Die MTA-App der von Roman Oberli geleiteten Axon Vibe wird in New York rege genutzt. Nun etabliert sich die Firma mit Algorithmen für die beliebte SBB-Mobilitätsapp. (Bild: zvg)
Rund eine Million New Yorker nutzen die von der Luzerner Firma Axon Vibe entwickelte Mobilitätsapp MTA. In der Schweiz löst die Firma die App Fairtiq ab und programmiert die Algorithmen hinter der Benutzeroberfläche von Easy Ride in der SBB-Mobile-App.
Weshalb sind denn die New Yorker nicht selbst darauf gekommen und verlassen sich auf Luzerner Know-how? «Das weiss ich auch nicht», entgegnet Roman Oberli, Geschäftsführer von Axon Vibe, einer von mehreren Firmen im Firmengeflecht der Axon Gruppe, die im Mehrheitsbesitz des Luzerners Stefan Muff stehen.
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«Wir von Axon Vibe verfolgen zwei Stossrichtungen», führt Oberli aus. «Entweder wir implementieren unsere Software und unser Know-how in bestehende Mobilitätsapps oder wir lösen – falls diese schlecht ist – die alte ab und setzen eine komplett neue App auf.»
Komplett neue Mobilitätsapp für New Yorker entwickelt
Im Fall der New York Metropolitan Transportation Authority (MTA) ist laut Oberli eine Neuentwicklung notwendig gewesen. Das App-Rating der bisherigen App scorte bei den Usern mit schwachen 1,4 Punkten, während die von Axon Vibe neu entwickelte MTA-App heute einen ausgezeichneten Wert von 4,5 zugesprochen erhält.
Die Zielsetzung von Axon Vibe besteht aber nicht primär darin, die Oberfläche und Funktionalität einer App zu optimieren, sondern diese mit neuen Funktionalitäten auszustatten, die es den Nutzern ermöglicht, sich rascher durch den dichten Verkehr zu bewegen. Dies vor allem während der Rushhour, dann aber erhalten die Nutzer auch Hinweise, welche Verkehrsmittel und Zeitfenster sie stattdessen nutzen sollten.
Einfacher Nutzen mit kompliziertem IT-Hintergrund
Das klingt nach einer nerdigen IT-Story. Was durchaus stimmt in Bezug auf die Spezialisten, die hinter Axon Vibe stehen und die Algorithmen im Backend programmieren. Für den öffentlichen Verkehr, die dafür verantwortlichen Behörden und die Nutzer des ÖV zählt aber die Funktionalität der Benutzeroberfläche respektive die Erleichterungen, die diese App im täglichen Verkehrsstress bietet.
Wie Roman Oberli erläutert, gehe Axon Vibe von einer sehr einfachen Grundidee aus. Tatsache ist, dass in urbanen Gebieten aus Platzgründen kaum mehr neue Infrastruktur gebaut werden kann. Die Strassen sind vorhanden, die Verbindungen von U-Bahn, Eisenbahn, Bussen und Trams ebenfalls. Und alle Verkehrslösungen sind auf die Spitzenzeiten ausgerichtet.
ÖV ist fast überall zu Stosszeiten rappelvoll
«In der Schweiz ist der ÖV zu 30 Prozent stark bis sehr stark genutzt, zu weiteren 70 Prozent der Zeit fahren Busse, Züge, U-Bahnen und Trams mehr oder weniger leer herum», erklärt Roman Oberli. Das Ziel von Axon Vibe sei es, diese Spitzenzeiten zu brechen und einen Verlagerungseffekt zur Entlastung der Passagiere und des öffentlichen Verkehrs zu bewirken. Denn wie erwähnt: Der Platz ist beschränkt.
Die wichtigste Voraussetzung besteht darin, gut verwertbare Informationen zu erhalten. «Wir fragen die Leute, ob sie uns erlauben, auf ihre Positions- und Beschleunigungsdaten zuzugreifen», sagt Roman Oberli. «So können wir aufzeichnen, zu welchen Zeiten sie reisen und wann sie zu Fuss, mit dem Velo, dem Bus oder dem Zug unterwegs sind.»
70 Mitarbeitende in der Schweiz, England, Vietnam und den USA
Axon Vibe beschäftigt aktuell rund 70 Mitarbeitende. Etwa 15 sind in der Schweiz am Entwickeln, 15 in England, zwei Leute in den USA und weitere rund 40 in Vietnam.
Wie Roman Oberli darlegt, gehe es nicht nur darum, Daten zu analysieren und nutzergerecht in die App einzubinden, sondern vor allem auch darum, Anreize zu setzen, die zu einer Verhaltensänderung bei den Verkehrsteilnehmern im Sinne des Auftraggebers führen würden. Hier habe Axon Vibe viel Geld investiert und einige Lehrplätze bezahlt, so der Geschäftsführer.
