Neues Verteilzentrum von Lidl

Luzerner Dörfer feiern Etappensieg gegen Mega-Discounter

Sandra Cellarius, Gemeindepräsidentin von Pfaffnau, freut sich über den Entscheid des Kantons Bern. (Bild: Lidl / Stadtkellerei)

Der Grossdiscounter Lidl will in Roggwil im Kanton Bern ein riesiges Verteilzentrum bauen. Doch mehrere Luzerner Gemeinden wehren sich dagegen. Jetzt erhalten sie Schützenhilfe vom Kanton Bern.

Roggwil: Der Name sagt dir vermutlich nichts, es sei denn, dich begeistern Gokart-Rennen. Schliesslich liegt in Roggwil die grösste Gokart-Halle der Schweiz. Und wer mit dem Zug von Luzern nach Bern unterwegs ist, fährt nur wenige Meter an dieser Halle vorbei – und somit auch am Schauplatz eines kantonsübergreifenden Streits.

Neues Verteilzentrum führt zu Mehrverkehr

Denn auf dem Areal, auf dem heute Gokart-Fahrerinnen ihre Runden drehen, will der Discounter Lidl ein neues Verteilzentrum bauen. Die Dimensionen sind riesig. 700 Meter lang, 20 Meter hoch und 100 Meter breit soll das Zentrum werden. Rund 1000 Lastwagen fahren dann täglich auf dieses Areal oder davon weg, um Lidl-Filialen im ganzen Land zu beliefern.

Doch diese 1000 Fahrten sorgen rund um Roggwil für Kritik. Denn die nächsten Autobahnanschlüsse liegen in Rothrist und Reiden und sind in beiden Fällen über zehn Kilometer entfernt. Gemäss Verkehrsgutachten nimmt der Verkehr zwischen Reiden und Roggwil zwar vergleichsweise wenig zu. Doch noch immer sind es rund 70 Lastwagen, die täglich zwischen Autobahnanschluss und Logistikzentrum durch Roggliswil, Pfaffnau und Reiden fahren – mitten durch bewohntes Gebiet.

«Wir sind froh, dass der Kanton Bern unsere Bedenken zur Kenntnis nimmt.»

Sandra Cellarius, Gemeindepräsidentin Pfaffnau

Darum haben diese drei Gemeinden gemeinsam mit drei weiteren Aargauer Gemeinden – Brittnau, Murgenthal und Rothrist – eine gemeinsame Einsprache gegen das Vorhaben eingereicht. Nicht gegen das Projekt an sich, aber gegen das planerische Vorgehen der Behörden. Denn damit Lidl das neue Zentrum überhaupt bauen kann, bedarf es einer Änderung im Zonenplan. Dieser hat die Gemeinde Roggwil 2021 an der Urne zugestimmt.

Die Abstimmung war schon eine Geschichte für sich. Denn ursprünglich lehnte die Gemeindeversammlung die Änderung im Zonenplan im August 2020 ab. Weil dort aber Corona-Schutzmassnahmen nicht eingehalten wurden, musste die Abstimmung an der Urne wiederholt werden – und wurde prompt angenommen. Diesen Entscheid haben die sechs vom Verkehr besonders stark betroffenen Gemeinden angefochten.

Pfaffnau freut sich über Entscheid des Kantons Bern

Das Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern wies diese jedoch ab, worauf die Gemeinden den Fall zur nächsten Instanz – der Berner Direktion für Inneres und Justiz (DIJ) weiterzogen. Und tatsächlich: Die DIJ hat die Beschwerde der sechs Gemeinden gegen das Vorhaben Mitte Dezember gutgeheissen.

Für Pfaffnau ist es ein wichtiger Etappensieg: «Wir sind froh, dass der Kanton Bern unsere Bedenken zur Kenntnis nimmt», sagt Gemeindepräsidentin Sandra Cellarius auf Anfrage. «Somit sind wir unserem Ziel einen Schritt näher.»

«Ein so grosses Projekt muss über ein Richtplanverfahren laufen. Weil, dann können die Nachbarkantone mitreden.»

Sandra Cellarius

Doch was ist denn überhaupt das Ziel der sechs Gemeinden, die sich gegen das Projekt wehren? Sandra Cellarius stellt klar: «Wir wollen das Projekt nicht verhindern. Aber im Moment sind aus unserer Sicht noch zu viele Fragen offen. Diese müssen erst geklärt werden, bevor das Verteilzentrum gebaut werden kann.»

