Hier in Emmen entstehen Hotels für Igel, Fledermaus und Co.
Wenn Studierende zu Wühlmäusen mutieren, um Unterschlüpfe für Reptilien zu bauen. (Bild: Karin Fink)
Wo Ästhetik endet, beginnt das Leben: Auf dem Campus Emmen haben Studentinnen Strukturen gebaut, die Kleintieren Schutz bieten sollen. Dabei wurde bewusst auf Ordnung verzichtet – und genau das bringt Bewegung in die Biodiversität.
Was passiert, wenn Designstudentinnen der Hochschule Luzern gemeinsam mit der Gemeinde Emmen Biodiversität ganz konkret denken? Es entsteht kein glänzendes Hochglanzobjekt – sondern ein Steinhaufen für Reptilien, eine Laubhöhle für Igel und eine Grube für Blindschleichen.
Im Rahmen des Projekts «Kleinstrukturen für Winterschläfer» verwandelten 13 Studierende des Masters Eco-Social Design der Hochschule für Design, Film, und Kunst eine Wiese auf dem Campus Emmen in eine wilde Miniaturwelt – unordentlich, zweckmässig und voller Leben.
zentralplus hat sich angeschaut, wie aus Ästhetik Engagement wird – und warum Unordnung manchmal genau das Richtige ist.
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was Designstudentinnen in Emmen für Tiere schaffen
wie Unordnung neue Lebensräume auf dem Campus bringt
weshalb Ästhetik bei diesem Projekt zweitrangig bleibt
Konkretes erschaffen
13 Studierende des Masters Eco-Social Design meldeten sich dafür an. Gemeinsam sollten innerhalb von zwei Tagen Unterschlüpfe für Kleintiere erstellt werden. «Wir wollten etwas Konkretes für die Biodiversität auf dem Campus Emmenbrücke erschaffen», erklärt die Dozentin Karin Fink, die dieses Projekt anbot.
Gemma Fedon aus dem Tessin, die daran teilnahm, interessierte dieser praktische Ansatz ganz spezifisch. Für einmal sei es nicht darum gegangen, eigenbrötlerisch künstlerische Ideen umzusetzen, sondern im Team zu recherchieren, draussen Hand in Hand anzupacken.
Design einmal anders
Auf dem Campus Emmenbrücke wurden zwei auf den ersten Blick sofort sichtbare «Installationen» erschaffen: Der Steinhaufen stehe symbolisch für alle Reptilien, erklären die Studierenden. Als weiteres Konstrukt fällt eine Höhle auf. Diese sei für Igel, jedoch dürften es andere Kleinlebewesen ebenso bewohnen. Diese zwei Unterschlüpfe befinden sich auf der Südseite des Hochschulgebäudes in Emmenbrücke, nahe der Emme.
Achtzig Zentimeter tief im Boden gruben die Studierenden zusätzlich für Blindschleichen eine Winterschlafgrube aus. Mittels eines «Rohrtelefons» könne überprüft werden, ob sich da unten ein Lebewesen niedergelassen habe.
Logik der Unordnung
Weil in der Schweiz gerne alles perfekt organisiert und schön zurechtgemacht werde, nähme man den Tieren oftmals deren Lebensraum, erläutert Karin Fink einen zentralen Aspekt des Projekts: «Für einmal wurde deshalb für Unordnung gesorgt. Es durften allgemein geltende ästhetische Kriterien im Zuge des Schaffens hinterfragt werden.» Nicht wie der Mensch etwas wahrnehme, sei wichtig gewesen. Für einmal standen die Bedürfnisse von Wildtieren im Mittelpunkt.
Karin Fink findet, dass es für Designer wichtig sei, mit verschiedenen Wissensträgern zusammenarbeiten zu können. So knüpften die Studierenden Kontakte beispielsweise zu Behörden, zum Werkdienst, zum Hauswart und zu Umweltorganisationen.
Einer, der kurz in der Igelgruppe involviert war, ist Markus Christen, Biologe von «Umsicht – Agentur für Umwelt und Kommunikation», Luzern. Im Zuge seiner Beratung unterstützt er Karin Finks Aussage: «Habt Mut zur Unordnung! Jeder dürre Ast, eine abgestorbene Pflanze, ein Ast- oder Steinhaufen bietet Tieren Unterschlupf.» Er wies die Studierenden darauf hin, dass es ausser Igeln, Blindschleichen und Fledermäusen zahlreiche unscheinbare Tiere gebe, die Unterschlüpfe benötigen, beispielsweise Insekten.
Ein Igelhotel namens Giorgio
Mia Wanaklang aus Thailand, die in der Gruppe des Igelhotels mitwirkte, sei es bewusst, dass ihre Installation auf dem Campus suboptimal liege, eigentlich sei es zu nahe am Wasser, es gebe zu viel Feuchtigkeit und sie sei zu viel Lärm ausgesetzt. Ihr gehe es jedoch in erster Linie um den Prozess. Wer sich beispielsweise für Igel starkmachen wolle, müsse sich Strategien zugunsten der Tiere aneignen. Dies gehe nicht ohne Namen. «Deshalb heisst unser Igelhotel Giorgio.»
