Niemand will «ÖV-Gutscheine»

ÖV-Pilotprojekt in Zug ist ein totaler Flop

Wie kriegt man die Menschen wieder in den ÖV? Diese Frage beschäftigt derzeit die ganze Branche. (Bild: ewi)

Mit innovativen Angeboten will die ÖV-Branche Passagiere zurückgewinnen. Ein entsprechender Versuch in Zug ist aber grandios gescheitert.

Die Pandemie als Weckruf. Das mag für viele Branchen, insbesondere aber für den öffentlichen Verkehr gelten. Vom einen auf den anderen Tag brachen die Passagierzahlen im März 2020 komplett ein und erholten sich während der folgenden Monate kaum.

Auch die Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB) traf die Pandemie mit voller Wucht. Die Zahl der Passagiere nahm 2020 im Vergleich zu 2019 um ein Drittel ab. Und im Folgejahr reisten sogar noch weniger Fahrgäste mit den ZVB-Bussen als im ersten Pandemiejahr (zentralplus berichtete). Lockdowns, Maskenpflicht und die plötzlich weit verbreitete Anwendung des Home-Office brachten den öffentlichen Verkehr schweizweit ins Straucheln.

Für die ÖV-Branche, die vor der Pandemie ziemlich träge unterwegs war, hiess das: Höchste Zeit zu handeln. So beschloss die Alliance Swisspass, der Verbund der nationalen und regionalen Transportunternehmen, im Herbst 2021, neue Abo-Modelle auszuprobieren: «Sie sollen sich an veränderten Kundenbedürfnissen orientieren, eine flexiblere Nutzung des ÖV ermöglichen und digital verfügbar sein», schrieb die Allianz in einer Medienmitteilung.

ÖV-Guthaben in Zug ist ein Flop

Eines dieser Modelle ist das sogenannte ÖV-Guthaben. Es wurde auf nationaler wie auch auf regionaler Ebene im Tarifverbund Zug ausprobiert. Das Guthaben funktioniert wie ein Gutschein. In Zug konnte eine ausgewählte Gruppe für 400 Franken ein Guthaben im Wert von 500 Franken kaufen, um damit Tickets im Tarifverbund zu kaufen (zentralplus berichtete). Auf nationaler Ebene gab es zwei verschiedene Guthaben in der Höhe von 3'000 und 1'000 Franken, die zu einem Preis von 2'000 respektive 800 Franken gekauft werden konnten. Amortisiert ein Passagier den Kaufpreis nicht, wird ihm die Differenz zurückerstattet. Ein guter Deal also – könnte man meinen. Doch nicht aus Sicht der Zuger ÖV-Passagiere.

«Das Guthaben von 500 Franken hat sich für den relativ kleinen Raum, in welchem es genutzt werden kann, als zu hoch herausgestellt.»

Reto Hügli, Sprecher Alliance Swisspass

Der Versuch in Zug dauert noch bis Ende Mai 2023. Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Pilotprojekt ein totaler Flop wird. In zwei Anläufen wurden je rund 1'600 Personen angeschrieben und über das Angebot mit dem ÖV-Guthaben informiert. Der Versand richtete sich ausschliesslich an ehemalige Abonnentinnen des Jahresabos im Tarifverbund Zug, dem «Zuger Pass Plus». Bei den Kontakten handelt es sich also nicht um ÖV-Neulinge, sondern um solche, die dem öffentlichen Verkehr zumindest teilweise den Rücken gekehrt haben.

Doch die Nachfrage nach dem Guthaben war in Zug praktisch inexistent. Nur gerade 7 der 1'700 angeschriebenen Personen kauften das Guthaben im ersten Anlauf. Beim zweiten einige Monate später wurden 1'600 ehemalige Abonnenten angeschrieben, lediglich 2 davon entschieden sich für das Guthaben. Das entspricht einer Erfolgsrate von 0,7 respektive 0,2 Prozent.

Keine Chance gegen das Jahresabo

Worin sieht die Alliance Swisspass die Gründe für das Scheitern? «Das bestehende Jahresabo im Tarifverbund Zug ist sehr attraktiv und lohnt sich bereits ab zwei Reisetagen pro Woche», sagt Reto Hügli, Mediensprecher bei Alliance Swisspass. «Das Guthaben von 500 Franken hat sich für den relativ kleinen Raum, in welchem es genutzt werden kann, als zu hoch herausgestellt – entsprechend war die Nachfrage nicht sehr gross.»

