Muss die Zentralschweiz Österreichs Verkehr schlucken?
Schon heute sind die Staus vor dem Gotthardtunnel gefürchtet. (Bild: Webcam)
Ein Bauprojekt, 300 Kilometer entfernt, könnte zu langen Staus in der Zentralschweiz führen. Der Bundesrat und das zuständige Bundesamt sind eingeschaltet und bereits aktiv geworden.
In beiden Nachbarländern hauen Verkehrsjournalisten zurzeit heftig in die Tasten. Vom «Verkehrsinfarkt» im Alpenraum ist die Rede und von drohenden Megastaus. Kürzlich hat die deutsche Regierung informiert, ihr seien die Hände gebunden. Österreich müsse sich um die Angelegenheit kümmern.
Worum geht es? Und was hat das alles mit der Zentralschweiz und Luzern zu tun? zentralplus hat den Befürchtungen auf den Zahn gefühlt. Ergebnis: Hinter den Kulissen laufen intensive Gespräche zwischen Bern und den Nachbarn. Trotzdem gibt es für die Region Grund zur Hoffnung.
Thema ist die Brennerautobahn (A13) zwischen Österreich und Italien. Über 14 Millionen Autos nutzen die Strecke pro Jahr. Nun soll dort die Luegbrücke nahe Innsbruck ersetzt werden. Ab 1. Januar 2025 ist die 1,8 Kilometer lange und 55 Jahre alte Brücke daher nur noch einspurig befahrbar. Bis 2030 werden die Arbeiten dauern.
Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) nennt das einen «Alptraum» für Fahrerinnen und rät auf seiner Website, die bereits heute überlastete Autobahn grossräumig zu umfahren. Dabei schlägt der grösste Verkehrsclub Europas vor, stattdessen den San Bernardino oder die Tauernautobahn zu nutzen. Oder den Gotthardtunnel.
Uri sagt, der Kanton sei auf Stau am Gotthard vorbereitet
Bekanntlich ist der Gotthard im Kanton Uri ebenfalls schwer überlastet. Luzern kriegt das durch die verstopfte Autobahn A2 zu spüren, die durch die Stadt Luzern führt und der Hauptzubringer zum längsten Autotunnel der Alpen ist. Wird sich die angespannte Situation in der Zentralschweiz weiter verschärfen?
Bei den betroffenen Kantonen geben sich die Medienstellen wortkarg. Der Kanton Luzern verweist darauf, dass für Nationalstrassen das Bundesamt für Strassen (Astra) verantwortlich sei. Der Kanton Uri schreibt, man sei «gut aufgestellt», die Situation zu bewältigen.
Der Grund: Einerseits betreibt der Kanton gemeinsam mit dem Bund schon heute Staumanagement durch die Kontrolle der Ein- und Ausfahrten, Dosierung des Schwerverkehrs und weitere Stellschrauben. Das Astra bekämpft andererseits den Schleichverkehr durch Dörfer (zentralplus berichtete). Und auch aus Österreich gibt es positive Signale.
Bundesamt für Strassen ist in engem Austausch mit den Nachbarländern
Um am Brenner Schlimmeres zu verhindern, wollen die Behörden an rund 170 «starken Reisetagen» pro Jahr den Verkehr auf der Luegbrücke zweispurig fliessen lassen. Bereits im Juli wurde getestet, wie das auf der baufälligen Brücke funktionieren kann. Was in Bern sehr gut ankam.
Auf Anfrage gibt eine Sprecherin des Astra Entwarnung. Aufgrund des neuen Verkehrskonzepts aus Österreich gehe die Bundesbehörde aktuell davon aus, dass die Auswirkungen auf die Schweiz «eher gering» ausfallen würden. Gegenüber zentralplus gibt sich auch der Touring Club Schweiz (TCS) gelassen.
Trotzdem befände sich das Bundesamt in «engem Austausch» mit den österreichischen Behörden, Autobahnbetreiberinnen sowie den Partnern in Deutschland und in Italien, betont die Astra-Sprecherin. Denn die Schweiz könne «keine zusätzliche Strassenkapazität» schaffen. Es wird klar: Vorsorge ist äusserst ratsam.
Brenner und Luegbrücke beschäftigen auch den Bundesrat
Vom Tisch ist die Luegbrücke in der Schweiz trotzdem nicht. Der Bündner SP-Nationalrat Jon Pult fordert den Bundesrat in einer aktuellen Interpellation auf, «konkrete Massnahmen» zu ergreifen, damit die «Verkehrslast vom Brenner» nicht auf die Alpenübergänge hierzulande überschwappe. Eine Antwort steht noch aus.
Ausserdem könnte es infolge der Baustelle in Österreich zu einer Verlagerung des Schwerverkehrs kommen. Jährlich nutzen rund 2,4 Millionen Lkw den Brenner. Sie könnten bei grossen Zeitverlusten auf die Schweiz ausweichen, warnte der Vizedirektor des Nutzfahrzeugverbands Astag kürzlich gegenüber der «NZZ». Vor allem für Lkw aus Bayern sei der Gotthard attraktiv.
Derweil gibt es am Brenner einen Vorgeschmack, was die nächsten Jahre droht. Seit 7. Oktober ist die Luegbrücke wegen Sanierungsarbeiten in beiden Richtungen nur einspurig befahrbar. Schon am ersten Wochenende habe es über drei Stunden Stau gegeben, berichtet der ADAC. Ein Einfluss auf den Gotthard oder die A2 in Luzern liess sich allerdings nicht feststellen.
seit 2022 im Journalismus, davor Politikwissenschaftler, Weltenbummler und Steinbildhauer. Bei zentralplus vom Praktikanten, zum Volontär bis zum Ressortchef alles durchlaufen. Heute Co-Redaktionsleiter mit einem Hang zu guten Texten.