Bahn der Zukunft

Schnellzug statt S-Bahn: Druck auf Durchgangsbahnhof steigt

Der Durchgangsbahnhof soll die S-Bahn im Raum Luzern stärken. (Bild: Archiv)

National- und Ständerat korrigieren die Bahnstrategie des Bundes. Der Fokus soll nicht nur auf den Agglomerationen liegen. Luzerner Nationalräte sehen den Durchgangsbahnhof in Gefahr.

Befürworterinnen des Durchgangsbahnhofs haben jüngst mit Besorgnis nach Bern geschaut. Denn in der am Freitag zu Ende gehenden Frühjahrssession des National- und Ständerats fielen gleich mehrere Entscheide, die den Durchgangsbahnhof zusätzlich unter Druck setzen.

Da ist zum einen der Grimseltunnel, der künftig das Berner Haslital und das Oberwallis mit dem Zug miteinander verbinden soll. Der Ständerat hat eine entsprechende Planungsmotion überwiesen, um die Planung eines möglichen Eisenbahntunnels voranzutreiben (zentralplus berichtete). Der Grimseltunnel ist ein weiteres Infrastruktur-Projekt, das nach Geldern des Bundes lechzt. Gelder, die andernorts – zum Beispiel für den Durchgangsbahnhof – fehlen könnten.

Ein neues Hochgeschwindigkeitsnetz für die Schweiz

Zum anderen hat nach dem Nationalrat auch der Ständerat eine Korrektur der langfristigen Bahnstrategie des Bundes vorgenommen. Die Strategie «Bahn 2050» sah ursprünglich vor, den Zugverkehr primär auf kurzen und mittleren Strecken zu stärken – also in den Agglomerationen (zentralplus berichtete). «So lässt sich der wirksamste Beitrag zur Erreichung des Klimaziels realisieren», schreibt das Bundesamt für Verkehr BAV dazu auf seiner Website.

«Der Durchgangsbahnhof schafft die Voraussetzung für ein dichteres und attraktiveres S-Bahn-System in der Region Luzern.»

Fabian Peter, Baudirektor Kanton Luzern

Anders sieht es jedoch die Verkehrskommission des Nationalrats. Sie forderte per Motion, dass sich der Fokus im Zugverkehr nicht auf die Agglomerationen beschränkt. Auch der Fernverkehr soll mit hoher Priorität ausgebaut werden, um das «Verkehrskreuz Schweiz» möglichst schnell zu realisieren. Nebst den Prioritäten im Nahverkehr soll sich der Bund «stärker auf die Fertigstellung und den Ausbau aller für den Fernverkehr notwendigen Abschnitte, sowohl auf der Nord/Süd- als auch auf der Ost/West-Achse, konzentrieren.»

Der Verein «Swiss Railvolution» strebt die Stärkung der Nord-Süd- und der Ost-West-Achse an. (Bild: Swiss Railvolution)

Auf Neubaustrecken im Hochgeschwindigkeitszug quer durch die Schweiz, von Genf nach Kreuzlingen und von Basel nach Chiasso. Das ist die Vision, die dem Vorstoss zugrunde liegt. Sie entstammt dem Verein «Swiss Railvolution», der sich dadurch eine «Renaissance der Schiene in der Schweiz erhofft». Der Zug müsse eine konkurrenzfähige Alternative zum Auto und zum Flugzeug darstellen, so die Forderung des Vereins. Grosses Vorbild dieser Vision ist das TGV-Netz in Frankreich, das es zum Beispiel erlaubt, in zweieinhalb Stunden von Paris nach Bordeaux zu fahren.

Fokus auf kurze Strecken hat grösseren Nutzen

Doch in der kleinräumigen Schweiz stösst die Idee nicht nur auf Wohlwollen. Einer der Kritiker des Verkehrskreuz Schweiz ist der Luzerner Nationalrat Michael Töngi (Grüne). In seinem Blog stellt er den Nutzen eines Hochgeschwindigkeitsnetzes infrage. Es würde zwar mehr Zug gefahren, aber: «Menschen aus Luzern pendeln dann vermehrt nicht nur nach Bern, sondern nach Fribourg und sogar Lausanne wird dann erreichbar. Das bedeutet, die Fahrkilometer in der Bahn nehmen stark zu. Das heisst aber noch nicht, dass auch der Autoverkehr abnimmt.»

Zu diesem Schluss ist auch der Bund bei der Erarbeitung der Strategie Bahn 2050 gekommen. Beim Fokus auf die kurzen und mittleren Distanzen lasse sich das grösste Potenzial zur Verlagerung vom Auto auf den Zug verorten. Der Fokus auf lange Distanzen habe zwar auch Vorteile, benötige aber sehr viel Infrastruktur und sei darum teuer.

«Die Beschleunigung auf den Hauptstrecken Ost-West verschlingt riesige Geldmengen. Ein Zeitgewinn wird da sein, aber wirkt sich das auf die ÖV-Benutzung wirklich auch aus?»

