Nun antwortet der Kanton auf die Kritik am Durchgangsbahnhof Luzern. Dabei zeigt sich: Die Zürich-Verbindungen sind nicht das Hauptargument für den Bahnhof. Und: Der Bund wird das Milliardenprojekt aufteilen.
Der Durchgangsbahnhof Luzern (DBL) hat eine neue Gegnerschaft. Der Verein IG Eisenbahnkreuz Innerschweiz ging diese Woche mit einem Gegenprojekt an die Öffentlichkeit und äusserte massive Kritik am heutigen Projekt (zentralplus berichtete). Was sagt der Kanton dazu?
Baudirektor Fabian Peter (FDP) lehnte ein Interview ab. Stattdessen schickt das Baudepartement Sabine Ruoss nach vorn. Die Wolhuserin ist die Gesamtkoordinatorin DBL des Kantons Luzern. Sie gilt als Schnittstelle zwischen Bevölkerung, Ämtern, SBB und dem Bundesamt für Verkehr und hat die neuesten Informationen.
zentralplus: Sabine Ruoss, was halten Sie vom Projekt Eisenbahnkreuz Innerschweiz?
Sabine Ruoss: Dass sich so viele Menschen über den Bahnknoten Luzern Gedanken machen, zeigt uns, dass das Verkehrsproblem ein grosses Thema ist. Wir kennen die Idee des Vereins, aber keine Details. Gesprächsbereit sind wir, man kann immer auf uns zukommen.
zentralplus: In der Politik wird der DBL breit unterstützt. Über den Rückhalt im Volk ist wenig bekannt. Warum gab es keine Bevölkerungsumfrage?
Ruoss: Bei einer Volksabstimmung im Jahr 2009 wurde ein 20-Millionen-Franken-Kredit für ein Vorprojekt mit 75 Prozent der Stimmen angenommen. Daher wissen wir, dass der DBL grundlegend unterstützt wird. Auch bei unserer diesjährigen Luga-Ausstellung waren die Besucher sehr interessiert. Zusätzliche Umfragen kann man sich aber immer überlegen. Dennoch: Das Bundesamt für Verkehr (BAV) ist Auftraggeber des DBL, und die SBB sind Auftragnehmer. Wir als Region sind lediglich Partner.
zentralplus: Mit dem Durchgangsbahnhof gibt es künftig vier Minuten schnellere Verbindungen nach Zürich sowie einen Viertelstundentakt. Sind das die einzigen Vorteile?
Ruoss: Überhaupt nicht. Der Zeitgewinn nach Zürich ist nicht der Hauptgrund, warum wir den DBL bauen. Das Hauptanliegen sind S-Bahnen in alle Richtungen mit einem Viertelstundentakt. Im Vollausbau wird Luzern ein S-Bahn-System erhalten, vergleichbar mit dem in Zürich.
zentralplus: Und im Fernverkehr?
Ruoss: Nach Bern, Basel und Olten werden nach dem Bau des DBL jede halbe Stunde Züge fahren können. Auf der Strecke Basel-Tessin rechnen wir mit einem Fahrzeitgewinn von bis zu 20 Minuten. Mit dem heutigen System ist keine dieser Verbindungen möglich.
zentralplus: Dafür nimmt die Stadt Luzern eine jahrelange Baustelle im Zentrum in Kauf. Und der Bund 3,3 Milliarden Franken Kosten. Ist das gerechtfertigt?
Ruoss: Diese Abwägung ist Aufgabe des BAV: Das Bundesamt wird im Rahmen der Botschaft 2026 sämtliche Projekte in der Schweiz einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen.
zentralplus: Spricht Bern mit dem nächsten Ausbauschritt – der Botschaft 2026 – nur einen Teil des Geldes, werden zuerst der Dreilindentunnel und der Tiefbahnhof gebaut. Luzern hätte zwei Sackbahnhöfe übereinander. Korrekt?
