Luzernerin legt sich wegen Ölpest mit peruanischem Staat an
So sahen die Strände im Norden Perus aus, als es Ende Dezember zur Ölpest kam. (Bild: Henry Espinoza)
Vor der Pazifikküste Perus floss kurz vor Weihnachten Erdöl ins Meer. Nun kämpft eine Luzernerin vor Ort mit der lokalen Bevölkerung gegen den Verursacher der Ölpest an – den staatlichen Konzern Petroperú.
Die peruanische Regierung habe für die von der Ölpest betroffene Region Piura im Nordwesten des Landes den Umweltnotstand ausgerufen, wie das Onlinemagazin «Amerika 21» berichtet. 150 Liter Erdöl sollen am 20. Dezember vor der Pazifikküste ins Meer geflossen sein.
Was im Detail passiert ist und wie viel Öl tatsächlich ins Meer gelangte, ist aber unklar. Eine entsprechende Anfrage von zentralplus bei der Pressestelle des staatlichen Ölkonzerns Petroperú blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Vom angeschwemmten Öl besonders stark betroffen sind die Strände von Lobitos, einem von der Fischerei und vom Tourismus abhängigen Dorf. Es gilt als Surferparadies.
Nahe der Grenze zu Ecuador, im Nordwesten Perus, befindet sich das Surferparadies Lobitos in der Region Piura. (Bild: Screenshot: Google Maps)
Wegen der Ölpest hat die peruanische Regierung für die Region den Umweltnotstand ausgerufen. (Bild: Screenshot: Google Maps)
Die Luzernerin Julia P.* lebt und arbeitet jedes Jahr ein paar Monate in Lobitos. Ihr Vater stammt aus der Zentralschweiz, ihre Mutter aus Peru.
Auch kurz vor Weihnachten, als sich die Ölpest ereignete, war Julia P. vor Ort. Seither versucht sie zusammen mit der lokalen Bevölkerung, Petroperú zur Rechenschaft zu ziehen. Doch das Engagement gegen den staatlichen Ölkonzern birgt Risiken. Weswegen Julia P. anonym bleiben will.
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wieso der Kampf von Julia P. gegen den peruanischen Staat so gefährlich ist
warum die Dorfbewohner von Lobitos existenziell von der Ölpest bedroht sind
welcher ähnliche Vorfall die Hoffnung auf Entschädigungen mindert
«Ich habe Angst»
Julia P. bittet zentralplus, auf allzu detaillierte Informationen über sie selbst und einige Schilderungen von Dorfbewohnern, die Rückschlüsse auf deren Identität zulassen könnten, zu verzichten. Die Luzernerin fürchtet sich vor staatlichen Repressalien. «Manchmal verschwinden hier in Peru Menschen, die allzu laut aufbegehrt haben, spurlos», sagt Julia P. «Darum habe ich Angst.»
Gemäss Berichten von Amnesty International ist der peruanische Staat durchaus bereit, die Interessen der Regierung über die Menschenrechte der Bevölkerung zu stellen. So starben bei gewaltsam niedergeschlagenen Demonstrationen im Süden des Landes vor zwei Jahren mindestens sechs Personen. Vier von ihnen sollen ohne rechtsstaatlichen Prozess hingerichtet worden sein.
Lebensgrundlage der Dorfbewohner in Lobitos gefährdet
Erdöl am Strand und im Meer – damit muss sich nun die Bevölkerung in Lobitos rumschlagen. Gegenüber zentralplus erzählt Julia P. von den verheerenden Auswirkungen der Ölpest. Gefährdet sei nicht nur die Umwelt, sondern infolgedessen auch die Lebensgrundlage der Dorfbevölkerung. Denn viele leben von der Fischerei.
Ein Fischer, der vor ein paar Tagen aufs Meer hinausfuhr, soll dort, mitten im Pazifik, auf einen Ölfilm gestossen sein. Und an den Stränden von Lobitos sei das sonst so klare Wasser auch drei Wochen nach dem Vorfall teilweise noch immer bräunlich gefärbt, berichtet Julia P. An den Stränden klebe eine schwarze Masse an den Felsen, die sich abbrechen lasse und nach Erdöl stinke.
Meerestiere kommen mit Erdöl nicht klar
Fische und Krustentiere würden durch die Kontamination mit Öl für den Menschen ungeniessbar, zudem würden die Meerestiere diversen Studien zufolge gesundheitliche Schäden erleiden – mit negativen Folgen für deren Wachstums- und Fortpflanzungsfähigkeit, wie etwa die «Luzerner Zeitung» schrieb.
«Die Fischer aus Lobitos berichten, dass sie zehnmal weniger Fische fangen würden als vor 20 Jahren», sagt Julia P. Schuld könnte das Öl der vielen kleinen Lecks sein, welche die Pipelines von Petroperú aufweisen.
Doch nicht nur die Tiere im, sondern auch diejenigen am Meer seien betroffen, sagt Julia P. Die extrem seltenen und darum teuer gehandelten Entenmuscheln, die entlang der Klippen wachsen würden, seien nicht mehr essbar. Es werde wohl Jahre dauern, bis sich deren Population erholen werde, fürchtet die Luzernerin.
Lobitos blühte auf – und wird nun zurückgeworfen
Doch damit nicht genug. Wer seinen Lebensunterhalt in Lobitos nicht durch die Fischerei bestreite, verdiene sein Geld mit Touristen. Einige Dorfbewohnerinnen würden an den Stränden Sonnenschirme vermieten oder Glacen verkaufen, andere Touristen herumchauffieren und ihnen die Gegend zeigen oder Massagen und Yogakurse anbieten.
