Inseliquai sperren, sagt er – und frischt eine alte Drohung auf
Alexander Stadelmann vom TCS erklärt, wie sein Verband den Verkehr der Zukunft denkt. (Bild: zvg)
In Luzern sind Tempo 30 und autofreie Quartiere auf dem Vormarsch. Besonders beim Bahnhof stehen viele Entscheidungen an. Einer blockt – und erklärt nun, warum genau.
Luzern steht vor grossen Umbrüchen. Mit dem Durchgangsbahnhof (DBL) plant der Bund ein Milliardenprojekt im Stadtzentrum. Gleichzeitig soll der Bypass eine neue Röhre durch den Sonnenberg bringen. Die Stadt ihrerseits baut Parkplätze ab und träumt von autofreien Klimaquartieren. Die Jungen Grünen haben erfolgreich eine Initiative für eine autofreie Innenstadt eingereicht. Und eine Allianz von Quartiervereinen verlangt vehement Tempo 30 – in einer Stadt, die als lärmigste der Deutschschweiz gilt.
Parallel arbeiten Stadt und Kanton am Masterplan Bahnhof. In zwei Jahren muss feststehen, wie der DBL erreichbar ist: mit Auto, Velo oder Bus. Es geht um Grünräume, Begegnungszonen, Busspuren, Velostrassen – und um die Frage, wie der erwartete Anstieg auf 200’000 Fahrgäste pro Tag am Bahnhof klug organisiert wird (zentralplus berichtete).
Verkehrsverbände mischen mit
In dieser Debatte spielen Verbände eine zentrale Rolle. Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), traditionell pro Velo und ÖV, sammelt Stimmen gegen den Bypass – zusammen mit linken Parteien. Der Touring Club Schweiz (TCS) hingegen kämpft unter anderem gegen Tempo 30 auf der Baselstrasse.
Beide Organisationen nehmen an Vernehmlassungen teil, arbeiten in Mitwirkungen mit – und gelegentlich auch hinter verschlossenen Türen. Dort nehmen sie Einfluss und bestimmen so entscheidend mit, wie die Mobilität der Zukunft aussehen wird.
warum der Verband überzeugt ist, für die Mehrheit der Luzerner zu sprechen
wen der TCS für den Lärm in der Stadt verantwortlich macht
Eine dieser Plattformen für Verbände und andere Betroffene ist die neue Echogruppe. Stadt und Kanton haben sie ins Leben gerufen, um den Masterplan Bahnhof mit wichtigen Akteuren zu diskutieren. Beim ersten Treffen vor wenigen Wochen fehlte jedoch ein bedeutender Player: der TCS.
Eine Drohung steht im Raum
Das Fernbleiben hat eine Vorgeschichte. Als erste Varianten der künftigen Verkehrsführung bekannt wurden, reagierte der TCS mit einer scharfen Drohung: Sollte der Autoverkehr künftig durch das Tribschenquartier zum Bahnhof geführt werden, werde man die Umsetzung des DBL bekämpfen (zentralplus berichtete).
Die Drohung wiegt schwer: Die Sektion Waldstätte zählt 60’000 Mitglieder in Luzern, Obwalden und Nidwalden – schweizweit sind es 1,6 Millionen. Die Zentralschweizer Kantone, die erst kürzlich via Standesinitiative in Bern Druck für den DBL machten, können einen solchen Gegner kaum gebrauchen.
Stadelmann vom TCS Luzern hat eine klare Haltung
Wir haben beim Geschäftsführer der Sektion Waldstätte, Alexander Stadelmann, nachgefragt. Einige Tage später liefert er eine ausführliche Antwort. Die Position bleibt klar: Der Durchgangsbahnhof sei nur dann unterstützenswert, wenn er «mit allen Verkehrsmitteln auf direktem Weg» erreichbar sei. Nur so werde er seiner Rolle als Verkehrsdrehscheibe gerecht.
Umsteigen müsse «einfach und bequem» sein. Diese Bedingung sei «unverhandelbar».
Ein Umweg durchs Tribschenquartier lehnt der TCS kategorisch ab: ökologisch unsinnig, sicherheitstechnisch fragwürdig. Stattdessen schlägt er vor, zu prüfen, den Inseliquai für den Durchgangsverkehr zu sperren. So wäre die Zufahrt via Tribschen überflüssig.