Peter Schilliger, Nationalrat FDP

Diese Strategie hat man in Luzern mit Freude zur Kenntnis genommen, denn sie unterstreicht den Nutzen des Durchgangsbahnhofs (DBL). So sagt der Luzerner Baudirektor Fabian Peter auf Anfrage: «Der DBL schafft die Voraussetzung für ein dichteres und attraktiveres S-Bahn-System in der Region Luzern.» Diese Voraussetzung kann der heutige Luzerner Kopfbahnhof nicht erfüllen. Wer schon mal mit dem Zug von Emmenbrücke nach Ebikon fuhr und für die eigentlich kurze Distanz über 20 Minuten brauchte, weiss das.

Luzerner Nationalräte sind besorgt um Durchgangsbahnhof

Ob ein Grossprojekt wie der Durchgangsbahnhof vom Parlament bewilligt wird, hängt davon ab, ob das Projekt den Zielen der Strategie Bahn 2050 entspricht. Was bedeutet also der zusätzliche Fokus auf den Schnellverkehr für die politischen Chancen des DBL? Aus Sicht der Luzerner Nationalräte nichts Gutes. So zeigt ein Blick auf das Abstimmungsergebnis zur Motion im Nationalrat ein interessantes Bild.

«Oberste Priorität hat für mich klar der Durchgangsbahnhof. Doch längerfristig müssen wir auch den Anschluss ans internationale Schienennetz berücksichtigen.»

Andrea Gmür, Ständerätin Mitte

Der Vorstoss zur Förderung des Verkehrskreuz Schweiz wurde deutlich angenommen. Die SP-, GLP-, Mitte- und FDP-Fraktionen stimmten geschlossen dafür. Geschlossen? Nein. Die Luzerner Nationalrätinnen Prisca Birrer-Heimo (SP), Roland Fischer (GLP), Leo Müller und Ida Glanzmann (Mitte) sowie Peter Schilliger (FDP) wehrten sich vergeblich gegen die Motion und stimmten Nein. Als jeweils einzige ihrer Fraktion. Auch Michael Töngi, Yvette Estermann und Franz Grüter lehnten den Vorstoss ab.

Befragt nach den Gründen dafür, geben die Luzerner Nationalräte ein einheitliches Bild ab. Leo Müller sagt auf Anfrage: «Mit der Ablehnung der Motion wollte ich ein Zeichen setzen, dass nicht immer neue Ideen und Projekte aufgenommen werden und die bisherigen Projekte – wie beispielsweise der Durchgangsbahnhof Luzern – wieder nach hinten geschoben würden.»

So sieht die geplante Linienführung am Durchgangsbahnhof aus. (Bild: SBB)

Peter Schilliger fragt sich: «Die Beschleunigung auf den Hauptstrecken Ost-West verschlingt riesige Geldmengen. Ein Zeitgewinn wird da sein, aber wirkt sich das auf die ÖV-Benutzung wirklich auch aus?» Und Roland Fischer ergänzt: «Der Vorstoss führt zu einer falschen Prioritätensetzung.»

Kanton Luzern bleibt gelassen

Ebenso spannend wie das Abstimmungsergebnis im Nationalrat ist jenes im Ständerat. Denn hier haben die beiden Luzerner Ständeräte Andrea Gmür und Damian Müller für die Motion gestimmt. Gmür erklärt auf Anfrage: «Oberste Priorität hat für mich klar der Durchgangsbahnhof. Doch längerfristig müssen wir auch den Anschluss ans internationale Schienennetz berücksichtigen.» Die Motion trage dem Rechnung, weshalb Gmür diese auch nicht als Konkurrenz für den DBL betrachte. Mit einer Redewendung fasst sie zusammen: «Das eine tun und das andere nicht lassen.»

«Jedes neue Projekt steht in einer Konkurrenz zu den bereits bestehenden.»

Michael Töngi, Nationalrat Grüne

Ebenfalls gelassener als die Luzerner Nationalräte sieht es Regierungsrat Fabian Peter. Der DBL stärke auch den Fernverkehr und sowieso findet er: «Fern- und Nahverkehr sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Beide sind wichtig für die nachhaltige Mobilitätszukunft.» Darum soll auch beides in der Bahnstrategie des Bundes Platz haben.

Auch BAV-Sprecher Michael Müller sieht keinen Grund für die Luzerner Befürchtungen. Auf den Entscheid des Parlaments angesprochen, meint er: «Den Durchgangsbahnhof Luzern wird dies nicht tangieren.» Den Fokus auf den Agglomerationsverkehr habe das Parlament nicht infrage stellt, sondern um einen zusätzlichen Fokus auf den Fernverkehr ergänzt.

