Hier muss der Kanton nachbessern

Pläne für Luzerner Mobilität: SVP droht mit Referendum

Autos, Velos, Fussverkehr: Wie kommen in Zukunft alle aneinander vorbei? Diese Frage beschäftigt derzeit die Luzerner Regierung. (Bild: Aura)

An der neuen Mobilitätsstrategie der Luzerner Regierung scheiden sich die Geister. Gewisse Parteien können den Plänen viel Gutes abgewinnen, andere ganz und gar nicht. zentralplus fasst den Stand der Dinge in sieben Punkten zusammen.

Wie soll die Mobilität im Kanton Luzern in Zukunft aussehen? Dieser Frage hat sich die Luzerner Regierung angenommen und im Bericht «Zukunft Mobilität Luzern» (Zumolu) eine erste Antwort darauf festgehalten (zentralplus berichtete).

Die Gestaltung der Mobilität soll sich in Zukunft an folgenden vier Grundsätzen orientieren: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, Verkehr vernetzen und den Verkehr verträglich gestalten. Die 4V-Strategie. Im November hat die Regierung den Entwurf des Berichts in die Vernehmlassung gestellt. Bis am Freitag hatten die Parteien, Verbände und Gemeinden Zeit, zu den Plänen des Regierungsrats Stellung zu nehmen. zentralplus hat die wichtigsten Erkenntnisse daraus zusammengefasst.

1. Die Befürworter

Die Mehrheit der Parteien äussert sich positiv zum Bericht. Zu den Befürwortern zählen die Grünen, die SP, die Mitte, die GLP und mit etwas grösseren Vorbehalten auch die FDP. Auch der VCS Luzern, die Stadt Luzern und der regionale Entwicklungsträger Luzern Plus loben den Entwurf der Regierung.

Richtiggehend glücklich äusserten sich die Grünen. Sie seien «positiv überrascht» über den vorliegenden Bericht. Offensichtlich hat die Partei der bürgerlichen Regierung keinen Bericht zugetraut, der die Parteiinteressen so gut abdeckt.

2. Die Kritiker

Der Bericht erhält nur von wenigen Seiten grundsätzliche Kritik. Die Kritiker agieren dafür nach dem Motto der «lauten Minderheit». Sprich: Ihr Urteil fällt vernichtend aus (zentralplus berichtete). Die SVP, die Luzerner Sektion des TCS wie auch der Luzerner KMU- und Gewerbeverband (KGL) lehnen den Bericht im Grundsatz ab.

«Im Berichtsentwurf entsteht stark der Eindruck, dass der motorisierte Individualverkehr in gewissen Räumen im Kanton nicht mehr erwünscht sein soll.»

Stellungnahme FDP Luzern

Der TCS sieht im Bericht eine Benachteiligung des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Dieser Haltung stimmen auch die SVP und die FDP zu. «Im vorliegenden Berichtsentwurf entsteht stark der Eindruck, dass der motorisierte Individualverkehr in gewissen Räumen im Kanton nicht mehr erwünscht sein soll», schreibt etwa die FDP.

Der KGL bezweifelt sogar, dass sich die Strategie als Planungsinstrument eignet, als welches die Regierung den Bericht vorsieht. Die SVP erwägt darum sogar ein Referendum gegen das Vorhaben des Regierungsrats. Dazu weiter unten mehr.

3. Die guten Ansätze

Die befürwortenden Parteien und Verbände äussern sich besonders positiv zur 4V-Strategie der Regierung: «Die Ausrichtung auf dieses Prinzip begrüsst die zuständige Arbeitsgruppe ausdrücklich», heisst es etwa bei der GLP.

Auch der VCS anerkennt die obersten Prioritäten der Regierung, zuerst Verkehr zu vermeiden und dann Verkehr vom Auto auf andere Verkehrsmittel wie den ÖV oder das Velo zu verlagern. «Der Kanton muss deshalb jene Projekte prioritär realisieren, die den grössten Beitrag zur Vermeidung und Umlagerung von Verkehr leisten», fordert der Verband.

Die FDP und die Stadt Luzern begrüssen explizit, dass der Kanton verschiedene Raumtypen definiert hat, für die unterschiedliche Verkehrsziele gelten. Während der Fokus im urbanen Raum und in der Agglomeration künftig vor allem auf dem Velo und dem ÖV sowie deren Kombination liegt, liegt der Schwerpunkt für ländliche Räume weiterhin auf dem MIV. Der Luzerner Stadtrat unterstützt diese Haltung und findet, dass sich «die Mobilität in den Raumtypen unterscheiden kann und soll.»