Ein Inseliquai ohne Durchgangsverkehr wurde bereits 2022 vom Stadtrat geprüft, damals in der Debatte um die Määs. Er lehnte die Idee ab. Die anderen beiden Varianten, die der Echogruppe präsentiert wurden, führen via Bahnhofplatz oder über eine Brücke vom Bundesplatz zur Uni (wir berichteten).
Tempo 30? Nein danke
Warum der TCS gegen Tempo 30 auf der Baselstrasse klagt, wollten wir ebenfalls wissen. Dort hatte die Stadt bereits grünes Licht gegeben, das Kantonsgericht bestätigte den Entscheid. Doch der TCS legte Beschwerde beim Bundesgericht ein (wir berichteten hier).
Stadelmann argumentiert, Hauptstrassen müssten zuverlässig befahrbar bleiben – sonst wichen Autofahrer auf Quartierstrassen aus. Er verweist auf eine Umfrage von GFS.Bern, wonach 74 Prozent der Luzerner mit dem Tempo vor ihrer Haustür zufrieden seien. Tatsächlich zeigt die Erhebung: Nur jeder siebte findet das Tempo zu hoch.
Allerdings gaben auch mehr als die Hälfte der befragten Luzernerinnen und Luzerner an, mit der Verkehrssituation insgesamt unzufrieden zu sein. Zu eng, zu viel Verkehr, zu laut (wir berichteten hier).
Für Stadelmann ist die Botschaft der Studie dennoch klar: Die Mehrheit stehe hinter der Haltung des TCS. Tempo 30 sei kontraproduktiv – auch für den ÖV. In Zürich sei bereits eine Buslinie eingestellt worden, weil sie sich bei reduziertem Tempo nicht mehr rechne, mahnt er.
Lärm sei nicht gleich Lärm, sagt der TCS
Den Verkehrslärm in Luzern bestreitet Stadelmann nicht. 1200 Häuser mit 7000 Wohnungen überschreiten laut Quartiervereinen die Lärmgrenzwerte. Doch er macht vor allem die Topografie verantwortlich: Enge Strassen, steile Hänge – Mobilität sei hier schwieriger als anderswo.
Und er relativiert: Auch Busse machten Lärm, ebenso das Nachtleben. Autos seien durch Elektrifizierung zunehmend leiser – sie allein zum Sündenbock zu machen, greife zu kurz.
Alle Verkehrsmittel – auch das Auto
Eine autofreie Innenstadt, wie von den Jungen Grünen gefordert, lehnt der TCS ebenfalls ab. Stadelmann plädiert dagegen für Lösungen mit «allen Verkehrsmitteln». Park+Ride-Angebote am Stadtrand findet er sinnvoll – sie könnten das Zentrum entlasten und Platz für lebenswerte Quartiere schaffen.
Zum Schluss erinnert der TCS-Geschäftsführer nochmals an die Bedeutung der «Zwillingsprojekte» DBL und Bypass: Nur gemeinsam würden sie zum «Quantensprung» in der Mobilität führen. Ein Gegeneinander schade am Ende vor allem Luzern.
Der TCS macht somit deutlich: Ohne direkte Zufahrt mit dem Auto wird er den Durchgangsbahnhof nicht unterstützen. Damit bringt sich der Verband in eine Schlüsselposition – mitten in einer Debatte, die längst um mehr geht als ein Infrastrukturprojekt. Es geht darum, wie in Zukunft in der Stadt Luzern gelebt wird.
seit 2022 im Journalismus, davor Politikwissenschaftler, Reisender und Steinbildhauer. Bei zentralplus vom Praktikanten, zum Volontär bis zum Ressortchef alles durchlaufen. Heute Co-Redaktionsleiter mit einem Hang zu guten Texten.
Gemäss GfS-Studie wohnen 74% der Luzerner:innen an einer Strasse mt Tempo 30 oder tiefer. Exakt 74% finden das Tempo an ihrer Wohnstrasse nicht zu hoch. Wie man daraus schliessen kann, dass die Luzerner Bevölkerung gegen Tempo 30 sei, ist mir etwa so schleierhaft, wie wenn der TCS in seiner Argumentation plötzlich von Ökologie spricht (und ja, selbstverständlich wäre Tempo 30 ökologischer als Tempo 50, hier spielt das Thema dann einfach keine Rolle, wie meistens beim Autoverband…)