Diese Jacken kannst du mieten – aber niemals kaufen
Acht Jacken, die von diversen Leuten getragen werden, bevor sie weiterziehen an den nächsten Mieter. Zwei Zugerinnen haben mit Common Goods ein spannendes Experiment gestartet, das sich zwischen Kunst, Design und Konsum bewegt.
Wie oft trägst du deine Lieblingsjacke? Und wie viele andere Jacken hängen schon lange unbenutzt im Kleiderschrank? Das Projekt Common Goods sorgt dafür, dass man sich unweigerlich stärker Gedanken macht über den eigenen Kleiderkonsum. Und das, ohne dabei belehrend sein zu wollen. Stattdessen passiert das Umdenken ganz von allein.
Und so gehts: Die Zuger Textildesignerinnen Sara Liz Marty (35) und Nadja Zürcher (38) haben acht Jacken kreiert. Sie alle sind indigoblau, bestehen aus dickem, weichem Leinenstoff und tragen jeweils unterschiedliche Muster. Keines dieser Unikate lässt sich kaufen, die Jacken lassen sich hingegen für je zwei Monate für jeweils 85 Franken mieten.
Dieser Umstand kann irritieren. Unsere Gesellschaft ist stark darauf ausgerichtet, Dinge zu besitzen. Zu wissen, dass man eine Jacke nur für eine beschränkte Zeit zur Verfügung hat, löst ein seltsames Gefühl aus. Diese leise Stimme, die «aber ich möchte, dass die Jacke mir allein gehört» flüstert, sei durchaus erwünscht, erklären die Designerinnen. Marty sagt dazu: «Auch für uns ist das eine Challenge. Am liebsten würden wir alle Jacken selber behalten. Doch bewusst stellen wir uns der Frage, wie es auch anders gehen könnte.»
Stärker geliebt, weil beschränkt zugänglich?
Zürcher ergänzt: «Wir glauben, dass jemand, der die Jacke für zwei Monate bucht, diese öfters und mit einem grösseren Stolz trägt als Kleidungsstücke, die im eigenen Besitz sind.» Und weiter: «Auch hoffen wir, dass die Jacken auf der Strasse wiedererkannt werden und sich daraus Dialoge ergeben.» Die beiden sind überzeugt, dass die Jacken von ihren Trägerinnen sorgfältig behandelt werden. Gerade eben, weil sie nur gemietet sind. «Kommt dazu, dass jeder Mieter das Kleidungsstück direkt weiterschickt an die nächste Mieterin. Das schafft eine besondere Verantwortung.»
Auszug – die Zuger Designermesse
Die Zuger Designermesse Auszug feiert heuer ihr 15-jähriges Bestehen. Und dieses Jahr ist einiges neu.
Statt wie bis anhin in der Shedhalle findet die Ausstellung nun in der Chollerhalle statt. Zwischen Freitag, 29. November, und Sonntag, 1. Dezember, verkaufen und präsentieren 28 Aussteller lokales Design und angewandte Kunst.
Neben etablierten Designerinnen fördert die Messe Auszug auch aufstrebende Talente. Drei Ausstellungsflächen sind speziell für Newcomer reserviert. In diesem Jahr sind dies: Schmuckdesignerin Ursina Caviezel, Keramikerin Elena Gilli sowie die im Artikel vorgestellten Sara Liz Marty und Nadja Zürcher, die mit Common Goods ein Sharing-Projekt für Kleidung betreiben. Eine weitere Neuerung an der Auszug-Messe: Heuer können Besucher im Rahmen eines Fokusthemas dem gesamten Designprozess vierer Ausstellerinnen beiwohnen.
Auszug:
Freitag, 29. November, 17–20 Uhr
Samstag, 30. November, 10–18 Uhr
Sonntag, 1. Dezember, 10–16 Uhr
Der Anlass findet in der Chollerhalle Zug statt.
