Nationalrat Töngi verliert die Geduld

Mobility Pricing in Zug kommt im Schneckentempo voran

Rush-Hour auf der Nordstrasse zwischen Zug und Baar. Der Kanton Zug und Florian Weber prüfen derzeit ein Pilotprojekt zu Mobility Pricing. (Bild: Andreas Busslinger / Kanton Zug)

Der Bund denkt über die Einführung von Mobility Pricing in der Schweiz nach – auf Basis von Erkenntnissen, die im Kanton Zug gewonnen werden. Doch die schleppenden Fortschritte im Projekt sorgen für Kritik.

Mobility Pricing bedeutet, dass Mobilität nicht zu jeder Tageszeit gleich viel kostet. Wer zu Stosszeiten unterwegs ist, zahlt grundsätzlich mehr für seine Mobilität als jemand, der zu Randzeiten fährt. Das soll die Verkehrsspitzen zu Stosszeiten brechen und Staus sowie volle Züge verhindern. So sinkt der Bedarf nach zusätzlichen Strassen und Zügen, weil sich die Verkehrsströme besser über den Tag verteilen.

Der Bund hofft, dass Mobility Pricing einen Teil der heutigen und künftigen Verkehrsprobleme löst. Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat darum fünf Schweizer Städte und Regionen damit beauftragt, sich mit dem Thema Mobility Pricing vertieft auseinanderzusetzen. Unter anderem auch den Kanton Zug (zentralplus berichtete). Noch werden aber keine konkreten Projekte lanciert. Erst müssen die Regionen mit einer Machbarkeitsstudie weitere Details abklären. «Dank der Erkenntnisse daraus soll bestimmt werden können, ob und unter welchen Bedingungen sich Pilotprojekte realisieren lassen», teilt das Astra mit.

Mobility-Pricing-Projekt in Zug ist kaum weiter als vor zwei Jahren

In anderen Worten: Von einer möglichen Einführung von Mobility-Pricing-Systemen sind wir noch Jahre entfernt. Das Astra lässt sich Zeit. Denn erste Erkenntnisse zu diesem Preissystem in der Schweiz liegen schon seit 2019 vor. Damals hat der Bund anhand von Modellen im Kanton Zug eine rein theoretische Wirkungsanalyse durchgeführt – und die Wirkung von Mobility Pricing war deutlich messbar: Die Massnahmen haben zu einer Reduktion des Autoverkehrs zu Spitzenzeiten von neun bis zwölf Prozent geführt. Im ÖV betrug die Abnahme ebenfalls fünf bis neun Prozent.

«Die Projekte fokussierten zu stark auf den Strassenverkehr.»

Thomas Rohrbach, Mediensprecher Astra

Über ein Jahr später hat der Bund dann einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung gegeben. Dieser soll Pilotprojekte zu Mobility Pricing auf eine beschränkte Dauer von zehn Jahren ermöglichen. Gleichzeitig konnten interessierte Städte und Regionen sich bewerben, um eines dieser Pilotprojekte durchzuführen. Das hat der Kanton Zug getan – und nun, fast zwei Jahre später, den Zuschlag erhalten. Definitiv ist dieser aber noch nicht. Erst die Machbarkeitsstudie wird zeigen, ob das Pilotprojekt tatsächlich durchgeführt wird. Die entsprechenden Ergebnisse sollen 2023 vorliegen.

Florian Weber kann zu Mobility Pricing in Zug nichts Neues erzählen. (Bild: mam)

Sind denn immerhin schon mehr Details zur Zuger Projektidee bekannt? Nein, wie eine Anfrage bei der Baudirektion zeigt. Die vorliegenden Informationen sind dieselben, über die zentralplus bereits im Februar 2021 berichtete. Beim Projekt werden Freiwillige teilnehmen, die in zwei Gruppen eingeteilt werden: «Die Mobilität der ersten Gruppe findet unter den heutigen, geltenden Bestimmungen und Bedingungen statt. Die zweite Gruppe ist unter den Bedingungen von Mobility Pricing unterwegs», sagt Baudirektor Florian Weber (FDP). Konkreter wird er nicht.

Regionen mussten bei Bewerbung nachbessern

Gar nicht glücklich über den langsamen Fortschritt im Projekt zeigt sich der Luzerner Nationalrat Michael Töngi (Grüne). Auf Twitter hat sich der Verkehrspolitiker kritisch zu den Astra-Plänen geäussert.

Und auch auf Anfrage von zentralplus lässt er kein gutes Haar am Vorgehen des Bundes: «Der Bundesrat brauchte anscheinend drei Jahre, um solche Regionen auszuwählen und will jetzt weitere Untersuchungen tätigen. Damit rückt eine definitive Einführung tief in das nächste Jahrzehnt.»

