Wegen zwei Initiativen

Planer warnt vor Stillstand bei Luzerner Verkehrsprojekten

Hier geht's nicht lang. Die zunehmende Zahl von Initiativen und Gesetzen erschwert die Verkehrsplanung. (Bild: ewi)

Zwei Luzerner Verkehrsinitiativen fordern zur gleichen Zeit exakt das jeweilige Gegenteil. Für die Verkehrsplanung ein Ärgernis – zumal dies kein Einzelfall ist.

Nach welchen Grundsätzen planen wir künftig den Verkehr? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit zwei Initiativen, die im Kanton Luzern hängig sind. Die «Attraktive Zentren»-Initiative der Grünen fordert mehr Lebensräume und weniger Strassen in Dorfzentren. Und die «Anti Stau»-Initiative der Jungen SVP fordert so ziemlich das Gegenteil: Mehr Platz fürs Auto.

Obwohl der Regierungsrat jeweils einen Gegenvorschlag erarbeitet hat, wollen beide Initiativkomitees an ihren Initiativen festhalten. Sie sind mit dem vorgeschlagenen Kompromiss nicht einverstanden. Es ist also wahrscheinlich, dass beide Initiativen zur Abstimmung kommen. Und sollten beide angenommen werden, befindet sich der Regierungsrat bei der Umsetzung in einer Zwickmühle (zentralplus berichtete).

zentralplus hat mit dem Verkehrsplaner Lukas Fischer über die pikante Ausgangslage gesprochen. Fischer sitzt in der Geschäftsleitung der Abteilung Verkehrsplanung beim Planungsbüro Metron. Das Büro mit Hauptsitz in Brugg im Kanton Aargau ist in der ganzen Schweiz in den Bereichen Verkehrs- und Raumplanung tätig. Lukas Fischer ist das wachsende juristische Dickicht ein Dorn im Auge.

zentralplus: Herr Fischer, ist Luzern mit diesen beiden Initiativen ein Einzelfall?

Lukas Fischer: Nein, überhaupt nicht. Auch im Kanton Zürich gab es beispielsweise eine «Anti Stau»-Initiative, welche den Erhalt der Gesamtkapazität des Strassennetzes forderte. Wir beobachten schweizweit eine Zunahme solcher Initiativen.

zentralplus: Warum ist das so?

Fischer: Das können wir nicht abschliessend beurteilen. Aber eigentlich sollte über die strategischen Instrumente wie die kantonalen und kommunalen Richtpläne festgelegt werden, wie wir unsere Mobilität abwickeln und wie wir die Strassenräume nutzen. In diesen Richtplänen hätten auch die Initiativkomitees die Möglichkeit, ihre Forderungen zu platzieren. Nur werden in den Richtplan keine einseitigen Maximalforderungen aufgenommen. Da ist es einfacher, sich für den populistischen Weg zu entscheiden und eine Initiative zu lancieren, auch wenn diese den bestehenden Richtplänen widersprechen kann. Es ist fraglich, ob das zielführend ist.

zentralplus: Was bedeutet das für Sie als Verkehrsplaner?

Fischer: Die wachsende Zahl solcher Initiativen machen unsere Arbeit deutlich aufwendiger. Es braucht zusätzliche Gutachten, um nachzuweisen, dass unsere Projekte die gesetzlichen Rahmenbedingungen einhalten. Die wiederum können Gegenstand von Einsprachen werden, wodurch die Gerichte involviert werden. Der juristische Dschungel wird immer dichter.

«Die Realisierung von Projekten dauert immer länger. Im schlimmsten Fall kommt es gar zum Stillstand.»

zentralplus: Welche Auswirkungen hat das für Verkehrsprojekte?

Fischer: Letztlich bedeutet das, dass die Realisierung von Projekten immer länger dauert. Im schlimmsten Fall kommt es gar zum Stillstand. Es gibt heute kaum noch Vorstehende des Bauressorts, die ein Projekt von Anfang an in dieser Rolle begleitet und am Ende das Eröffnungsband durchschneiden können.

zentralplus: Zurück zum Kanton Luzern. Angenommen, beide Initiativen werden angenommen – kommt es dann zum planerischen Stillstand? Oder lassen sich die Initiativen doch irgendwie vereinbaren?

