Einblick in ein Leben auf zwei Rädern

Velokurier Luzern: «Ich lag wie ein Käfer auf dem Rücken»

Der heute 60-jährige Österreicher Christoph Masoner leistet seit über 30 Jahren Pionierarbeit für den Velokurier Luzern.

Vor 25 Jahren einigte sich der Velokurier Luzern mit den SBB auf eine gemeinsame Transportlösung. Damit brach die Branche aus den lokalen Mauern hinaus in die gesamte Schweiz und steht nun davor, ins Ausland zu expandieren. Christoph Masoner erinnert sich.

Luzerner Velokuriere gehören zu den Pionieren ihrer Branche. Sie waren die ersten auf dem Schweizer Markt, wehrten sich gegen das Postmonopol und dürfen sich nun nach Mitteleuropa orientieren. Christoph Masoner war während dieser gesamten Entwicklungszeit mittendrin und leitet heute mit der «swissconnect ag» die zentrale Plattform der Schweizer Velokuriere in Luzern. Seine Geschichte zeigt, welche Hürden es dazu nicht nur im Strassenverkehr zu bewältigen gab und weshalb Velokurieren manchmal der Ruf nachhängt «zu spinnen».

Wie ein Käfer auf dem Rücken

Christoph Masoner ist Mitte zwanzig, als er in einem Buchhandlungs-Vertrieb in Wien seinen Zivildienst absolviert. «Zusammen mit einem Transporteur lieferten wir Bücher per Lieferwagen aus.» Masoner bekommt mit, dass der Transporteur acht Schilling für die Lieferung nimmt und bietet seinem Chef an, es für sechs zu machen. «Ich hatte damals schon ein Mountainbike und war viel mit dem Velo unterwegs.» Der Chef traut Masoner nicht und fordert ihn zur Probe. «Ich müsse vom dritten Stock durch das Treppenhaus runterfahren. Wenn ich das erfolgreich bestehe, könne ich ausliefern.»

Wiener Gebäude haben sehr hohe Räume und sehr steile Treppen. Das habe er durch Studienjobs als Umzugshelfer schon gewusst, sagt Masoner, der sich dem waghalsigen Test stellt. «Die ersten anderthalb Stockwerke habe ich geschafft, beim Zwischengeschoss warf es mich ab.» Der Chef habe hinunterrufend gefragt, ob alles in Ordnung sei. «Ich lag wie ein Käfer auf dem Rücken und rief hoch: Alles gut!» Der Chef habe nicht gesehen, «dass es mich auf den Latz geschmissen hat», erzählt Masoner. So wurde der erste Wiener Velokurier geboren. Mit zwei Sacktaschen und einer Kiste auf dem Gepäckträger fing er an und landete alsbald in Luzern, wo zwei Jahre später der erste Velokurier der Schweiz entstand.

Mehr als ein Abenteuer

Masoners Tätigkeit als Velokurier sorgt in Wien für Aufsehen. Über eine Vermittlung durch das Sozialministerium erhält er ein Firmengründungs-Angebot, will aber in der Buchhandlung bleiben. Diese wird als Genossenschaft geführt und stimmt darüber ab, ob der Velokurier-Dienst beibehalten wird. «Ausser meinem Chef und seinem Stellvertreter haben alle gegen mich gestimmt», erzählt Masoner, der daraufhin eine Veloreise durch Süd-Ägypten unternimmt. «Das war mehr als nur ein Abenteuer.» Aus der Reise entsteht eine Foto-Show, mit der er auf Tour geht. «Davon konnten wir ein Jahr lang leben.»

Für Christoph Masoner ist Ökologie ein grosses Anliegen, für seinen damaligen Chef ist vor allem der finanzielle Aspekt entscheidend für den Kurier-Auftrag per Velo. «Es gab nie diese nachhaltige Konnotation», erzählt Masoner, «die ökologische Idee stand überhaupt nicht im Vordergrund». Erst später habe dieser Aspekt an Bedeutung gewonnen. Als 1988 in Luzern der erste Velokurier der Schweiz gegründet wird, stehen politische Motive dahinter (zentralplus berichtete). Während Masoners Veloreise wird in Wien das erste österreichische Velokurier-Unternehmen «veloce» eröffnet, auf dessen Mitgründung er davor verzichtet hat. Stattdessen folgt er seiner zweiten Passion – der Musik.