Michael Töngi wünscht sich vom Bund mehr Tempo beim Mobility Pricing. (Bild: cbu)

Das Astra rechtfertigt sich. «Mobility Pricing ist ein komplett neuer Ansatz», sagt Mediensprecher Thomas Rohrbach. «Mit dem gewählten Vorgehen soll möglichst umfassendes Wissen erarbeitet werden, damit zum einen die Thematik verstanden werden kann und zum anderen die notwendigen Grundlagen für politische Entscheidungen vorhanden sind.»

«Die Autolobby ist im Bundeshaus sehr stark und alles, was auf eine Verhaltensänderung abzielt, ist von rechts bis weit in die Mitte hinein tabu.»

Michael Töngi, Nationalrat Grüne

Dass es zu Verzögerungen bei der Auswahl der fünf Regionen gekommen sei, hänge mit den eingereichten Bewerbungen zusammen. «Die Projekte fokussierten zu stark auf den Strassenverkehr», erklärt Rohrbach. Darum mussten die Regionen in einer zweiten Bewerbungsrunde auch den ÖV in die Projektskizzen integrieren. Das wiederum dauerte über ein Jahr.

Töngi reicht Interpellation ein

Ist der langsame Fortschritt im Projekt also schlicht auf die trägen Prozesse in Bundesbern zurückzuführen? Michael Töngi sieht das anders: «Diese langen Fristen sind der Tatsache geschuldet, dass es an vielen Ecken Widerstand gegen das Mobility Pricing gibt. Die Autolobby ist im Bundeshaus sehr stark und alles, was auf eine Verhaltensänderung abzielt, ist von rechts bis weit in die Mitte hinein tabu.»

Darum äussert Töngi auch Kritik am Entscheid des Astra, den Fokus nicht nur auf die Strasse, sondern auch auf den ÖV zu richten. «Nun müssen die Pilotversuche alle den ÖV miteinbeziehen, obwohl das nicht das prioritäre Interesse der vom Verkehr stark betroffenen Regionen ist.»

Seinen Unmut tut der Nationalrat nicht nur über Twitter, sondern auch im Bundeshaus kund. So kündigt er an, diese Woche noch eine Interpellation zu diesem Thema einzureichen – passenderweise mit der Frage im Titel, ob Mobility Pricing noch in diesem Jahrzehnt kommt.

Und er ist gespannt, was der neue Bundesrat Albert Rösti mit dem Dossier anfängt: «Er kann mit einer Förderung des Mobility Pricing zeigen, dass er unabhängig von der Meinung seiner Partei ein wichtiges Projekt vorwärtsbringt und mehrheitsfähig macht.» Ob das Thema beim Auto-Lobbyisten Rösti jedoch die höchste Priorität geniesst, ist eine andere Frage.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Michael Töngi
  • Informationen des Astra
  • Schriftlicher Austausch mit Thomas Rohrbach
  • Schriftlicher Austausch mit Florian Weber
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 15.12.2022, 00:43 Uhr

    Widerstand durch Arbeitsverweigerung. In der Privatwirtschaft würde dies zur umgehenden Kündigung führen.

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  • Profilfoto von smokymale
    smokymale, 14.12.2022, 22:33 Uhr

    Die Zuger Geschäfte wirds freuen wenn Mobility-Pricing kommt, sie haben dann noch weniger Kundschaft. Aber mit den Zuger kann man das getrost machen, die haben noch genug Kohle die man ihnen aus der Tasche ziehen kann. Geldmacherei, nichts anderes ist das, bringen tuts nämlich sonst gar nichts.

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  • Profilfoto von Philipp
    Philipp, 14.12.2022, 11:01 Uhr

    Macht nur ein Mobility Pricing. Die Rechnung werden unsere Zuger Kunden bezahlen.

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 14.12.2022, 10:17 Uhr

    Jemand, der „ankündigt, diese Woche noch eine Interpellation zu diesem Thema einzureichen“ sagt also: „Achtung, ich stelle jetzt dann gleich eine Frage!“ Betitelt er die zu stellende Frage „passenderweise“ mit der rhetorischen Frage, „ob Mobility Pricing noch in diesem Jahrzehnt kommt“, so gibt er aber zu verstehen , das er eigentlich gar keine Frage stellen wird. Wieso dann stellt er die Frage? Weil er einfach noch etwas im Bundesrats-Wahl-Wind segeln will?

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    Francesca, 14.12.2022, 09:42 Uhr

    Mobility Pricing ist reine Symptombekämpfung. Die angeblichen Reduktionen werden durch die jährliche Nettoeinwanderung und die entsprechende Zunahme des Verkehrs überkompensiert. Diese Übung der Anti-MIV-Lobby kann man sich getrost ersparen.

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  • Profilfoto von Esther Ambühl
    Esther Ambühl, 14.12.2022, 07:39 Uhr

    Wieso erstaunt es mich nicht, dass da in den letzten Jahren in Zug nichts gegangen ist? Baudirektor und Co wollen den Stadttunnel ohne zusätzliche Abklärungen. Wäre ja schön blöd, wenn Mobility Pricing eine Wirkung zeigen würde. So würde das schon heute widersinnige Argumentarium für das Stadtloch noch mehr in sich zusammen fallen.

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