Geschichtsforschung soll Klarheit bringen

Verdienten reiche Luzerner an der Sklaverei mit?

Er ist Professor für Globalgeschichte im historischen Seminar der Universität Luzern: Daniel Speich Chassé (Bild: zvg)

Zürich war während Jahrhunderten in den internationalen Sklavenhandel verwickelt. Ob auch Luzern eine solch düstere Vergangenheit hat, soll nun geklärt werden. Im Gespräch erklärt ein Historiker der Universität Luzern, was da dran sein könnte und weshalb die Recherche nicht einfach ist.

Hat sich Luzern in der Vergangenheit an der Sklaverei beteiligt? Das wollen zwei Vertreter der SP-Fraktion im Stadtluzerner Parlament wissen. In ihrer Motion verweisen sie auf die Stadt Zürich, in der eine Untersuchung dieser Art genau dies gezeigt hatte (zentralplus berichtete).

Grosse Schweizer Städte wie Zürich hatten in der Vergangenheit nämlich durchaus direkt oder indirekt mit Sklaverei und Sklavenhandel zu tun: Bereits im September kam in der grössten Stadt der Schweiz nämlich ein Bericht heraus, der die gesamte Historie rund um die Sklaverei aufrollt, bei der die Stadt Zürich ihre Hände im Spiel hatte.

Die Historiker stellten fest: Die Stadt Zürich war an der Verschleppung von insgesamt 36'494 Afrikanerinnen und Afrikanern beteiligt. Dies, weil die Stadt im 18. Jahrhundert Anteile der South Sea Company, einer englischen Gesellschaft, die im Sklavenhandel aktiv war, gekauft hat. So steht es in einem Bericht der Universität Zürich geschrieben.

Interesse bei Luzerner Wissenschaft ist gross

Mit der aktuellen Forderung stossen nun die Luzerner Sozialdemokraten bei wissenschaftlichen Gremien auf grosses Interesse. Zentralplus hat mit Daniel Speich Chassé gesprochen (Professor für Globalgeschichte im Historischen Seminar der Universität Luzern), der die Motion bereits in ihrer Gänze kennt.

zentralplus: Herr Speich Chassé, was halten Sie vom Vorstoss, dass die Geschichte Luzerns hinsichtlich der Sklaverei wissenschaftlich aufgearbeitet werden soll?

Daniel Speich Chassé: Das Thema interessiert mich als Historiker sehr. Daher freut es mich, dass ein politischer Vorstoss die Sklavereigeschichte Luzerns objektiv aufarbeiten will.

zentralplus: Wie viel wissen wir denn schon zu diesem Thema?

Speich Chassé: Die Forschungen stehen noch ganz am Anfang. Es wäre schön, wenn man Gelder spricht, um dies wissenschaftlich untersuchen zu können.

zentralplus: Könnte man aber in Luzern von ähnlichen Resultaten wie in Zürich ausgehen?

Speich Chassé: Das ist aktuell schwierig zu sagen. Luzern war im 18. Jahrhundert bestimmt weniger industriell ausgerichtet als es Zürich war. Dennoch kann man sagen: Die Stadt Luzern hat mit Solddiensten viel Geld verdient.

«In Luzern gab es schon immer reiche Menschen. Dass da auch in Sklavenplantagen investiert worden ist, kann nicht ausgeschlossen werden.»

Daniel Speich Chassé, Professor für Globalgeschichte

zentralplus: Inwiefern?

Speich Chassé: Die Stadtluzerner haben im Auftrag von grossen Kriegsherren, wie Napoleon einer war, junge Männer vom Land als Soldaten vermittelt, die dann später im Krieg und bei Eroberungszügen eingesetzt wurden. Diese Soldaten wurden aber entlohnt.

zentralplus: Das haben aber die Obwaldner auch gemacht.

