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In vielen Haushalten sammelt sich der Abfall Woche für Woche kiloweise an. In Kriens ist nun ein Projekt lanciert worden, das Familien helfen soll, weniger Abfall zu produzieren.
Nicht weniger als 698 Kilogramm Abfall produziert ein Schweizer pro Jahr laut dem Bundesamt für Umwelt. Damit gehören die Schweizerinnen zu den grössten Abfallsünderinnen: Europaweit fällt nur in Norwegen und Dänemark pro Kopf noch mehr Abfall an.
Das Problem dabei: Die Hälfte des Abfalls wird verbrannt. Dadurch werden grosse Mengen an CO₂-Emissionen freigesetzt. Der Kanton Luzern will dagegen etwas machen: Bis 2050 sollen die Emissionen, die durch die Abfallverbrennung freigesetzt werden, um 25 Prozent reduziert werden.
Und auch in Kriens tut sich etwas. Gemeinsam mit dem gemeinnützigen Verein Zero Waste Switzerland hat die Stadt ein Projekt gestartet. Zehn Familien steht während sechs Monaten ein Coach zur Verfügung. Dieser gibt ihnen Tipps, wie sich im Haushalt Abfall reduzieren lässt – und das auch in einem vollgepackten Alltag.
Eine Krienser Familie will «ein Zeichen setzen»
Eine, die sich dieser Herausforderung stellt, ist Nicole Vogler mit ihrer Familie. «Ich will damit ein Zeichen setzen und andere animieren», sagt Vogler gegenüber zentralplus. «Umweltschutz und Nachhaltigkeit fangen mit kleinen Schritten an – man muss nicht gleich die Welt umkrempeln.»
Auch beruflich setzt sie sich mit dem Thema auseinander. Nicole Vogler ist Wirtschaftsingenieurin und arbeitet im Bereich Sicherheit, Gesundheit und Umwelt. Zudem studierte sie kürzlich Nachhaltigkeitsmanagement.
Per Zufall sah sie das Plakat in der Stadt Kriens – ihr Interesse war geweckt. Nach einer kurzen Recherche meldete sie sich für die Challenge an. Ihre Familie sei zuerst nicht ganz so begeistert gewesen, wie Nicole Vogler erzählt. «Doch inzwischen ist es praktisch gar kein Thema mehr am Familientisch.»
Ein Tabuthema
«Zero Waste» bedeutet auf Deutsch «Null Abfall». Darum geht es beim Projekt jedoch nicht. «Es geht vielmehr darum zu erkennen, wo der Abfall im Haushalt anfällt. Und so neue Gewohnheiten in den Alltag zu integrieren, die helfen, den Abfall Stück für Stück zu reduzieren», sagt Selina Wälti, regionale Koordinatorin Luzern von Zero Waste Switzerland.
Wälti ist der Meinung, dass sich die meisten Personen nicht mit dem Thema auseinandersetzen würden. «Wir wollen möglichst nichts damit zu tun haben, und leider müssen wir das auch nicht. Wir wissen, dass sich jemand darum kümmert und unseren Abfall mitnehmen wird, den wir am Abend vorher vor die Tür gestellt oder in den grossen, gut versteckten Container hinter dem Haus geworfen haben. Somit ist das Problem für uns gelöst.»
«Ich finde es traurig, dass ein Produkt in dem Moment, in dem es im Abfall landet, jeglichen Wert verliert.»
Selina Wälti, Zero Waste Switzerland
Im Abfallsack landet alles – von Verpackungen und Lebensmitteln bis hin zum ehemaligen Lieblingsspielzeug der Kinder: «Ich finde es traurig, dass ein Produkt in dem Moment, in dem es im Abfall landet, jeglichen Wert verliert», sagt Wälti. Sie empfiehlt, sich einen transparenten Kehrichtsack zu besorgen, um sich des Abfalls bewusster zu werden. Auch könne es helfen, den Abfall zu wiegen. Wenn man die Menge hochrechne aufs Jahr, seien die meisten schockiert.
Warum man weniger Güsel produzieren sollte
Der Abfall selbst sei eigentlich gar nicht das Problem, da aus diesem zumindest Energie gewonnen werden könne. Das Problem liegt laut Wälti vielmehr in der Produktion. Etwa 70 Prozent aller konsumierten Güter würden im Ausland hergestellt und in die Schweiz importiert.
«In vielen der Produktionsländer bestehen sehr geringe Gesetze im Umgang mit Abfall oder Chemikalien. Somit ist die Entsorgung auf Deponien oder im Meer nicht verwunderlich», sagt Wälti. «Man geht davon aus, dass pro Minute weltweit eine Lkw-Ladung mit Abfall im Meer entsorgt wird – das sind zwölf Millionen Tonnen pro Jahr.»