Die richtigen Anreize zu setzen, ist schwierig
Stärkster Treiber seien Warnfunktionen und das Aufzeigen von Alternativen bei Störungen und einem Verkehrskollaps mit Chaos und Staus. Gut wirke auch, wenn man aufzeigen könne, dass der Weg von A nach B mit dem öffentlichen Verkehr einfacher zu bewältigen sei als mit dem Auto.
Der höhere Komfort könne auch ein guter Anreiz sein, der Preisvorteil komme erst an vierter Stelle. Das Argument, damit CO₂-Emissionen senken zu können, zeige allerdings nur marginal Wirkung.
Fünf bis zehn Prozent Verlagerung hat Axon Vibe erreicht
Jeden Morgen gehen jeweils via Push-Nachrichten in der kostenlosen MTA-App Warnungen und Empfehlungen raus. Während ein Grossteil der Nutzer beratungsresistent sei, zeige sich bei anderen eine deutliche Wirkung. «Heute erreicht die von uns entwickelte MTA-App eine Verlagerung von fünf bis zehn Prozent der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer», vermeldet Roman Oberli mit leisem Stolz.
Das ist gemessen auf die Masse an Millionen von New Yorkern, die sich täglich durch die Häuserschluchten schlängeln, eine ganze Menge. Und es rechnet sich. «Wir tragen so dazu bei, dass die Stadt weniger Geld in die Infrastruktur stecken muss.»
Kundenbindungsprogramm installiert
Die Stadt New York finanziert einzig den Betrieb der MTA-App. Damit sich der Aufwand für Axon Vibe wirklich rechnet, haben die Luzerner ein zweites Standbein entwickelt. Grundsätzlich geht es ja darum, den Verkehr vom Rushhour-Zeitfenster von 7 bis 8 Uhr morgens auf 8 bis 10 Uhr zu verlagern.
Unter dieser Rushhour leiden auch Kaffeeketten und Convenience-Food-Stores. Entsprechend setzt Axon Vibe ein Belohnungsprogramm innerhalb der App auf, das die Passagiere via Aktionen in diese Stores lenkt. So kann zum Beispiel ein Gratiskaffee rausspringen, wenn man die Rushhour umgeht. Gegen entsprechende Marketingabgeltungen der Stores.
Bisher verpasste Chance, um Passagiere im ÖV zu lenken
Kundenbindungsprogramme dieser Art sind im Flugzeugbusiness etabliert und erfolgreich bewährt. «Dass es das im öffentlichen Verkehr noch kaum gibt, ist uns ein Rätsel», erklärt Roman Oberli. «Dies zur Verhaltensänderung im öffentlichen Verkehr zu nutzen und zu optimieren, liegt eigentlich auf der Hand.»
Axon Vibe hat mit diesem Geschäftsmodell und ihrer App zur Verkehrsverlagerung derart Erfolg, dass immer wieder Städte und ÖV-Unternehmen auf die Luzerner zukommen. Bereits sind die Algorithmen der Firma in der Londoner Mobilitätsapp live gegangen. Paris steht nun kurz vor der Umsetzung. Und auch mit der Deutschen Bahn arbeitet man schon zusammen.
Nach Erfolg im Ausland gewinnt Axon Vibe eine SBB-Ausschreibung
Besonders stolz ist Roman Oberli aber darauf, dass Axon Vibe soeben eine öffentliche Ausschreibung der Schweizerischen Bundesbahnen gewonnen hat. Die Luzerner dürfen nun anstelle von Fairtiq die Easy-Ride-Funktionalität betreuen und programmieren.
Diese ermöglicht es, innerhalb der SBB-App in Verbindung mit einer Zahlungsfunktion mittels einfachem Wischen ein Ticket zu lösen und dieses mit einem Wisch wieder zu beenden, sobald die Reise absolviert ist.
«Wir sind sehr froh darüber, dass wir unser Know-how nun auch in der Schweiz verkaufen können», sagt Oberli. In einem ersten Schritt gehe es jetzt darum, die eigenen Programmierungen aufzusetzen. Inwiefern danach weitere Funktionalitäten aufgesetzt werden könnten, sei mit der Bestellerin, der SBB, zu klären.
In der SBB-App könnten bald weitere Funktionalitäten hinzukommen
In Berücksichtigung der Erfahrungen der Luzerner IT-Entwickler, die bereits erfolgreich Verlagerungsanreize setzen und mit Kundenbindungsprogrammen verknüpfen, ist anzunehmen, dass in der SBB-App mittelfristig weitere Funktionalitäten dazukommen.
Redaktor bei zentralplus mit Themen-Schwerpunkten Politik und Kultur. Hat an der Universität Zürich Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Als ehemaliger Triathlet nach wie vor begeisterter Läufer, Rennradfahrer und Schwimmer.