Ruoss: Wir haben von Bundesrat Albert Rösti erfahren, dass die Finanzierung des Durchgangsbahnhofs sehr wahrscheinlich auf zwei Botschaften aufgeteilt wird. Dreilindentunnel und Tiefbahnhof sollen mit der Botschaft 2026 und der Neustadttunnel mit der Botschaft 2030 zur Finanzierung vorgeschlagen werden. Der Kanton Luzern macht sich dafür stark, dass trotz getrennter Finanzierung der Bau in einem Zug möglich ist.
zentralplus: Daher haben Regierungsrat und Kantonsrat gemeinsam eine Standesinitiative lanciert. Warum bietet Luzern nicht an, Baukosten zu übernehmen? Der Kanton Zürich hat für seinen Durchgangsbahnhof 700 Millionen Franken selbst gezahlt.
Ruoss: Als die Durchmesserlinie Zürich gebaut wurde, galt noch eine andere Gesetzgebung. Heute wird die Bahninfrastruktur auf nationaler Ebene koordiniert. Eine Vorfinanzierung ist nur möglich, wenn es ein vom Bundesparlament beschlossenes Projekt gibt.
zentralplus: Das bedeutet: Wenn das Bundesparlament mit der Botschaft 2026 die Finanzierung der ersten Etappe des DBL annimmt, könnte der Kanton Luzern anschliessend anbieten, den Bau des Neustadttunnels als zweite Etappe selbst vorzufinanzieren.
Ruoss: Das ist aktuell kein Thema. Wir setzen uns beim Bund für den Durchgangsbahnhof als Gesamtprojekt ein, der politische Prozess läuft, und wir sind zuversichtlich, dass er Erfolg haben wird.
zentralplus: Schon heute nutzen 100’000 Passagiere pro Tag den Bahnhof Luzern. Mit dem DBL soll sich die Zahl verdoppeln. Wäre es nicht klüger, die Passagierströme aus dem engen Zentrum fernzuhalten und in der Agglomeration Ausbauten vorzunehmen?
Ruoss: Die Mobilität wächst mit der Bevölkerung. Dieses Wachstum müssen wir bewältigen. Mit dem DBL sind Schnellzughalte in Sursee, Ebikon und Emmen möglich. Ausserdem erhält die gesamte Agglomeration schnelle S-Bahnen ins Zentrum. Luzern ist heute im Vergleich sehr schlecht ans Fernverkehrsnetz angebunden, da haben wir Nachholbedarf.
zentralplus: Der Verein IG Eisenbahnkreuz Innerschweiz schlägt vor, auch Kriens und Littau an den Fernverkehr anzuschliessen. Langfristig soll es dann eine direkte Südverbindung zum Gotthard-Basistunnel geben. Was halten Sie davon?
Ruoss: Der DBL ist das bestmögliche Projekt. Das hat unser Variantenstudium mit 30 verschiedenen Projekten gezeigt. Die Idee, Luzern südlich an die «Neue Eisenbahn-Alpentransversale» (Neat) anzuschliessen, ist uns selbstverständlich bekannt. Das war aber lange vor unserer Zeit und konnte sich nie durchsetzen.
zentralplus: Wäre diese Südanbindung nicht eine erneute Überlegung wert?
Ruoss: Heute haben wir vier Engstellen: die Einfahrt beim Gütsch, die Strecke am Rotsee, die Bahnhofseinfahrt und den Bahnhof mit zu wenigen und zu kurzen Gleisen. Diese Mängel müssen wir angehen. Für den DBL liegt ein solides Vorprojekt vor, das über hundert Planerinnen und Planer erarbeitet haben und hinter dem alle Zentralschweizer Kantone und der Bund stehen. Das ist, was zählt.
- Interview mit Sabine Ruoss, Gesamtkoordinatorin DBL des Kantons Luzern
- zentralplus-Medienarchiv zum Durchgangsbahnhof Luzern
- Website zum Durchgangsbahnhof Luzern