «Die verschiedenen Geschäfte tragen dazu bei, dass auch Gäste nach dem Einkaufen oder sonstigen Erledigungen bei uns einkehren», so Koller.

Damit rennt sie bei Geschäftsinhaber Stephan Kupper offene Türen ein. Er ist der Ansicht, dass es für ein attraktiveres Städtli nicht weniger Autos, sondern einen besseren Ladenmix braucht. Nachholbedarf sieht Kupper bei einem grösseren Lebensmittelgeschäft für den täglichen Bedarf. «Das schafft Frequenzen. Und damit ist allen Geschäften im Städtli geholfen», ist der Optiker überzeugt.

Verwendete Quellen
  • Rundgang durchs Städtli
  • Gespräche mit Ladenbesitzern und Passantinnen
  • Schriftlicher Austausch mit Ursula Koller
  • Unterschriftenbogen der Initiative
  • Informationen zum Wakkerpreis
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hoppler Karl
    Hoppler Karl, 14.05.2023, 08:55 Uhr

    Ich fahre durchs Städtli und schaue ob was los ist und parkiere, nicht umgekehrt. Als in Luzern der Grendel noch offen war musste man im Altstättli, Mövenpic, Moc noch anstehen. Wenn heute die letzte Verkäuferin nach Hause geht, ist die Altstadt tot…

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