Gemeinden wollen Züge statt Lastwagen

Wie diese Fragen geklärt werden sollen, ist für die Gemeinden ebenfalls klar. Nämlich im Berner Richtplan. «Ein so grosses Projekt muss über ein Richtplanverfahren laufen. Weil, dann können die Nachbarkantone mitreden», so Cellarius. Dass diese mitreden wollen, leuchtet angesichts der Lage von Roggwil durchaus ein. Die Gemeinde liegt im äussersten Zipfel des Kantons Bern, im Drei-Kantone-Eck zwischen Aargau und Luzern. Die Nachbarkantone sind vom Projekt also mindestens ebenso betroffen wie Bern selbst.

Heute liegt das Areal in Roggwil mehrheitlich brach. (Bild: Lidl)

Tatsächlich führte der Kanton Bern dieses Jahr Anpassungen im Richtplan durch und weist dort Roggwil als möglichen Standort für ein Logistikzentrum aus. Im Rahmen der Vernehmlassung hat sich der Verband «Zofingen Regio», der die Interessen von 21 Gemeinden in der Region vertritt, zu diesen Plänen geäussert: «Zentrale Erkenntnis aus dem laufenden Richtplanverfahren ist, dass sich der Standort Roggwil ausschliesslich für Logistiknutzungen eignet, die zum Grossteil mit der Bahn betrieben werden.» Der Verband fordert, dass dies so im Richtplan festgehalten wird. Ähnlich, aber weniger deutlich, hat sich auch der Kanton Luzern in der Vernehmlassung geäussert. Die Logistik soll vorwiegend mit dem Zug abgewickelt werden.

Nur ist die Logistik von Lidl nicht auf die Schiene ausgelegt – sondern eben auf die Strasse.

Der Verkehr ist gar nicht das Problem

Noch ist nicht klar, wie Lidl auf den Entscheid des Kantons Bern reagiert. Das Unternehmen hat die Möglichkeit, den Entscheid an die nächste Instanz vors Berner Verwaltungsgericht weiterzuziehen. Gegenüber der «Berner Zeitung» sagte ein Lidl-Sprecher, dass der Entscheid derzeit geprüft werde – mehr will er nicht verraten.

Die Ironie der Geschichte: Die DIJ hat die Beschwerde der sechs Gemeinden nicht aus verkehrstechnischen Gründen gutgeheissen. Denn gemäss Verkehrsgutachten können die Strassen in der Umgebung den durch das Logistikzentrum verursachten Mehrverkehr problemlos aufnehmen. Das Areal dürfte gemäss aktuellem Recht gar fast dreimal so viele Lastwagenfahrten verursachen wie in den Lidl-Plänen.

Aus Sicht der DIJ liegt das Problem aber beim Gewässerraum, wie die «Berner Zeitung» weiter schreibt. Das Verteilzentrum werde zu nahe an den Brunnbach gebaut. So erhält der Bach nicht den Platz, der ihm eigentlich zustehen würde. Lidl könnte also das Projekt anpassen, ohne beim Verkehrskonzept etwas zu ändern – und der Kanton Bern daraufhin einlenken. Für Pfaffnau würden 70 durchs Dorf brausende Lastwagen pro Tag somit zur Realität.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Sandra Cellarius
  • Telefonat mit Tobias Vogel, Abteilungsleiter Raumplanung «Zofingen Regio»
  • Artikel in der «Berner Zeitung»
  • Stellungnahme «Zofingen Regio»
  • Telefonat mit Flavia Zumbühl, Kanton Luzern
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7 Kommentare
  • Profilfoto von Tony WESPI
    Tony WESPI, 23.12.2022, 17:43 Uhr

    Sind wir froh, dass Lidl und Aldi eine wirksame Alternative bieten zu den überrissenen Preisen von Coop und Migros. Diese Logistikunternehmen schaffen viele Arbeitsplätze und preiswerte Produkte für den täglichen Bedarf.