Verbindungen für den Velokurier Luzern genutzt

Weil in Wien ein vergleichbarer Anlass ausfällt, reist Masoner per Autostopp ans Jazz-Festival nach Willisau. Er findet Gefallen an der Schweiz und lernt hier Gleichgesinnte kennen. «Mir wurde gesagt, dass der Velokurier in Luzern Mühe hat und wieder schliessen will», erzählt der Österreicher, der sich daraufhin dem Verein anschliesst und als Velokurier in Luzern beginnt. Er bleibt es 20 Jahre lang. «Dadurch, dass ich das schon gemacht und Ideen hatte, konnte ich gleich in der Geschäftsleitung mitmachen», erzählt Masoner, der damals, weil der Job noch keinen existenzsichernden Lohn einbringt, nebenbei in einem CD-Laden und als Roady arbeitet – für Udo Jürgens oder den Zirkus Knie.

In der Zeit des Aufbaus nutzt Masoner seine Verbindungen nach Wien, um bei «veloce» Innovationen für den Luzerner Velokurier einzuholen. So etwa Rucksäcke, Software oder Funkgeräte. «Die Entwicklung verlief nicht linear, sondern war sehr herausfordernd für alle», erzählt Masoner von den Anfangsjahren in den 1990ern, in denen der Velokurier Luzern hauptsächlich von ehrenamtlicher Arbeit mehrerer aktiver Mitglieder lebt. «Die Leistung hat uns im Rennen gehalten». Gleichwohl sei die Resonanz zuweilen zwiespältig gewesen. «Einerseits erhielt man riesiges Lob, andererseits wurde hinter vorgehaltener Hand gesagt: Die spinnen».

Zu grün und lieb

Die Nachfrage nach Velokurieren wird schweizweit immer grösser. Um zwischen den Städten ausliefern zu können, bemüht sich der Velokurier Luzern früh um eine Lösung mit der Post. Diese beharrt jedoch auf ihrer Monopolstellung. «Sie haben uns vertröstet und gesagt, es komme schon gut», erzählt Masoner. Nach zwei Jahren Verhandlung habe die Post das Produkt selbst angeboten. «Wir waren zu grün hinter den Ohren und zu lieb in den Verhandlungen.» Deshalb sei man anschliessend direkt auf die SBB zugegangen. Deswegen kann Velokurier Luzern heute noch Sendungen schweizweit verschicken.

«Was ein Velokurier in der Stadt macht, kann die Post gar nicht», sagt Masoner. «Wir machen Expresslieferungen, fahren schnellstmöglich von Punkt zu Punkt.» Dieser Umstand habe sie, nebst der Tatsache, dass sie nur ein marginaler Marktteilnehmer seien, aus grösseren Konflikten herausgehalten. Es dauert bis Mitte der 1990er, bis es von der Auftragslage her und lohntechnisch halbwegs aufgeht Die Strukturen ändern sich. «Viele Leute sind zusammen aus dem Verein in die GmbH und aus der GmbH in die AG mitgewandert», erzählt Masoner. Die Trägerschaft des Velokuriers in Luzern und Zug sei sehr nachhaltig und ausdauernd gewesen. «Wir konnten alle Kunden mitnehmen.»

Immer noch ein Pionier

Den Vertrag mit den SBB schliesst der Velokurier Luzern 1996. Drei Jahre später habe man gemerkt, dass die Unabhängigkeit vom Luzerner Verein nötig sei, «damit sich die Velokuriere in anderen Städten nicht benachteiligt fühlen», erklärt Masoner, «und nicht denken, dass die Luzerner definieren, was geht». Deshalb wurde die «swissconnect ag» unter seiner Leitung gegründet, um den Velokurieren eine zentrale Anlauf- und Verteilstelle für nationale Expresslieferungen zu bieten und die Branche unabhängiger zu machen. «Am Anfang haben wir uns auch als Kurier gefühlt», sagt Masoner, «aber eigentlich sind wir Vermittler, Spediteur und bieten eine digitale Plattform».

Inzwischen hat die «swissconnect» schweizweit über 75 Partnerfirmen und bietet zehn Vollzeitstellen an. Im Vergleich zu 1999 gebe es heute ein 20- bis 25-Faches an Aufträgen. Medizinallabors gehören zur Hauptkundschaft und haben seit Ausbruch der Pandemie ein besonderes Bedürfnis nach dem Velokurier-Dienst. «Wir sind immer noch eine Art Pionier», sagt Masoner, der das Schweizer Modell auch nach Mitteleuropa tragen will. Man habe hier einen Wissensvorsprung bei der Kombination von Zug und Velo – und er sehe nach wie vor Potenzial auf dem Markt. «Ich bin jetzt 60 Jahre alt. Da darf man auch ein wenig träumen.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von R.M.
    R.M., 29.12.2021, 15:00 Uhr

    Sehr spannend. Die Firma swissconnect ag ist mir wenig bekannt. Interessant wie die Zusammenhänge sind.

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