Lichtkünstler beleuchtet Luzerner Wahrzeichen

«Ursprünglich wollte ich den ganzen Wasserturm in Flammen setzen»

Der Wasserturm, kurz bevor er als Rakete davonfliegt. (Bild: Walter Buholzer)

François Chalet ist mehrfach vertreten am laufenden Lilu-Lichtfestival. Sein grösstes Projekt ist die Projektion am Wasserturm. Weshalb er dabei erst kurz vor der Premiere nervös geworden ist und wie er mit dem heiklen Fall der brennenden Kapellbrücke umgegangen ist, erzählt er im Interview.

Der Zürcher Lichtkünstler François Chalet ist eine der auffälligsten Figuren an der zweiten Ausgabe des Lilu-Lichtfestivals Luzern. Als Dozent unterrichtet er an der Hochschule Luzern Storytelling und Expanded Animation. Und zweiteres meint eben genau das, was er am Lilu tut: Mit seinen Animationen raus in die Stadt zu gehen.

Die Ergebnisse sind einerseits im Vögeligärtli zu sehen, wo bei «Hit!» virtuelle Schneebälle auf Schneemänner und -frauen geworfen werden. Mit 30 Studierenden der HSLU bespielt er zudem die Peterskapelle mit «Am Anfang ist die Linie».

Sein auffälligstes Werk ist aber wohl «Oktogon», das die Geschichte des Wasserturms erzählt. Über diese Installation, die er gemeinsam mit einem kleinen Team um Komponist Markus Vetter und Lichtspezialistin Noemi Sugaya realisiert hat, haben wir mit François Chalet gesprochen.

zentralplus: François Chalet, der Wasserturm hat acht Ecken. Wie bespielt man ein Oktogon, so rein technisch?

François Chalet: Es ist im Prinzip relativ einfach und funktioniert wie bei einem Bastelbogen: Man klappt den Turm auf, darauf wird dann animiert. Schliesslich klappt man das Ganze wieder zusammen. Dieser Vorgang nennt sich «Mappen».

zentralplus: Ist es wirklich so einfach?

Chalet: In der Praxis braucht es dann natürlich Projektoren, die sehr lichtstark sind. Wir haben die lichtstärksten Modelle im Einsatz, die derzeit erhältlich sind. Dann muss man sich Gedanken machen, wo sie aufgestellt werden. Auf der Seebrücke hat es zum Beispiel zu viele Vibrationen. Zuerst haben wir mit drei Projektoren gearbeitet, dann einen vierten hinzugenommen. Auch polizeiliche Auflagen, etwa bei Baustellen, spielten eine Rolle bei der Positionierung.

zentralplus: Und dann muss der Bastelbogen im Beamer ja wieder zusammengesetzt werden ...

Chalet: Wenn der Turm aufgefächert ist, dann schneidet man die Teile aus und verteilt sie auf die Projektoren. Eine Software setzt dann das Bild wieder zusammen. Von Hand werden die Eckpunkte des Wasserturms nach einem architektonischen Plan angepasst, direkt auf dem Turm. Die Beamer mussten anschliesssend auch noch synchronisiert werden. Das benötigt sehr viel Knowhow von den Technikern.

«Ich war überwältigt. Und auch unglaublich stolz, dass ich das machen durfte.»

zentralplus: Was war die grösste Herausforderung?

Chalet: Eine besondere Schwierigkeit war das Dach. Einerseits wegen seiner Form. Aber auch, weil es relativ dunkel ist. Die Beamer sind sehr weit weg vom Turm, bis zu 170 Meter. Da ist der Lichtverlust sehr gross. Schliesslich projezieren wir auch auf eine strukturierte Oberfläche, keine weissen Leinwände. Ursprünglich wurde mir deshalb empfohlen, das Dach nicht miteinzubeziehen.

zentralplus: Warum haben Sie es trotzdem getan?

