Die neue E-Vignette – eine 40 Jahre alte Idee aus Luzern
Wer sich unter dem Jahr ein anderes Auto kaufte, musste bisher auch eine neue Vignette kaufen. Das ändert sich im neuen Jahr mit der übertragbaren E-Vignette. Der Littauer Marcel P. Witschi kämpfte schon vor 40 Jahren für eine solche Lösung.
Um die Schweizer Autobahnen und -strassen zu nutzen, musste man bisher jährlich eine Klebevignette kaufen. Ab dem Jahr 2024 kann man sich zwischen der herkömmlichen Klebe- und der E-Vignette entscheiden. Der grösste Unterschied zwischen den beiden: Die Klebevignette ist ans Fahrzeug gebunden, die E-Vignette hingegen ans Kontrollschild. Wenn also beispielsweise die Windschutzscheibe kaputtgeht oder man ein neues Auto kauft, muss man keine neue Vignette kaufen.
Bisher war dies nicht möglich. Das Ablösen und Übertragen der Klebevignetten auf andere Fahrzeuge sind nämlich verboten. Abgelöste Klebevignetten sind ungültig. Die neue E-Vignette birgt deshalb auch einen Vorteil für alle, die mit zwei Fahrzeugen und einem Wechselschild fahren: Ab jetzt reicht eine Vignette für beide Fahrzeuge.
Die Autovignette gibt es seit 1985
Am 25. Februar 1984 stimmten knapp 53 Prozent der Schweizer Bevölkerung für die Einführung einer Autobahnvignette. Unzufrieden über diese neue Regelung damals war der ehemalige Privatdetektiv Marcel P. Witschi. Er sei nicht gegen eine Vignette, aber gegen diese «kriminelle Vignettenverordnung», wie der Littauer sie in seinem Buch nennt.
«Das Volk wurde vor der Abstimmung dermassen belogen, dass es im Bundeshaus die Balken gebogen hat», erläutert Witschi. Die Autofahrer hätten bereits vorher sämtliche Kosten des Strassennetzes in der Schweiz vollumfänglich aus Benzingeldern bezahlt. Was Witschi aber besonders sauer aufstiess: Dass die Vignette nicht auf ein anderes Auto übertragen werden kann und somit die gleiche Gebühr in gewissen Fällen mehrmals beglichen werden muss.
Der Littauer wollte sich mit einem Einschreiben bei der Bundeskanzlei wehren. Darin rechnete er die Summe vor, welche «von der Bundeskasse geschluckt wird», ohne dass sie ihr eigentlich zustehen würde. Der Privatdetektiv ging von jährlich 340’000 Vignetten aus, die zusätzlich gekauft werden mussten. Seine Rechnungen stützte er auf Zahlen zu den Verschrottungen und den Käufen von neuen Autos. Beim damaligen Vignettenpreis von 30 Franken das Stück würde sich die Summe laut Witschi auf 10,2 Millionen Franken jährlich belaufen, die der Staat aufgrund der doppelten Zahlung einnahm.
Über die Person
Marcel P. Witschi arbeitete als Privatdetektiv. Mit seinen Kämpfen in der Öffentlichkeit – wie jener für die Wechselvignette – machte er sich einen Namen in der Schweiz. Über ihn berichteten neben lokalen Zeitungen unter anderem der «Blick» und der «Tages-Anzeiger».
Der mittlerweile 73-Jährige hat sich weitestgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. In seinem im Jahr 1990 erschienen Buch «Die Macht des Staates oder wie der Staat es macht!» erzählt er von «Amtsmissbrauch, Korruption, Begünstigung, Beamtenfilz und Volksbetrug». Auch den Vignettenfall rollt er darin breit aus.
Der ehemalige Privatdetektiv schmiedete einen Plan. Im Januar 1985 kaufte er vorbildlich die Vignette. Er klebte sie jedoch nicht ordnungsgemäss auf die Windschutzscheibe – sondern zuerst auf eine Haftfolie, die er wiederum an die Scheibe klebte. So befuhr der Privatdetektiv am 16. Januar die Autobahn. Er informierte vorher die Polizei und liess sich medial begleiten. Sein Ziel: Er wollte in flagranti ertappt werden, um gegen die Vignettenverordnung vor Gericht zu kämpfen.
Wenig später wurde er vom Amtsstatthalteramt aufgrund «missbräuchlicher Verwendung der Autobahnvignette an PW» vorgeladen. Dann die Überraschung: Die Untersuchung gegen ihn wurde kurz darauf eingestellt. Es lege erst ein Missbrauch vor, wenn die Vignette auf ein anderes Auto übertragen werde.
Wenige Monate später reichte Witschi Strafanzeige gegen sich selbst ein. Er habe einen Fahrzeugwechsel vorgenommen. Dafür habe er seine Klebevignette abgelöst und auf der Frontscheibe des neuen Autos angebracht. Die Behörden warfen ihm die «missbräuchliche Verwendung einer Vignette» vor und bestraften ihn mit einer Busse von 100 Franken.
Witschis Forderungen wurden mit knapp 40 Jahren Verspätung erhört
Der Littauer erhebte Einsprache. Doch das Amtsgericht bestätigte den Entscheid des Amtsstatthalteramtes. Das Gericht stützte sich dafür auf ein Bundesgerichtsurteil. «Es macht mich wahrhaftig betroffen, sehen zu müssen, wie dieser Volksbetrug durch obrigkeitliche Absegnung weiter praktiziert wird», sagte Witschi im November 1985 gegenüber dem «Luzerner Tagblatt». Er verkündete, dass er seinen Vignettenkampf aufgebe.
Jetzt scheint es, als ob Marcel P. Witschi knapp 40 Jahre später doch recht gegeben wurde. Der Bund begründet die Einführung der E-Vignette nämlich ziemlich genau mit der Argumentation, die Witschi damals hervorbrachte.
So funktioniert die neue E-Vignette
Die E-Vignette kann online erworben werden und kostet ebenfalls 40 Franken. Sowohl die Klebe- als auch die E-Vignetten sind 14 Monate lang gültig – vom 1. Dezember des Vorjahres bis zum 31. Januar des Folgejahres. Die elektronische Vignette ist ans Kontrollschild gebunden. Wenn man im Verlauf des Jahres in einen neuen Kanton zieht und dadurch das Kontrollschild wechselt, kann dieses einmalig online geändert werden.
Doch wie werden die Vignetten überprüft? Ob eine Gebühr bezahlt worden sei, würden die Behörden stichprobenartig anhand der Schilder prüfen, schreibt «SRF». Im Inland werde die Kantonspolizei und an den Grenzübergängen die dortigen Mitarbeitenden dafür die Kontrollschilder abfragen.
- Website vom Bund zur E-Vignette
- FAQ vom Bund zur E-Vignette
- Informationen zur Abstimmung vom 26.2.1984
- Buch «Die Macht des Staates» von Marcel P. Witschi
- Artikel von «SRF»