Fischer: Ob sich die beiden grundsätzlich verschiedenen Forderungen vereinbaren lassen, ist immer eine Frage der Fläche, die zur Verfügung steht. Wenn genügend Platz vorhanden ist, lassen sich sowohl die Kapazität einer Strasse als auch der Freiraum darum herum ausbauen. Auch eine vierspurige Strasse kann durchaus viel Aufenthaltsqualität bieten, wenn es links und rechts der Strasse genügend Platz hat. Nur steht in der Schweiz selten genügend Raum zur Verfügung. Und die Ansprüche an den Raum wachsen.

zentralplus: Insbesondere in den Zentren – doch genau darum geht es den beiden Initiativen letztlich. Wie geht man bei der Planung vor, wenn es eben nicht so viel Platz hat wie gewünscht?

Fischer: Wir schauen dann situativ und wägen zwischen den verschiedenen Interessen und strategischen Zielen ab. Dabei sind folgende Fragen zentral: Wo besteht der grösste Handlungsbedarf? Welche Verkehrsmittel sind an diesem Ort am wichtigsten und effizientesten? Und welche Bedürfnisse bestehen an die Aufenthaltsqualität eines Ortes? In Gebieten, wo wenig verschiedene Bedürfnisse vorhanden, aber viele Autos unterwegs sind, räumen wir dem Auto womöglich mehr Platz ein. In der Stadt, wo die Erschliessung mit dem ÖV sehr gut und der Bedarf nach mehr Freiraum gleichzeitig gross ist, werden die Interessen der Autofahrer weniger stark gewichtet. Normalerweise müssen bei einer solchen Interessensabwägung alle Federn lassen.

zentralplus: Sie sagen, es müssten alle Federn lassen. Vom Initiativkomitee der «Anti Stau»-Initiative heisst es nun, dass die Autofahrerinnen bei der Planung am stärksten benachteiligt werden. Können Sie diese Haltung nachvollziehen?

Fischer: Ja, ich kann diese Haltung als Mensch verstehen. Denn letztlich sind bei der Verkehrsplanung immer Menschen betroffen. Und da spielt die subjektive Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. Wenn ich einen Parkplatz regelmässig benutze und dieser plötzlich aufgehoben wird, stört mich das als Autofahrer. Aber wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag und der heisst, dass wir auf der begrenzten Fläche den Verkehr so effizient wie möglich gestalten. Und auf diese Frage ist das Auto nicht immer die richtige Antwort. Zudem wurden unsere Strassenräume bislang vor allem aus der Perspektive des Autos gedacht und entsprechend gestaltet. Bei Fragen des Fuss- und Veloverkehrs besteht zugunsten einer ausgewogenen Planung weiter Aufholbedarf.

«Bei der Planung müssen wir eine zunehmende Zahl Gesetze berücksichtigen, die miteinander nicht im Kontext stehen.»

zentralplus: Also können Sie letztlich auch die Forderungen der beiden Luzerner Initiativen nachvollziehen?

Fischer: Ich kann die Anliegen begreifen. Und dass man diese aus politischen und taktischen Gründen mit einer Maximalforderung verfolgt, ebenfalls.

zentralplus: Aber?

Fischer: Wenn zwei Maximalforderungen bestehen, macht man normalerweise einen Kompromiss und trifft sich irgendwo in der Mitte. Doch wenn eine Maximalforderung per Initiative in einem Gesetz festgehalten wird, wird es komplizierter und schwieriger, einen Kompromiss zu finden. Der Handlungsspielraum wird enger. Bei der Planung müssen wir eine zunehmende Zahl Gesetze berücksichtigen, die miteinander nicht im Kontext stehen. Das macht die Arbeit als Planer schwierig, beschäftigt die Gerichte und verzögert letztlich Projekte. Das sollte die Politik bedenken.

Verwendete Quellen

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