Selbst wer in Zug also mehrheitlich von zu Hause aus arbeitet und nur zweimal in der Woche mit dem ÖV ins Büro oder ins Training fährt, profitiert von einem Jahresabo. Unter diesen Umständen haben es neue Abo-Modelle natürlich schwer.

ÖV-Guthaben ist auf nationaler Ebene ein Erfolg

Denn anders präsentiert sich die Situation auf nationaler Ebene. Auch dort ist der Versuch mit dem ÖV-Guthaben noch nicht abgeschlossen. Doch ein Zwischenfazit zeigt, dass das Guthaben bei den Kundinnen auf grosses Interesse stösst, wie Reto Hügli bestätigt. Als Grund dafür sieht die Alliance Swisspass die vielen Anwendungsmöglichkeiten auf nationaler Ebene. So kann es auch für Sparbilletts oder lange Zugreisen und Tageskarten gebraucht werden, die vergleichsweise teuer sind.

Möglichkeiten, die im Tarifverbund Zug nur teilweise zur Verfügung stehen. «Der Zuger Markttest ist auf ein kleinräumiges Gebiet beschränkt und somit fällt die Nutzung gewisser Angebote des Nationalen Direkten Verkehrs weg», so Hügli.

Das ÖV-Guthaben auf nationaler Ebene sei irgendwo zwischen Generalabonnement (GA) und Halbtax einzuordnen und darum für jene attraktiv, die den ÖV zwar regelmässig nutzten, aber doch nicht genügend oft, als dass sich ein GA lohnen würde. Zudem besteht kein finanzielles Risiko, weil das Geld zurückerstattet wird, sollte man den ÖV nur sehr wenig benutzt haben.

Das bedeutet das Projekt für Zug

Doch was bedeutet das nun für den Tarifverbund Zug? Hier wird das Pilotprojekt nur auf den ersten Blick als Misserfolg beurteilt. «Auf den zweiten Blick bestätigt es jedoch das lukrative und preiswerte Angebot, von welchem unsere Kunden seit jeher profitieren können», sagt Philipp Hofmann, Vorsitzender beim Tarifverbund Zug. «Es waren als Fazit also nicht preisliche Gründe, weshalb das «Zuger ÖV-Guthaben» nicht auf Anklang stiess, sondern das kundenfreundliche und preiswerte bestehende Angebot», bilanziert er.

Die Herausforderung, die Menschen zurück in den öffentlichen Verkehr zu holen, bleibt jedoch (zentralplus berichtete). Klar ist nun, dass das ÖV-Guthaben nicht das Mittel dafür sein wird. Aus Sicht des Tarifverbunds ist das aber verkraftbar, denn Hofmann ist zuversichtlich: «Die aktuelle starke Rückgewinnung der in Corona-Zeiten abgewanderten Kundinnen und Kunden bestätigen unsere These zusätzlich.»

Für den Tarifverbund lohnt sich aber trotzdem ein Blick in die anderen Kantone. Denn unter anderem im Aargau, in der Waadt oder im Kanton Fribourg werden in diesen Monaten verschiedenste andere Abo-Modelle ausprobiert (zentralplus berichtete). Manche mehr, manche weniger erfolgreich. Welche sich wo durchsetzen werden, ist noch unklar. Doch nach den ersten Erfahrungen lässt sich sagen: Die Chancen, dass es auf nationaler Ebene bald ein offizielles ÖV-Guthaben geben wird, stehen gut.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von camaro
    camaro, 16.10.2022, 09:37 Uhr

    Diejenige die sich diese Angebote ausgedachten, haben die Realität vergessen mit einzuplanen. Wer zum Teufel vom bodenständigem Publikum kann es sich leisten für 1000.- mit einem Minirabatt, öv-tickets zu kaufen.
    Bei einer strategischem Ausrichtung ist vorallem wichtig zu berücksichtigen, dass die mehrheitlichen Fahrgäste Büezer sind und nicht hochbezahlte.
    Braucht die Zuger öv einen strategy realistischer Konzeptdenker, kann ich helfen . So dass sich die Durchschnittbevölkerung angesprochen fühlt – und vorallem vom Angebot etwas hört .

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  • Profilfoto von Black Pearl
    Black Pearl, 16.10.2022, 08:27 Uhr

    Wenn man schon das bestehende Zuger Abo über den grünen Klee lobt: Wie viele der Angeschriebenen kauften ein normales Abo?

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