Es gebe viele Restaurants und Hotels, die zurzeit komplett leer stehen würden. Für die Surfer, die normalerweise aus aller Welt anreisen würden, gebe es Surflehrer und Coaches, die derzeit nichts zu tun hätten.
Auch dank der vielen NGOs und der Volunteers aus dem Ausland sei das Dorf vor der Ölpest aufgeblüht. Neue Cafés, ein Skatepark, Kunst- und Kulturinitiativen und ein Surfprojekt für Mädchen seien in den vergangenen Jahren entstanden.
Tourismus kommt komplett zum Erliegen
Doch die Nachrichten über die Ölpest und den damit verbundenen Umweltnotstand hätten sich längst herumgesprochen. Just während der Hauptsaison, von Januar bis März, würden die Touristen und auch die Volunteers nun fernbleiben, klagt Julia P. Mit verheerenden Folgen: Viele der vom Tourismus abhängigen Dorfbewohner würden während dieser drei Monate quasi ihr Jahreseinkommen verdienen.
Das gilt auch für ein Start-up, deren Mitarbeiter Julia P. schult und in Wirtschaftsfragen berät. Die Jungunternehmer stellten laut der Luzernerin bis zuletzt relativ erfolgreich Surfponchos her, die von Touristen gekauft wurden. Sie haben jüngst einen Teil des Gewinns in eine neue Werkstatt investiert. Doch mit dem Ausbleiben der Touristen wird die Werkstatt wohl schon bald schliessen müssen.
Dorfbewohnerinnen fordern Kompensationszahlungen
Julia P. setzt sich nun zusammen mit der Dorfbevölkerung für eine saubere Aufarbeitung der Geschehnisse, für die Behebung der Schäden an der Umwelt, aber auch für Kompensationszahlungen durch Petroperú an diejenigen Menschen ein, deren Einkommen wegen der Ölpest von einem Tag auf den anderen entfallen ist.
Fast 1300 Personen stehen auf einer Liste, die die Gemeinde erstellt hat. Sie alle sollen wirtschaftlich von der Ölpest betroffen und in ihrer Existenz bedroht sein. Während die wenigen Hotelbesitzer allenfalls noch ein Weilchen von ihren Ersparnissen leben könnten, sei die Lage für die meisten Dorfbewohner bereits heute ernst, erklärt Julia P. «Viele leben hier von der Hand in den Mund», sagt die Luzernerin.
Petroperú verweigerte andernorts bereits versprochenes Geld
Daran, dass der staatliche Ölkonzern seinen gesetzlichen Verpflichtungen vollumfänglich nachkommt und die betroffenen Menschen angemessen entschädigt, glaubt in Lobitos gemäss Julia P. kaum jemand.
Sie verweist auf die Ölpest im Fluss Cuninico, der durch die Region Loreto fliesst. Der dort ansässigen Bevölkerung hätte Petroperú einst Geld versprochen, wie das Onlinemagazin «Amerika 21» im September schrieb. Geld, das zehn Jahre nach dem Vorfall immer noch nicht geflossen ist.
Düstere Zukunftsprognosen und ein Funken Hoffnung
Nun hofft die Luzernerin, dass die mediale Berichterstattung Petroperú unter Zugzwang setzt. Doch inwiefern der staatliche Ölkonzern den Forderungen der Bewohner von Lobitos nachkommen wird, bleibt unklar, weswegen parallel eine Spendenkampagne läuft. Eine entsprechende Anfrage von zentralplus bei der Pressestelle von Petroperú blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Julia P. fürchtet, dass sich am Status quo wenig ändern werde. Sie vermutet, dass sich im Zusammenhang mit der Förderung von Erdöl weltweit etliche Umweltkatastrophen ereignen würden, von denen ein Grossteil der Weltbevölkerung nichts mitkriege.
Allein in Peru solle es im Schnitt jede Woche zu Ölverschmutzungen kommen, schreibt «Amerika 21» unter Berufung auf eine Studie, die eine peruanische Menschenrechtsorganisation in Auftrag gab.
«Was ich am meisten verabscheue, ist vor meiner Haustür geschehen»
Besonders tragisch sei der jüngste Vorfall, so Julia P., weil die Strände von Lobitos zu den saubersten des Landes zählen und regelmässig ausgezeichnet würden. Sie hofft, dass der staatliche Ölkonzern Petroperú sich künftig ernsthaft um die Wartung seiner offenbar maroden Infrastruktur kümmern und sich konsequent an die Sicherheitsvorschriften halten werde.
Das, was sie am meisten verabscheue – dass Grosskonzerne die Lebensgrundlage und Umwelt kleiner Dörfer zerstören und sich dann nicht einmal dafür verantworten würden –, sei nun direkt vor ihrer Haustür geschehen, sagt Julia P. «In dem Dorf, in dem ich endlich Frieden und Verbundenheit mit der Natur gefunden hatte.»
Einst Moderator und Redaktor beim Radio 3FACH und bei Jam On Radio, schreibt Joel Dittli seit 2023 bei zentralplus. Um auch den künftigen Herausforderungen im Medienalltag gewachsen zu sein, absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern. Als Reggae-Musiker und FCL-Fan ist er am Wochenende oft in Kulturlokalen oder Fussballstadien anzutreffen.