Nur: Die Bundesmittel sind nicht unerschöpflich. 2026 wird das Parlament entscheiden, in welchem Bahnprojekt es den grössten Nutzen sieht und wohin die Bundesgelder darum fliessen sollen. Michael Töngi sagt auf Anfrage: «Jedes neue Projekt steht in einer Konkurrenz zu den bereits bestehenden.» Der Druck auf den Durchgangsbahnhof wird somit nicht kleiner.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Michael Töngi, Roland Fischer, Leo Müller und Peter Schilliger
  • Telefonat mit Andrea Gmür
  • Motion der Verkehrskommission
  • Schriftlicher Austausch mit Fabian Peter
  • Stellungnahme der Luzerner Regierung zur Strategie Bahn 2050
  • Informationen zur Strategie Bahn 2050
  • Website «Swiss Railvolution»
  • Blog von Michael Töngi
  • Schriftlicher Austausch mit Michael Müller
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hugo Ackermann
    Hugo Ackermann, 21.03.2023, 18:30 Uhr

    1859: Eröffnung eines Sackbahnhof Luzern
    Standort bis heute unverändert. Die damals für die Standortwahl massgeblichen Kriterien sind seit vielen Jahrzehnten gegenstandslos (Entwicklung). Der grösste Teil des Bahnhofareal (mehrere hunderttausend qm) ist nicht mehr bahnbetriebsnotwendig. Sackbahnhof und Bahnhofareal sind zum Hindernis für eine stadtfunktionell und städtebaulich zukunftssichere Stadtentwicklung geworden. Ca. 2007 hat die Politik den bestehenden Sackbahnhof als Standort für den DBL bestimmt. Die SBB sind Bundesbetrieb. Bei Planungen halten sie sich an die Vorgaben der Politik.

    17.11.22: BAV und SBB kündigen betr. Bahnausbau eine Konsolidierungsphase an. Bezüglich DBL sollen u.a. überprüft werden: ein positives Kosten-Nutzenverhältnis, die Übereinstimmung mit der Siedlungsentwicklung. Der Standort für einen gegewarts- und zukunftsfähigen DBL resp. eine vollwertige Mobilitätsdrehscheibe Zentralschweiz liegt in unmittelbarer Nähe der Kreuzungsstelle der seit mehr als 100 Jahren bestehenden NS und WO Eisenbahnachsen. Mit einigen Verbindungsbaten auf bekanntem solidem Baugrund, mit Wendeschlaufe und ohne Neubaustrecken ist eine dem Nah-und Fernverkehr dienende Mobilitätsdrehscheibe realisierbar. Mit kürzerer Bauzeit und einem Bruchteil der heute geschätzten Kosten. Die SBB sind Eigentümerin des im Quartier Baselstrasse bestehenden 3-gleisigen Bahndammes. Damit ist ein grosser Teil der für einen DBL notwendigen Fläche bereits gesichert. Die ehemalige Fabrik Schindler gehört dem Kanton, die Lädelistrasse der Stadt. Privateigentümer können mit Flächenabtausch, Auszahlung oder Beteiligung entschädigt werden. Für die Finanzierung des Projektes mit gemischter Eigentümerschaft dürfte eine öffentlich-private Partnerschaft der geeignete Rahmen sein. Ein Standort DBL Sentimatt ist mit städtebaulichen Aufwertungen verbunden. Dauerhafte Entlastung der mit nicht stadtteilrelevantem ÖV und MIV überlasteten Innenstadt, neue Flächen für Diversifizierung der städtischen Wirtschaft,Erstellung eines cluster bestehend aus Bauten die den Sektoren Bildung, Kultur, Kunst, Verwaltung fehlen. Flächen für Wohnbaute, Freiflächen und Grünflächen. Weitere Vorteile: Keine Beeinträchtigung der städtischen Wirtschaft und des Eisenbhnverkehrs während der Bauphase.

    Seit ca. 1980 sind auch in der urban gewordenen Stadt Luzern die politischen Weichen neu gestellt. Die Sektoren Verkehr und Bau sind für ideologische gesellschaftspolitische Manipulationen bestens geeignet. Auch die Kriminalisierung und existenzgefähtdende Schädigung schuldloser linkspolitisch missliebiger Einzelpersonen ist Teil des Instrumentarium politisierender städtischer Behördemitglieder (Baudirektor, Amtsjurist) Eine Vielzahl von Fehlleistungen im Bausektor (ua Panorama, Tribschenstadt, Salle modulable, Carparkierungsanlage, Kundenparkplätze usw) sind Teile einer „Leistungs“bilanz. Die Stadt hat den Standortvorschlag DBL Sentimatt abgelehnt.

    2024 wird in der Stadt gewählt. Seit Jahrzehnten beteiligen sich um die 70% der Berechtigten nicht an Wahlen und Abstimmungen. Könnte eine Mindestbeteiligung als Bedinguung für die Gültigkeit der Resultate Abhilfe schaffen? Klar ist, wo der Schlüssel für einen Kurswechsel in der Politik zu suchen ist.

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