Trotz des grundsätzlichen Lobs sparen die Parteien und Verbände nicht mit Kritik am Bericht. Wir haben die drei grössten Baustellen zusammengefasst, wo der Regierungsrat nachbessern muss.

4. Baustelle eins: Bypass

Der Bypass ist das wichtigste Strassenbauprojekt im Kanton Luzern der vergangenen Jahrzehnte. Entsprechend spielt der Bypass auch im Bericht der Regierung eine Rolle. Zusammen mit dem Durchgangsbahnhof soll der Bypass die Erreichbarkeit des Kantons und der Regionen sicherstellen. So hält es eine der strategischen Stossrichtungen des Berichts fest.

«Der Bau des Bypass verstösst in ziemlich offensichtlicher Weise gegen das postulierte 4V-Prinzip.»

Stellungnahme Grüne Luzern

Daran stören sich die Grünen, die SP, der VCS sowie das Nein-Komitee zum Bypass. Der Bypass sei kein strategisches Ziel, sondern lediglich eine Massnahme, um ein Ziel zu erreichen, so die formale Kritik an diesem Absatz. Inhaltlich kritisieren die Parteien und Verbände, dass sich der Bypass nicht mit den 4V-Zielen der Regierung vereinbaren lässt.

«Der Bau des Bypass verstösst in ziemlich offensichtlicher Weise gegen das anderweitig postulierte 4V-Prinzip. Der Bypass wäre nur dann sinnvoll, wenn Mehrverkehr gegenüber heute zu bewältigen wäre. Das ist aber gemäss 4V nicht erwünscht», halten die Grünen in ihrer Stellungnahme fest.

Mit dieser Kritik erhalten sie Rückendeckung von unerwarteter Seite. Auch der TCS macht den Bypass in seiner Stellungnahme zum grossen Thema und zeigt die Widersprüchlichkeit des Zumolu-Berichts in dieser Hinsicht auf: «Dieser sinnvolle Infrastrukturausbau steht jedoch im Widerspruch zur Strategie, welche eine Reduktion des MIV auf der bestehenden Infrastruktur einfordert», kritisiert der TCS. Der Verband sieht darum den Bau des Bypass durch die neue Mobilitätsstrategie gefährdet.

5. Baustelle zwei: Man kann es nicht allen recht machen

Mobilität bewegt, im wörtlichen wie auch im übertragenen, emotionalen Sinn. Dessen ist sich auch die Luzerner Regierung bewusst und versucht darum, es mit ihrer neuen Strategie möglichst allen Verkehrsteilnehmern recht zu machen.

«Wunschdenken» bleibt das aus der Sicht des Gewerbeverbands. Den ÖV auf der Strasse auszuweiten, ohne die Kapazität der Strassen zu vergrössern und den MIV zu beeinträchtigen, sei nicht realistisch. Der Verband hält darum fest: «Es ist nicht plausibel, dass die Regierung mit ihrer Strategie ihre eigenen Ziele erreicht.»

Ins gleiche Horn bläst die GLP. Gemäss Bericht soll die Erreichbarkeit für den MIV in den Städten gleich bleiben wie bisher. Die GLP bezeichnet dies als «illusorisch». Im urbanen Raum müsse der Fuss- und Veloverkehr gegenüber dem MIV priorisiert werden. Eine solche Priorisierung sei nicht nur angezeigt, sondern gar «alternativlos», wie die GLP schreibt.

6. Baustelle drei: Taten statt Worte

Der Bericht der Regierung ist vielmehr eine Strategie als ein Planungsinstrument. Auf Basis dieser Strategie will der Regierungsrat ein neues Planungsinstrument, das «Programm Gesamtmobilität», schaffen. Dieses soll konkrete Massnahmen enthalten, wie die Ziele des Zumolu-Berichts erreicht werden sollen.

«Die Formulierung von Zielen alleine ändert in der Realität noch nichts.»

Stellungnahme VCS Luzern

Doch die strategische Flughöhe des Berichts provoziert mahnende Worte: «Die Formulierung von Zielen alleine ändert in der Realität noch nichts», hält der VCS fest. Der Verband verweist auf den ÖV-Bericht und das Agglomerationsprogramm, deren Ziele der Kanton mit «wiederkehrender Regelmässigkeit verpasse». Das Gleiche dürfe mit dem vorliegenden Bericht nicht passieren.

