Kontroverse um Linie 21 in Horw

Stürze und blaue Flecken: Ist Busfahren für 4-Jährige zumutbar?

Im Stutzgebiet ist es üblich, dass bereits Kindergartenkinder selbstständig Bus fahren. (Bild: Adobe Stock)

Auf einer schmalen, kurvigen Strasse fährt ein öffentlicher Bus Kleinkinder aus dem Stutzgebiet in den Kindergarten. Das Ergebnis: Gefährliche Situationen und Verletzungen. Zahlreiche Lösungsversuche sind fehlgeschlagen. Jetzt wird die Politik aktiv.

Auf der Horwer Halbinsel machen sich die Eltern Sorgen. Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder. Das hält die Verkehrsbetriebe Luzern (VBL), die Gemeinde Horw, der Verkehrsverbund Luzern (VVL), die Schule, die Anwohner und die Elternschaft auf Trab. Der Konflikt schwelt seit Jahren. Was ist los im schönen Quartier am Seeufer?

Es geht um den Schulweg für 45 Primarschüler und 15 Kindergartenkinder aus verschiedenen Quartieren von St. Niklausen wie Stutz und Langensand. Um in die Primarschule beziehungsweise den Kindergarten zu kommen, müssen sie jeden Morgen den Bus Nummer 21 nehmen.

Wilde Kinder, erzürnte Mitfahrer, zu wenig Sitzplätze, eine ruppige Fahrweise, stürzende Kinder, blaue Flecken und gefährliche Situationen an den Haltestellen. Jetzt schaltet sich die Politik ein.

Blaue Flecken und brenzlige Situationen

Andrea Zemp und Ursula Nick haben den Stein ins Rollen gebracht. Sie sind Co-Leiterinnen des Elternteam Kastanienbaum. Als Teil der Arbeitsgruppe «Sichere Schulwege» beobachten sie das Problem seit langem. So wie viele Generationen Eltern vor ihnen.

«Stürze, Blaue Flecken, Schocks, mehr ist glücklicherweise noch nicht passiert.»

Andrea Zemp, Co-Leiterin des Elternteam Kastanienbaum

«Wir haben das Thema von unseren Vorgängern aufgegriffen», erzählt Nick. Zum Teil fahren auf der Linie schon 4-Jährige unbegleitet. «Stürze, Blaue Flecken, Schocks, mehr ist glücklicherweise noch nicht passiert», sagt Andrea Zemp.

Doch auch ihr Sohn habe auf der Strecke schon unschöne Erfahrungen gemacht. «Als er etwa fünf war, wurde er von einem älteren Mann einfach aus dem Bus gestossen. Danach hatte er lange Angst, den Bus zu verpassen.»

Um endlich Klarheit zu gewinnen, ob ein Schulweg mit dem öffentlichen Bus für Kindergartenkinder zumutbar ist, hat sich Zemp vor ein eineinhalb Jahren an das Rektorat der Gemeindeschulen Horw gewandt. In der Folge setzten sich alle an einen Tisch: Der Verkehrsverbund Luzern (VVL), die VBL, Vertreter der Gemeinde und die Schule. Nur die Eltern fehlten.

Monitoring-Fahrten mit Protokoll

Bei der Sitzung im Herbst 2021 wurde beschlossen, künftig protokollierte Monitoring Fahrten durchzuführen. Bis heute haben fünf solche Fahrten stattgefunden, bei denen neben den beiden Co-Leiterinnen ein Mitarbeiter der VBL teilnahm. «Der Mitarbeiter der VBL hat notiert, wie es läuft. Wie viele Kinder einsteigen und auch den Fahrstil des Chauffeurs», erzählt Ursula Nick.

Für Andrea Zemp ging die Massnahme nicht weit genug. Sie forderte eine unabhängige Fachperson, um den Schulweg einzuschätzen. Als sie von der Schule erfuhr, dass es dafür eine offizielle Beschwerde benötige, überlegte sie nicht lange und reichte bei der Gemeinde Beschwerde ein.

Die Linie 21 verbindet das Stutzgebiet mit dem Kindergarten und der Primarschule. (Bild: Screenshot Heggli AG)

Schnell wurde klar: Sie ist nicht beschwerdeberechtigt, denn ihre Kinder sind bereits zu alt und nicht mehr betroffen. In einem letzten Versuch, Klarheit über die Gefahren des Schulwegs entlang der St. Niklausenstrasse zu erlangen, trat sie im letzten Herbst auf Marc Wiest zu.

Die Politik wird aktiv

Der Einwohnerrat von der Mitte-Partei ist selbst zweifacher Vater und kennt die Strecke. «Es ist eine schmale, kurvige Strasse. Wenn sich die Busse entgegenkommen, müssen sie teils aufs Trottoir ausweichen. Dabei wird auch mal abrupt gebremst. Wenn das passiert, fliegen Kinder», erzählt Marc Wiest.

«Sie stehen so knapp an der Strasse, dass es wirklich gefährlich ist.»

Marc Wiest, Mitte-Einwohnerrat Horw

Es sei gar vorstellbar, dass ein Erwachsener auf ein Kind fliegt. Und auch an den Bushaltestelle habe er schon brenzlige Situationen beobachtet. «Zu Stosszeiten steht dort eine Kinderschar, die herum springt. Sie stehen so knapp an der Strasse, dass es wirklich gefährlich ist.»