Chalet: Es war eine ästhetische Entscheidung, auch das Dach zu bespielen. Weil ich den ganzen Turm visuell als Ganzes gestalten wollte. Schliesslich waren wir positiv überrascht, wie gut es geklappt hat.

zentralplus: Inwiefern hat die Form des Turms Einfluss auf die Gestaltung der Visualisierungen?

Chalet: Es war ja von Anfang an die Idee, den ganzen Turm miteinzubeziehen. Es sollte kein Film werden, sondern das Objekt, die Skulptur bespielt werden. Einerseits inhaltlich, aber auch formal. Ein Motiv ist dabei die Wiederholung, die ja durch die acht gleichen Teile gegeben ist. Der Turm ist nicht rund, sondern hat Kanten. – Diese Gegebenheit war für mich tragend und namensgebend. Auch das Schlussfeuerwerk funktioniert schliesslich als Oktogon.

«Die Geschichte des Wasserturms ist oft brutal: Da wurden Leute gefangen gehalten und es wurde gefoltert. Wie erzähle ich das, wenn sich das auch Kinder und Familien anschauen?»

zentralplus: Können Sie das noch an einem Beispiel erläutern?

Chalet: Die Schneesequenz steht ziemlich genau dafür, was ich sagen will: Der Schnee fällt und stapelt sich. Dabei wird der Turm immer mehr beleuchet, und schliesslich als Ganzes sichtbar. Dann wird er wieder zu etwas anderem. Es ist wichtig, den Turm manchmal unsichtbar werden zu lassen, dann wieder hervorzuholen. Dort geht’s dann um die Kunst, das Gebäude zum Teil der Inszenierung werden zu lassen.

zentralplus: Von der Form zum Inhalt: Welche Geschichte wollen Sie uns mit ihrer Installation erzählen?

Chalet: Die von den Organisatoren gestellte Aufgabe war es, eine Geschichte des Wasserturms zu erzählen. Ich habe nicht den Anspruch, die ganze Geschichte abzubilden. Das Ergebnis gleicht eher einer Achterbahnfahrt durch wichtige, aber auch charmante Momente des Wasserturms. Dazu habe ich viel recherchiert, Bücher gelesen und stand im Austausch mit dem Turmwärter Renato Steffen. Dabei habe ich Dinge herausgepickt, die entweder dringend oder visuell interessant sind.

zentralplus: Es fällt auf, dass Sie einerseits mit Fotografien, aber auch mit comicartigen Grafiken erzählen.

Chalet: Genau. Die Visualisierung setzt auf zwei Mittel: Grafische Elemente und Fotocollagen. Grafisch auch, weil es auf dem Turm gut funktioniert. Fotografien werden hingegen auf seiner Struktur schnell verwässert. Zudem ist die Geschichte des Wasserturms oft brutal: Da wurden Leute gefangen gehalten und es wurde gefoltert. Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht: Wie erzähle ich das, wenn sich das auch Kinder und Familien anschauen? Es sollte nicht oberflächlich werden, aber ohne zu verstören – da eignet sich die Collagetechnik.

zentralplus: Schmerzhaft in Erinnerung ist vielen auch heute noch der Brand der Kapellbrücke von 1993. War es eine bewusste Entscheidung, dieses einschneidende Ereignis eher comicartig umzusetzen?

Chalet: Klar war, dass der Brand erwähnt sein muss, weil er geschichtlich absolut relevant ist. Aber ich wollte das Ereignis nicht nochmals erlebbar machen, um zu vermeiden, dass mögliche Wunden wieder aufgehen. Darum wählte ich von Anfang an eine grafische Umsetzung. Ursprünglich wollte ich den ganzen Turm in Flammen zeigen. Dann hatte die Polizei Einwände: Die Leute, vor allem vorbeifahrende Autofahrer würden davon abgelenkt. Ich wurde gebeten, das Feuer kleiner machen.

zentralplus: Ist es ihnen schwergefallen, das Feuer zu verkleinern?