Auch die Stadt Luzern weist darauf hin, dass die 4V-Strategie konsequent in die Erarbeitung der Massnahmen fliessen soll. Der Stadtrat fordert insbesondere, dass der Kanton alle Massnahmen zur Vermeidung von Verkehr prioritär ergreift.

Die Mitte will gar ein besseres Kontrollinstrument. Alle vier Jahre soll die Regierung dem Kantonsrat das «Massnahmenprogramm Mobilität» vorlegen, sodass das Parlament regelmässig über die gemachten Fortschritte und mögliche Verbesserungen beraten kann. Auch die FDP fordert, dass der Kantonsrat in kürzeren Abschnitten als von der Regierung vorgesehen über das Programm und die Massnahmen mitentscheiden kann.

7. Wie weiter?

Nach Ablauf der Vernehmlassung ist nun die Regierung wieder am Ball. Sie muss die verschiedensten Rückmeldungen sammeln und wird auf deren Basis den Bericht überarbeiten. Diesen legt sie dann dem Kantonsrat vor. Die Grünen haben angekündigt, der Regierung bei der Überarbeitung des Berichts genau auf die Finger zu schauen: «Es kommt für uns nicht in Frage, dass nun geplante Massnahmen gestrichen und der Bericht nach dem Vernehmlassungsprozess abgeschwächt wird.»

«Sollte die Regierung an diesem Mantelerlass festhalten, wird die SVP ein Referendum ernsthaft in Betracht ziehen.»

Stellungnahme SVP Luzern

Gleichzeitig mit der überarbeiteten Version des Berichts wird der Regierungsrat dem Parlament eine Gesetzesanpassung vorlegen. Diese ist notwendig, um das neue Planungsinstrument «Programm Gesamtmobilität» gesetzlich zu verankern. In dieser Frage hat der Kantonsrat das letzte Wort.

Die SVP betont in ihrer Rückmeldung, dass sie dem Vorhaben nicht zustimmt. Das neue Programm würde ein bereits funktionierendes System aus Planungsberichten und -instrumenten angreifen. «Das geplante System ist nicht geeignet, die Verkehrspolitik politisch weiterzuentwickeln», hält die SVP fest.

Und sie droht: «Sollte die Regierung an diesem Mantelerlass festhalten, wird die SVP mit verschiedenen Partnern ein Referendum ernsthaft in Betracht ziehen.» Für die neue Mobilitätsstrategie des Kantons dürfte es darum noch ein langer Weg werden.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Peter
    Peter, 14.03.2022, 09:00 Uhr

    Vielleicht könnte jemand der SVP etwas Staatskundenachhilfe geben? Ein Planungsbericht ist eine Art Absichtserklärung. Dagegen kann man kein Referendum ergreifen.

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    • Profilfoto von Kontrolle
      Kontrolle, 14.03.2022, 14:53 Uhr

      Die Vernehmlassungsvorlage enthält auch das „Gesetz über das Programm Gesamtmobilität“. Dagegen kann sehr wohl das Referendum ergriffen werden.

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  • Profilfoto von Nico
    Nico, 14.03.2022, 08:06 Uhr

    Die Grünen denken offenbar nicht über die Stadtgrenze hinaus.
    Der Sonnenbergtunnel ist das Nadelöhr der ganzen Region. Passiert in einer der beiden Röhren ein Unfall, liegt der gesamte Verkehr von Kriens bis Emmen still. Und das betrifft auch den ÖV massiv.
    Die Autobahn ist nun mal eine wichtige Nord/Süd Verbindung durch die ganze Schweiz, der Bypass wird deshalb dringend benötigt, egal ob es 10% oder 100% Mehrverkehr geben wird.

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    Bob, 14.03.2022, 07:43 Uhr

    Immer wieder die gleichen – laut, aber nicht klug.

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    • Profilfoto von mvonrotz
      mvonrotz, 14.03.2022, 09:25 Uhr

      Sind beim Thema Verkehr mitnichten immer die Gleichen. Dort sind die Linken, Grünen und der VCS bei weitem die Lauteren. Und für Einmal unterstütze ich sogar die SVP, was sonst nie geschieht. Dieses MIV Bashing geht gar nicht.

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