Um vom Gemeinderat eine schriftliche Einschätzung zu erhalten, hat Wiest jetzt eine Interpellation eingereicht. Er verlangt eine Stellungnahme, ob der öffentliche Bus für Kindergartenkinder zumutbar ist. Ausserdem listet er eine Reihe von Schutzmassnahmen auf, die der Rat prüfen soll.

Busfahren ist für Kindergartenkinder nicht zumutbar

In seinem Vorstoss zitiert Wiest die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) in Bern. Das Kompetenzzentrum mit Beratungsfunktion schreibt, ein Schulweg «mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei für 4- bis 6-jährige Kinder alleine grundsätzlich nicht zumutbar.»

«Ich wünsche mir immer noch eine Fachperson, die den Schulweg beurteilt.»

Andrea Zemp, Co-Leiterin des Elternteam Kastanienbaum

Was er sich wünscht, ist Klarheit. Eventuell sogar einen eigenen BFU-Bericht für die Strecke auf der Horwer Halbinsel. Davon träumt auch Andrea Zemp: «Ich wünsche mir immer noch eine Fachperson, die den Schulweg beurteilt. Wenn die Person sagt, das ist zumutbar, können wir das den Eltern wenigstens so kommunizieren.»

Die Gemeinde kennt das Lied

Der Gemeindepräsident Ruedi Burkard kennt die Klagen. «Das Thema kommt jedes Jahr erneut auf, immer wenn neue Eltern ihre Kinder in den Kindergarten schicken.» Der Gemeinderat habe bereits diverse Schritte eingeleitet. Wie etwa die Einrichtung der Arbeitsgruppe «Sichere Schulwege», in der auch Nick und Zemp aktiv sind.

«Der Schulweg bleibt grundlegend in der Verantwortung der Eltern.»

Ruedi Burkard, Gemeindepräsident Horw

Der FDP-Politiker hat Verständnis für die Anliegen der Eltern. Trotzdem betont er: «Der Schulweg bleibt grundlegend in der Verantwortung der Eltern.» Doch gesetzlich gilt: Kinder haben einen verfassungsmässigen Anspruch auf einen zumutbaren Schulweg. Sollte der Schulweg als unzumutbar gelten, muss die Gemeinde gewährleisten, dass die schulpflichtigen Kinder sicher, zuverlässig und zeitgerecht zur Schule kommen, schreibt die BFU auf ihrer Website.

Glücklicherweise wird sich das Problem in den nächsten Jahren mildern – davon ist Gemeinderat Ruedi Burkard überzeugt. «Es kommen derzeit viele junge Leute mit Kindern ins Stutzgebiet. Wenn die Kleinen einmal grösser sind, wird es wieder weniger Kinder in der Buslinie geben.»

Ruedi Burkard ist seit 2016 Gemeindepräsident von Horw. (Bild: giw)

Braucht es zusätzliche Busse?

Die VBL schweigen sich zur Situation aus. Sie seien aktuell im Austausch mit der Gemeinde Horw und betroffenen Eltern sowie dem Verkehrsverbund VVL und könnten erst zu einem späteren Zeitpunkt dazu Stellung nehmen, schreibt Sprecher Sämi Deubelbeiss auf Anfrage.

Andrea Zemp gibt der VBL keine Schuld: «Die Zusammenarbeit mit den VBL ist sehr gut. Auch ihnen sind die Hände gebunden. Etwaige Schritte müssen von der Gemeinde beantragt werden.»

Die wiederum hat die Kapazitäten der Linie 21 erst im letzten Sommer prüfen lassen. Das Ergebnis: Die Kapazitäten seien noch lange nicht ausgeschöpft, meint der Gemeindepräsident. «Einige Busse früh sind mit Kindern gefüllt, aber Erwachsene können einfach den nächsten Bus nehmen.»

Das Thema scheidet die Geister

Das Thema ist emotional äusserst aufgeladen. Nicht alle Eltern finden die Situation schlecht. Sie schätzen die frühe Selbstverantwortung und erinnern an funktionierende Götti-Systeme oder Kooperationen zwischen Eltern. Andere werden die Sorgen nicht los. Eine Mutter fährt weiterhin jeden Morgen mit dem Bus, erzählen Andrea Zemp und Ursula Nick.

«Früher war es für Eltern okay, ihre Kinder mehr Risiko auszusetzen. Heute wollen viele Null-Risiko.»

Marc Wiest, Mitte-Einwohnerrat Horw

Marc Wiest, der das Thema auf das politische Parkett gebracht hat, vermutet noch etwas anderes: «Ich glaube, es ist auch ein gesellschaftliches Ding. Früher war es für Eltern okay, ihre Kinder mehr Risiko auszusetzen. Heute wollen viele Null-Risiko.»

Verwendete Quellen
  • Interpellation von Marc Wiest und Mitunterzeichnern
  • Online-Auftritt des Elternteam Kastanienbaum
  • Telefonat mit Andrea Zemp, Elternteam Kastanienbaum
  • Website zu Schulwegen in Horw
  • Telefonat mit Ursula Nick, Elternteam Kastanienbaum
  • Schriftlicher Austausch mit Sämi Deubelbeiss, Kommunikation VBL
  • Telefonat mit Marc Wiest, Einwohnerrat Horw
  • Telefonat mit Ruedi Burkard, Gemeindepräsident
  • Website der Beratungsstelle für Unfallverhütung
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