Plastikflaschen und Tetra Paks stehen auf der Blacklist
Doch wo beginnt man überhaupt, wenn man weniger Güsel produzieren will? Nicole Vogler erzählt, dass sie und ihre Familie den Abfall besser strukturieren würden. Sie zählt auf: Ganze neun Behälter habe sie beschriftet: Papier, Karton, Alu, Plastikhohlkörper, Plastik, das in den Sammelsack gehört, Kompost, Batterien, Glas – und Restmüll.
«Nur wenn die Konsumentinnen ihr Verhalten ändern, ändern auch Supermärkte ihr Verhalten.»
Nicole Vogler
Getränke in Plastikflaschen, Plastiktüten, Tetra Paks und To-go-Becher werden keine mehr gekauft. Und nur noch unverpacktes Obst und Gemüse. Nicht immer bieten Supermärkte Himbeeren, Champignons und Co. verpackungsfrei an. «Deswegen kaufen wir viel beim Bauern ein», sagt Nicole Vogler. Sie ist überzeugt: «Nur wenn die Konsumentinnen ihr Verhalten ändern, ändern auch Supermärkte ihr Verhalten.»
Weniger Abfall: Machbar – aber man muss vorausdenken
Nach zwei Monaten zieht Vogler eine gute Bilanz. Es gehe nicht um Verzicht, sondern darum, die bestmöglichen Lösungen zu finden. Sie sagt: «Bisher sind unsere gesteckten Ziele absolut machbar.» Natürlich müsse man jeweils vorausdenken – und beispielsweise Kaffeemehrwegbecher und Tragtaschen immer von zu Hause mitnehmen.
«Ich habe noch nie so viel über Müll, Abfallreduktion und Recycling gesprochen wie in den vergangenen Wochen.»
Nicole Vogler
Es gibt aber auch Dinge, die es ihr nicht ganz einfach machen. Ist es sinnvoller, Taschentücher zu verwenden, die man dann in den Abfall werfen muss, oder stattdessen lieber auf Stofftücher umsteigen, für die man beim Waschen dann aber Energie und Wasser benötigt?
Die Familie Vogler will langfristig weniger Abfall produzieren
Nicole Vogler ist es wichtig, dass sich mehr Menschen mit dem Thema auseinandersetzen. Das Projekt sei ein Türöffner, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen. «Ich habe noch nie so viel über Müll, Abfallreduktion und Recycling gesprochen wie in den vergangenen Wochen», sagt sie. Viele wüssten gar nicht, was mit dem Abfall genau passiere, wenn ihn die Kehrichtsammlung abhole – oder wie man korrekt entsorge.
Um wie viel die Familie ihren Abfall innerhalb der ersten zwei Monate des Projekts reduzieren konnte, kann sie noch nicht beziffern. «Es dauert sicherlich länger, bis der Abfallsack mit dem Restmüll voll ist. Wir haben den ersten Abfallsack Mitte Mai entsorgt – also nach gut eineinhalb Monaten.»
Der Abfallsack wog 3,8 Kilogramm. Für eine dreiköpfige Familie und eine Dauer von sechs Wochen klingt das nach nicht sonderlich viel. Anders sieht das Nicole Vogler. «Es hat mich geschockt.» Sie verweist darauf, dass in der Westschweiz, wo das Projekt bereits stattgefunden habe, eine vierköpfige Familie mit Katzen in einem ganzen Jahr nur einen vier Kilogramm schweren Abfallsack gefüllt habe. «Und wir haben bereits in sechs Wochen 3,8 Kilogramm Abfall verursacht.»
Sie ist jedoch überzeugt, dass der Abfall weniger und weniger wird. Denn Nicole Vogler glaubt fest daran, dass sich durch das Projekt Zero Waste neue Verhaltensweisen etablieren werden, um so auf Dauer weniger Güsel zu produzieren.
Hinweis: Laut der Stadt Kriens gibt es immer noch die Möglichkeit, bei der Challenge einzusteigen. Mehr Infos findest du hier.
- Videoanruf mit Nicole Vogler
- Schriftlicher Austausch mit Selina Wälti
- Schriftlicher Austausch mit Karin Portmann-Orlowski, Abteilungsleiterin Umwelt- und Sicherheitsdienste der Stadt Kriens
- Newsletter der Stadt Kriens
- Website Zero Waste Switzerland und Infos zur Family Challenge
- Infos vom Bundesamt für Umwelt
- Planungsbericht Klima- und Energiepolitik 2021 des Kantons Luzern
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