Chalet: Ich konnte nach einem regen Hin und Her gut damit leben. Gebrannt hat schliesslich nicht der Turm, der war nur auf einer Seite verkohlt. Und aus der kleiner werdenden Flamme kommt ja dann der Feuerdrache, der um den Turm fliegt.

«Ich habe den Anspruch, über pure Unterhaltung hinauszugehen.»

zentralplus: Weniger bekannt ist die Geschichte vom Storchen.

Chalet: Im Jahr 1937 wurde ein Storch geschossen, der sich in der Spitze des Wasserturms eingenistet hatte. Wieso genau, das ist nicht überliefert – ob er zu viel Dreck gemacht hat, oder sonstwie gestört hat? In den folgenden Jahren hat man dann einen Holzstorch aufgestellt, weil man nun doch wünschte, dass sich die Tiere wieder ansiedeln. Diesen Holzstorch gibt es heute immer noch im Innern des Turms.

zentralplus: Viele Betrachter dürften sich fragen, was das Tier mit dem Turm zu tun hat ...

Chalet: Wichtig ist mir auch, den Turm von innen nach aussen zu kehren. Dinge, die man sonst nicht sieht, rauszuholen und zu zeigen. Es ist natürlich auch Absicht dabei, dass nicht alles auf den ersten Blick verständlich ist. Viele Elemente, die erwähnt werden, kann man in einer geführten Runde vertiefen – oder man kann die Zahlen googeln. Es ist aber gar nicht nötig, um die Installation zu verstehen. Oft möchte ich auch einfach 'gwundrig' machen.

zentralplus: Sie fordern den Betrachter bewusst heraus.

Chalet: Der Dialog mit dem Betrachter ist wahnsinnig wichtig. Das Werk wird erst fertig durch die Betrachtung. Der Zuschauer soll sich einbringen, mit seinen Fragen und Gedanken. Es ist auch ein Grund, dass ich mich bei meinen Installationen zunächst mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandersetze. Ich habe das nicht für irgendein Lichtfestival gemacht, sondern für die Bewohner und Besucher der Stadt Luzern.

zentralplus: Ist man nervös auf die Reaktionen, wenn man das Luzerner Wahrzeichen in Szene setzt?

Chalet: Zwei Tage vor der Premiere hatte ich plötzlich Bammel. Vielleicht war ich zuvor etwas naiv – ich wollte mich im Prozess nicht vom Gewicht und der Bedeutung des Wasserturms erdrücken lassen und habe diesen Aspekt möglichst ausgeblendet. Ich wollte diese Inszenierung unbedingt. Nachdem ich im vergangenen Jahr den Musikpavillon bespielt hatte, sagte man mir, das könne ich wohl vergessen. Als es dank dem unglaublichen Einsatz des Lilu-Teams doch möglich war, wollte ich mich nicht hemmen lassen. Als ich dann davorstand konnte ich es natürlich nicht mehr ausblenden, dieser Turm stand da, beleuchtet, in seiner ganzen Grösse ...

zentralplus: Was haben Sie in diesem Moment gefühlt?

Chalet: Ich war überwältigt. Und auch unglaublich stolz, weil ich das machen durfte.

zentralplus: Und wie fallen die Reaktionen aus?

Chalet: Am Samstag war ich auf einer dokumentierten Runde mit dabei. Da hörte ich viele erstaunte, positive Stimmen. Aber auch solche, die sagten, dass sie nicht ganz verstehen würden, was da abgeht. Als ich mich unter die Leute mischte, begannen sie, ihr Wissen kundzutun. Als ein paar jüngere Besucher sich das Ganze fragend neben mir anschauten, habe ich begonnen zu erzählen. Dann haben immer mehr Leute zugehört. Schliesslich war es eine bunte Gruppe, das hat mich gefreut. Ich bin mir bewusst, das es Leute gibt, die das nicht verstehen. Aber ich habe den Anspruch, über pure Unterhaltung hinauszugehen.

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