Theater Nawal zeigt «Das Fest»

Unwohlfühltheater mit Happyend

Im neuen Stück des Theaters Nawal im Theaterpavillon Luzern tobt ein innerfamiliärer Psychokrieg. Was etwas zittrig beginnt wird umso besser, je mehr die Handlung eskaliert.

Joseph Blatter hat mit seinem 2011 berühmt gewordenen Zitat auch ziemlich treffend formuliert, worum es in «Das Fest» geht: «Crisis? We are not in a crisis, we are only in some difficulties and these will be solved within our family.» «Das Fest» ist eine Familiengeschichte, in der sich der Patriarch so einiges anhören muss. Zu Recht?

Es gibt zwei Arten von Menschen, die sich die neueste Produktion des Theaters Nawal anschauen: Die einen haben die Filmvorlage gesehen, die anderen nicht. Der Rezensent gehört zu Ersteren. Das ist gut, denn «Festen» (1998) ist eine Sensation filmischer Erzählkunst. Mit gespannter Vorfreude auf die Schilderung dieser Geschichte konnte er sich auf die Tribüne setzen.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

(Bild: Benno Lottenbach)

«Das Fest» wird von der Musik getragen

Doch es ist auch schade, denn der Film mit seinem einzigartigen Stil und seiner poetischen Geradlinigkeit setzt jede Adaption der Gefahr aus, an den Mängeln im Vergleich gemessen zu werden. Die Inszenierung von Nawal-Chef Reto Ambauen muss diesen Vergleich aber nicht scheuen.

Während den Film seine Musiklosigkeit mitausmacht, wird «Das Fest» von seiner Musik – stets in die Handlung verwoben – getragen. Es ist eindrücklich, wie Christov Rolla zwischen Chorleiter, Pianist und Schlüsselnebenrolle changiert. Kommt noch oben drauf, dass die Ständchen zur Feier laut Programmheft «grösstenteils eigens für diesen Theaterabend erfunden» wurden. Theater Nawal hat hier der Vorlage seinen gewagten und gelungenen eigenen Anstrich verpasst.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

(Bild: Benno Lottenbach)

Die Laudatio entpuppt sich als Anklage

Eine Schlüsselnebenrolle spielt Rolla deshalb, weil er den Protagonisten Christian zurück in die Kampfzone Familientisch schickt. Christian muss als ältester Sohn von Hotel-Herr Helge, dessen Sechzigster gefeiert wird, eine Rede halten. Die Laudatio entpuppt sich als massive Anklage. Christian feuert also den ersten Schuss und vollzieht nachher nur dank Rollas Figur den Rückzug nicht – gekämpft wird dort, wo man sich den Gegenschüssen aussetzt. Oder wie Rocky Balboa sagt: «It’s about how you can get hit and keep moving forward.»

Keine Angst, Blut spritzt nicht. Leider ist selbst der Rotwein nur Wasser und die Speisen auf den Tellern sind geruchslose Kunststoffrequisiten. Die Inszenierung verwischt gespielten und bespielten Raum bewusst und stellenweise effektvoll, aber sie hätte es ruhig mehr auf die Spitze treiben dürfen. Zwar durchbricht auch der Film seinen «Dogma 95»-Naturalismus mit Geisterszenen, aber er tut es doch einiges dezenter.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

(Bild: Benno Lottenbach)

Ob die Familie in einer Krise oder bloss «some difficulties» steckt?

Die Schlacht ist in erster Linie eine der Worte. Das heisst Aussage gegen Aussage, während Freunde und Verwandte der Kernfamilie es lange schwer haben, Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. In der Aufführungspause könnte man gut darüber spekulieren, wer denn nun Recht hat. Darüber, ob die Familie in einer Krise oder bloss «some difficulties» steckt. Man könnte, wenn man den Film nicht kennte.

Es geht also um einen innerfamiliären Psychokrieg. Das ist kein Wohlfühltheater. Auch wenn humorvolle Momente und beschwingende Ständchen Zeit zum Durchatmen geben. In diesem Krieg kommt z.B. der Tyrann aus dem jovialen Gastgeber-Patron Helge. Ein Gemütsumschlag, der seinem Darsteller Herbert Willmann so überzeugend gelingt, wie seine Ehefrau Else – und ihre Darstellerin Zora Schelbert – stets die eiserne Haltung bewahrt (es sei denn, die Nacht ist lang).

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

«Das Fest»: Die Produktion vom Theater Nawal wird besser, je schlimmer die Handlung sich zuspitzt.

(Bild: Benno Lottenbach)

Es beginnt etwas zittrig

Das Ensemble wirkt zu Beginn noch etwas befangen. Etwas zittrig rutscht hie und da ein Mundart-Akzent in die Rede. Etwas verhalten die ersten brachialen Ausbrüche. Etwas steif die Nachahmung des Besoffenen. Doch umso mehr das Familienfest aus den Fugen gerät, desto mehr die Schauspielenden in ihre Rollen. Umso mehr die bürgerliche Fassade zerbricht, desto mehr die artistische Blockade.

Wenn das harte Bühnenlicht in ein sanft dunkles Blau umschwenkt und alle Figuren erstarren, damit der träumende Christian seine tote Zwillingsschwester umarmen und eine Liebesbotschaft von ihr zugeflüstert bekommen kann, dann wird der feisse Braten gepuderzuckert. Aber vielleicht ist es richtig, dass das Theater seine Guten feiert. Nach Dekaden der Dekonstruktion dürfen gerne wiedermal Werte behauptet werden, damit sie verteidigt werden können.

Die Kinder sind an der Rebellion gewachsen. Sie haben die Hand ihres nährenden Peinigers abgeschlagen. Und so ist nicht unwahr, was zuweilen plump tönt: Eine Krise ist immer auch eine Chance.

«Das Fest» läuft noch bis am 28. Januar im Theaterpavillon Luzern.

Text: Aron Hürlimann

Dieser Beitrag ist in Kooperation mit Kulturteil.ch entstanden und kann auch hier gelesen werden.

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