Auf Zahlenjonglage mit der Baudirektion

Kanton Zug beschönigt Wirkung der Tangente

Baudirektor Florian Weber bei der Eröffnung der Tangente zwischen Zug und Baar. Nun, ein Jahr später, rechtfertigt er den Nutzen der Umfahrungsstrasse. (Bild: Andreas Busslinger)

Die Tangente zwischen Zug und Baar ist seit rund einem Jahr in Betrieb. Der Kanton spricht von einer Erfolgsgeschichte. Das stimmt – je nach Auslegung der Zahlen.

Nicht frei von Stolz verkündete die Zuger Baudirektion diesen Frühling: «Die Tangente Zug/Baar ist eine Erfolgsgeschichte». In einer Medienmitteilung unterstrich der Kanton den Nutzen des Millionenprojekts: «Die anvisierten Ziele bezüglich der Entlastung der Strassen in Baar und Zug konnten erwartungsgemäss erfüllt werden.» (zentralplus berichtete)

Die nackten Zahlen geben der Baudirektion recht. In einer Tabelle listete sie Verkehrszählungen an verschiedensten Standorten vor und nach Eröffnung der Tangente auf. Die Zahlen sind eindrücklich: Im Vergleich zu 2016 hatte es 2022 56 Prozent weniger Verkehr auf der Ägeristrasse und 36 Prozent weniger Autos auf der Marktgasse in Baar. An allen Messpunkte in Baar beträgt die Reduktion des Verkehrs deutlich mehr als 20 Prozent im Vergleich zu 2016.

Wirkung der Tangente liegt in Zug unter den Erwartungen

Auch für die Stadt Zug sehen die Zahlen vielversprechend aus. 17 Prozent weniger Autos auf der Ägeri- und 13 Prozent weniger Verkehr auf der Baarerstrasse lautet hier die Erfolgsbilanz der Tangente. Das klingt zwar nach viel – ist es aber nur auf den ersten Blick. Denn diese Zahlen liegen unter den Erwartungen. Und zwar deutlich.

So warb der Kanton Zug 2009 im Abstimmungskampf zum Bau der Tangente mit einem weitaus grösseren Nutzen für die Stadt Zug. Im Abstimmungsbüchlein hiess es: «Ein Grossteil der heutigen Umwegfahrten durch das Ortszentrum von Baar und die Wohngebiete von Zug Nord wird somit entfallen. Mit höchst erfreulichen Wirkungen für die Anwohnerschaft.»

Was der Kanton unter «höchst erfreulich» verstand, führte er in Zahlen aus. Für die Ägeristrasse in Zug rechnete die damalige Regierung mit einer Verkehrsreduktion von knapp 40 Prozent. Und auf der Baarerstrasse erhoffte sich der Kanton gar eine Halbierung des Verkehrsaufkommens durch den Bau der Tangente.

«Die Zahlen zeigen, dass die Entlastungswirkung bei drei von vier Messstellen sogar übertroffen wurde.»

Florian Weber, Baudirektor Kanton Zug

Immerhin: Die Prognosen für die Ägeristrasse und Marktgasse in Baar konnte die Tangente erfüllen. Im Zuger Stadtgebiet ist die Realität von den Prognosen jedoch weit entfernt. Wie also kommt es zu diesen grossen Differenzen? Die Suche nach der Antwort auf diese Frage führt in eine diffuse Welt der Zahlenspielerei.

Baudirektion bestreitet Differenzen

Es gäbe nämlich gar keine Differenzen, antwortet die Zuger Baudirektion auf Anfrage. Baudirektor Florian Weber sagt: «Die Zahlen zeigen, dass die Entlastungswirkung bei drei von vier Messstellen sogar übertroffen wurde. Einzig bei der Baarerstrasse erfolgte eine Entlastung von lediglich 42 Prozent anstelle der prognostizierten 50 Prozent.»

Diese Aussage irritiert, denn in der erwähnten Medienmitteilung der Baudirektion betrug die Verkehrsreduktion auf der Baarerstrasse nur 13 Prozent. Woher nimmt Florian Weber also diese zusätzlichen 30 Prozentpunkte?

Übertriebene Prognosen führen zu schönen Zahlen

Die simple Antwort: aus anderen Zahlen. So vergleicht die Baudirektion für ihre Antworten auf die Anfrage von zentralplus nicht die Verkehrszahlen von 2022 mit jenen von 2016. Sondern sie rechnet mit den Verkehrsprognosen aus dem Jahr 2009, die für das Abstimmungsbüchlein verwendet wurden. Für die Abstimmung hat der Kanton das Verkehrsaufkommen für das Jahr 2020 ohne Tangente geschätzt, um im Vergleich zu diesen Prognosen den Effekt der Tangente benennen zu können.

Und tatsächlich ist die Erfolgsbilanz der Tangente im Vergleich zur Prognose unbestreitbar. An sämtlichen Messpunkten, bis auf die Leihgasse in Baar, beträgt die Verkehrsreduktion in diesem Szenario über 30 Prozent.

Das bedeutet letztlich: Der Kanton Zug hat das Verkehrswachstum überschätzt. Die gemessenen Verkehrszahlen 2016 sind an den meisten Stellen deutlich tiefer als die Prognosen für das Jahr 2020. Für Zugerinnen ist das zwar erfreulich, weil sie weniger im Stau stehen und von weniger Verkehrslärm geplagt werden als angenommen.

Gleichzeitig hinterlässt die Geschichte einen schalen Nachgeschmack, weil die Zahlen aus dem Abstimmungsbuch letztlich auf übertriebenen Prognosen beruhen. Darauf angesprochen rechtfertigt sich die Baudirektion und antwortet, dass die Prognose elf Jahre im Voraus gemacht wurde. Entsprechende Abweichungen seien darum normal. «Aus unserer Sicht ist die Prognose als gut zu bewerten», hält die Direktion abschliessend fest.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Richard Ephraim Scholl
    Richard Ephraim Scholl, 22.07.2022, 19:26 Uhr

    Ganz einfach, die damalige Prognose ignorierte die Wirkung der ungebremsten Masseneinwanderung. . Jedes Jahr 50 000 mehr Automobile in
    der Schweiz. Auch die Ukrainer fahren nicht Velo.

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 18.07.2022, 18:43 Uhr

    Wie beurteilt der Autor die Aussage der Baudirektion im letzten Abschnitt?

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    • Profilfoto von Dani Pitterli
      Dani Pitterli, 18.07.2022, 20:13 Uhr

      Der Herr Greter. Immer für eine provokative Kürzestfrage gut. Warum soll der Autor diese Aussage beurteilen, können Sie das nicht selbst?

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      • Profilfoto von Roli Greter
        Roli Greter, 19.07.2022, 09:04 Uhr

        Leider wird meine Antwort an Sie nicht veröffentlicht Herr oder Frau Pitterli. Es hätte eine themenbezogene Diskussion entstehen können…

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