Speich Chassé: Absolut. Der Solddienst war in der ganzen Innerschweiz ein grosses Thema. Mit Sklaverei hat das direkt wenig zu tun. Aber es zeigt, wie lange die Innerschweiz schon weltweit verflochten gewesen ist. Vielleicht haben Luzerner Söldner in der Karibik oder anderswo Sklavenaufstände bekämpft.

zentralplus: Gibt es andere Ansatzpunkte, wo Luzern Sklaverei oder Sklavenhandel betrieben beziehungsweise finanziert haben könnte?

Speich Chassé: In Luzern gab es schon immer reiche Menschen. Dass da auch in Sklavenplantagen investiert worden ist, kann nicht ausgeschlossen werden. Ich hüte mich aber vor einer solchen Spekulation. Was nicht erforscht ist, kann nicht behauptet werden.

zentralplus: Weshalb ist diese Thematik bisher denn kaum erforscht?

Speich Chassé: In der Geschichtsforschung hat man sich früher eher auf lokale Zusammenhänge fokussiert. Das hat sich mittlerweile geändert. Gerade aktuelle Anlässe wie die Black Lives Matter-Bewegung sowie auch die bevorstehenden Abstimmungen zur Unternehmensverantwortung und zu den Kriegsgeschäften sensibilisieren die Bevölkerung mehr und mehr dafür, darauf zu achten, wo die Schweiz überall ihre Finger im Spiel hat.

«Es gibt extrem viele spannende Bezüge, die Luzern zum Rest der Welt hat. Da forschen wir auch aktiv.»

Daniel Speich Chassé, Professor für Globalgeschichte

zentralplus: Aber Sie forschen doch schon länger mit globalem Bezug?

Speich Chassé: Es gibt extrem viel spannende Bezüge, die Luzern zum Rest der Welt hat. Da forschen wir auch aktiv. In der Lehre wird das Thema der Sklaverei ebenfalls aufgenommen. Eine Forschungsgruppe, die aktiv an diesem Thema forscht, existiert aber bisher nicht.

zentralplus: Könnte es sein, dass es in Zukunft eine solche Forschungsgruppe geben wird?

Speich Chassé: Das wird sich wohl noch weisen müssen. Der Aufwand und somit der finanzielle Aufwand sind in wissenschaftlichen Forschungen immer sehr schwer abschätzbar. Man müsste aktiv Ressourcen bereitstellen, um sich dem Thema anzunehmen. Auch wenn wir grosses Interesse an der Aufarbeitung dieser Geschichte Luzerns haben: Gratis gibt es heute leider nichts mehr.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Luc Bamert
    Luc Bamert, 24.11.2020, 18:41 Uhr

    Nach Klima, Rassismus, Sexismus, Konzernen, Banken etc. schon wieder ein Thema, das allein dem bösen weissen Mann angehängt wird. Wer glaubt, dass da keine Agenda dahintersteckt, ist grenzenlos naiv. Es geht allein um die Spaltung der Gesellschaft in «wir Guten» vs. «ihr Schlechten». Divide et impera …

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    • Profilfoto von Hugo Ball
      Hugo Ball, 25.11.2020, 07:36 Uhr

      Leider verfängt diese Methode, vorallem auch weil sie an das moralische Gewissen und somit an ein sublimiertes Gutmenschentum appelliert sowie Seelenheil verspricht (Religionsersatz, Zugehörigkeit, Angst vor sozialer Isolation, vermeintliche Sinnstiftung, Libidoersatz nach Freud usw.), bei 90% der Gesellschaft nur allzu gut! Das Grundproblem meiner Meinung nach ist eine mangelnde oder gar inexistente Skepsis gegenüber solchen gesellschaftlichen Rahmenerzählungen, welche von oben inszeniert und initiiert werden und der fatale gute Glaube an die Rechtschaffenheit und Verantwortung der Machteliten. Dazu kommt noch die Taktik der kleinen, fast unmerklichen Schritte, die graduelle Erhöhung des Druckes, bis jeder Lebensbereich davon betroffen ist. Bis es keine Umkehr mehr gibt und die neuen Machtverhältnisse und Gesellschaftsmodelle zementiert sind. Dann merken’s dann auch die 90%!

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