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  • Profilfoto von Lotus
    Lotus, 20.12.2022, 14:46 Uhr
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  • Profilfoto von Rolf Oehen
    Rolf Oehen, 17.12.2022, 21:48 Uhr

    https://www.zentralplus.ch/verkehr-mobilitaet/luzerner-doerfer-feiern-etappensieg-gegen-mega-discounter-2503197/
    Ich gratuliere allen Kämpfer:Innen – gegen diese deutschen Grossverteiler: Lidl, Aldi, Müller, Obi, MediaMarkt, Hornbach & Co. Sie übernehmen schlicht alles bei uns!
    Es ist genug! Migros & Coop gehen kaputt und Deutschland übernimmt alles (nicht nur die Swissair!)
    Mich stört es schon sehr lange, dass wir (dank den linken SRF-Journis!) jeden Tag nur noch Deutsche in allen unseren TV-Gefässen (Schweiz aktuell, Tagesschau, 10vor10) hören und sehen müssen, welche uns unsere Schweiz erklären! Das Letzte! Wollen wir eigentlich zum südlichsten Bundesland mutieren? Um
    Super, dass Ihr gewonnen habt! Aber bleibt ja dran, denn die werden diese Lagerhallen anderswo reinzwängen!
    Übrigens, den neu zugewanderten Leuten und illegalen Eindringlingen ist unser Land egal, sie wollen nur alles billiger oder gar ganz gratis! Wir müssen uns wehren, sonst gibt es unsere Schweiz bald nicht mehr!

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    • Profilfoto von tore
      tore, 19.12.2022, 18:25 Uhr

      Tja – meistens sind es genau die von Ihnen gebashten Linken, die sich gegen die Multis wehren, sich für das Regionale und Nachhaltig einsetzen. Aber eben …

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    Verbundene Scholle, 16.12.2022, 21:24 Uhr

    Die Gier ist schneibar nach mehr nicht zu stillen. Wo bleibt da die Biodiversität bei so imensem Kulturlandverschleiss.

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    • Profilfoto von Martin
      Martin, 16.12.2022, 22:49 Uhr

      Da wird kein Kulturland verschlissen. Es ist ja schon zum grössten Teil überbaut.

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    • Profilfoto von Karl-Heinz Rubin
      Karl-Heinz Rubin, 22.12.2022, 08:59 Uhr

      Zum Thema Kulturlandverschleiss……….
      Das Gugelmann-Areal.
      Einst eine bedeutende Weberei – vor nun 31 Jahren in 1990 stillgelegt. Den Namen hat das Areal vom einstigen Besitzer Johann Friedrich Gugelmann, welcher 1864 eine Weberei mit 60 Webstühlen gründete. Die Lage war ideal – in Dorfnähe, und mit zahlreichen Flüsschen sowie gleich neben dem 1857 gebauten Bahnhof. Auch heute ist die Bahnlinie noch neben dem Gugelmann-Areal.

      Innerhalb von 20 Jahren ist die Anzahl an Webstühlen um das 6-Fache angestiegen, und bis 1935 waren es mehr als 700 Stühle, mit welchen verschiedenste Textilien, Wollstoff, Bauwollstoff, Leinenstoff, Seidenstoffe, und Zelttuch produzierte. Um diese Fabrik zu betreiben, hatte die Firma 723 Angestellte – und war somit von existentieller Bedeutung für die Gemeinde Roggwil.

      Ganze Jahrgänge von Schulabgängerinnen und -abgängern traten in die Firma ein. Als sich jedoch das wirtschaftliche Glück der Firma in den 1970er Jahren zu wenden begann, war auch das ganze Dorf betroffen. Trotz Massnahmen konnte sich die Firma nicht erholen und wurde 1989 an Adrian Gasser verkauft und in die Lorze AG, Baar (ZG) eingegliedert. Von den 600 Angestellten als die Firma übernommen wurde, waren es 1 Jahr später nur noch 250, die mit der Stilllegung ihren Job verloren.

      In den folgenden Jahren wurde die Fabrik durch eine Serie von teilweise ungeklärten Bränden mehrmals beschädigt. Am verheerendsten war ein Grossbrand im 2001 – danach mussten mehrere Bauten abgebrochen werden. In mehreren Schritten wurden danach auch die restlichen Gebäude abgebrochen, bis 2010 die Gemeinde den Abbruch sämtlicher verbleibenden Gebäude freigab.

      Trotzdem bleibt das Gugelmann-Areal ein wichtiger Teil der Historie von Roggwil – und durch seinen Standort neben dem Bahnhof von Roggwil auch eine attraktive Lage für Firmen. Gerade auch das Interesse von Lidl am Areal ist ein eindrücklicher Nachweis dazu.

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