Obwohl die Unterschlüpfe auf dem Campus nicht in jeder Hinsicht ideal lägen, fügt die Dozentin Karin Fink an, sollten die Bauten all jene inspirieren, die daran vorbeigehen. Neben dem Igelbau befinde sich übrigens eine einfache Anleitung, wie man im eigenen Garten den stacheligen Freunden ein gemütliches Nest zur Verfügung stellen könne.
Das Wie nicht das Was
Über den Fledermausschutz Luzern fand Gemma Feton heraus, dass diese einzigartigen fliegenden Säugetiere über Jahre an dieselben Nistplätze in alten Häusern zurückkehren. Würden nun alte Häuser zerstört, findet sie, solle man den Tieren Alternativen anbieten.
«Als erstes ging es in unserer Gruppe darum, in der unmittelbaren Umgebung zu analysieren, wo Unterschlüpfe Sinn ergeben», erinnert sich Bettina Eiben Künzli. «Denn Faktoren wie Lichtverschmutzung, Lärm und Zugang zu geeigneten Futterquellen spielen für Fledermäuse eine zentrale Rolle.» Ausserdem hätten die Zusammenarbeit, das Warum und das Wie – nicht das Was - für sie während des Projekts im Mittelpunkt gestanden.
Hauswartpaar adoptierte Fledermaus-Hotel
Gerade die Gruppe Fledermaus erlebte äusserst konkret, wie wichtig es sei, Kontakte zu knüpfen. Gemma Feton erklärt, lange habe man nach einer Lösung gesucht, wo der Fledermauskasten zukünftig hängen könne.
Manuela Keller und Markus Wyss, das Hauswartpaar vom Schulhaus Rüeggisingen, adoptierten schlussendlich das Fledermaus-Hotel, weil es auf dem Campus nicht aufgehängt werden konnte. Die Dozentin bezeichnet dieses «Teamwork für ökologische und soziale Nachhaltigkeit» als wichtige Lernerfahrung an der Schnittstelle zwischen Umwelt, Gesellschaft und Gestaltung.
Eine zusätzliche Aufgabe des Projekts war es, innerhalb der Hochschule auf das, was passiere, aufmerksam zu machen: Jannie Mantuhac aus den Philippinen kümmerte sich darum, dass das Thema bewusst wahrgenommen wurde. Also verschickte sie innerhalb der Hochschule E-Mails, sensibilisierte andere Studenten dafür, was draussen auf der Wiese vor sich ging. Daraufhin erhielten sie spontan Unterstützung beim Buddeln der Grube und beim Schleppen von Holz und Steinen.
Erfolgreiche Aktion?
Ob tatsächlich Igel oder Blindschleichen auf dem Campus überwintert haben, sei laut Karin Fink schwer zu sagen: Jetzt, im Frühling, würden jedoch viele Eidechsen die Installationen bevölkern.
In erster Linie verstünde sie die Hotels als Angebot. Wem es zusage, darin unterzuschlüpfen, dürfe es annehmen. Es sei nicht vorgesehen, die «Hotels» zu unterhalten. Die Natur entscheide, wie es weitergehe. Jedoch werde beim Bewirtschaften der Wiese – im Bewusstsein der bestehenden Unterschlüpfe – beim Rasenmähen ein Bogen drum herum gemacht. Man lasse Unordnung ausnahmsweise Unordnung sein.
Wo Welten sich treffen
Die Dozentin des Moduls resümiert: «13 Studierende verpflichteten sich ausnahmsweise nicht der Ästhetik allein. Sie zeigten Mut für Abwegiges, räumten dem Chaos Platz ein, knüpften Kontakte in alle Richtungen, übten sich in Zusammenarbeit.» Das sichtbare Resultat seien aufgetürmte Steine, Baumäste, ein Laubhaufen, Plastikrohre. Möge das Resultat dem Betrachter auf den ersten Blick optisch klein erscheinen, schlussfolgert die Dozentin: «Im weitesten Sinne ermöglichte das Projekt es jedoch, dass sich Welten trafen, die sich sonst kaum berühren.»
Ausserdem bedeute Engagement für Natur und Umwelt immer auch, einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt zu leisten.
Label «Grünstadt»
Das Projekt «Unterschlüpfe» steht für die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinde Emmen und der Hochschule Luzern. «Ein kleines, aber schönes Projekt», erläutert die Gemeindepräsidentin Ramona Gut-Rogger, welches der Bevölkerung als Inspiration dienen könne. Die mit dem Label «Grünstadt» ausgezeichnete Gemeinde Emmen unterstütze wenn immer möglich Biodiversitätsprojekte von Privaten und Organisationen.
Chancen, direkt vor der Tür
Seit 2020 ziehen Studentinnen und Behörde zusammen für die Zukunft am gleichen Strick. In einer Kooperationsvereinbarung wurde dies Ende Februar erneuert und gefestigt. Die Gemeinde sehe laut der Emmer Gemeindepräsidentin im kreativen und wissenschaftlichen Potenzial der HSLU wertvolle Ressourcen. «Schon vor einiger Zeit erkannten wir, welche Kompetenzen wir direkt vor der Haustüre mit der HSLU haben.»
Hinter diesem Autor steckt die Redaktion von zentralplus. Wesentliche Eigenleistungen werden unter den Namen der Autorinnen und Autoren veröffentlicht.