Im Online-«Shop» von Common Goods zeigt sich, wie gut die acht Jacken «laufen». Fazit: Das Angebot stösst auf grosse Gegenliebe. Nicht wenige der Unikate sind bis 2026 ständig vermietet. Neue Interessenten müssen also Geduld aufbringen.
Marty spricht in Hinblick dessen von einem Risiko: «Es handelt sich um ein Experiment, und wir wissen nicht, wie die Jacken in einem oder in zwei Jahren aussehen. Sie sind zwar qualitativ sehr hochwertig, dennoch verändern sie sich zwangsläufig, wenn sie oft getragen werden.» Doch auch das sei Teil des Projekts. «Es kann sein, dass sie wertvoller werden, wenn sie eine gewisse Patina aufweisen oder Mieterinnen unbedingt eine Jacke möchten, die vorher von einer bestimmten Person getragen wurde.»
Der Weinfleck gehört dazu
Und was, wenn ein Malheur passiert? Wenn Rotwein oder Kaffee auf den weichen Leinenstoff trifft? Auch das sei Teil des Prozesses, finden die beiden achselzuckend. «Eigentlich war das anfänglich sogar unser Plan, dass alle Trägerinnen auf der Jacke ihre Spur hinterlassen, indem sie beispielsweise etwas darauf sticken. Das wäre jedoch etwas zu forciert.» Aber: «In jeder der Jacken hängt ein grosses Label. Dort können alle Mietenden ihren Namen aufsticken, bevor sie das Kleidungsstück weitersenden. Dadurch wird das Gemeinschaftliche visualisiert.» Eine der acht Jacken biete zudem etwas mehr kreativen Spielraum. «Sie ist unifarben blau. Hier werden die Trägerinnen sogar spezifisch aufgefordert, auf die Jackenaussenseite ihre Initialen aufzusticken», so Marty.
Zürcher ergänzt: «Es geht bei diesem Projekt noch viel weiter als nur darum, Kleider zu teilen.» Tatsächlich wollen die beiden Designerinnen mit Common Goods ein altes Handwerk am Leben erhalten. Die Leinenjacken wurden nämlich mittels Tessiner Blaudruck gefärbt. Dank einer farbabweisenden Pappe, welche auf dem Stoff angebracht wird, entstehen Aussparungen, welche nach dem Abtragen der Pappe an diesen Stellen zu Mustern werden.
Common Goods widmet sich einem alten Tessiner Handwerk
«Für diesen Prozess arbeiten wir mit Matteo Gehringer zusammen, der dieses Handwerk im Tessin praktiziert. Ohne ihn würde es nicht gehen. Allein die Herstellung der Pappe ist anspruchsvoll», sagt Zürcher, die Gehringer an einem Kurs im Ballenberg kennenlernte. Marty ergänzt: «Er ist sehr offen für unsere Ideen und der perfekte Kollaborateur, um dieses alte Handwerk in die Welt zu tragen. So ein Glücksfall. Da bekomme ich gerade Hühnerhaut.» Sie lacht.
Genäht werden die Jacken übrigens ebenfalls im Tessin. Dies von der kleinen, von Frauen geleiteten Textilfabrik Punto 301. Den Leinenstoff hingegen lassen die Macherinnen von Common Goods nicht extra anfertigen. «Es handelt sich um sehr alte, bereits existierende Stoffe. Es war uns wichtig, auf Bestehendes zurückzugreifen.» Zürcher fasst sich an den Jackensaum und sagt: «Dieser hier stammt aus dem Jahr 1870. Jener, der Liz Marty trägt, wurde etwa 1920 gewoben.» Tatsächlich sind die Stoffe haptisch mit nichts zu vergleichen, was man im üblichen Kleiderhandel erhält. Hier wird Geschichte getragen.
Newcomerinnen an der Designermesse Auszug
Dieses Wochenende trifft man Marty und Zürcher an der Zuger Designermesse Auszug an. Die «Newcomerinnen» verkaufen hier Postkarten und selbst designte Tücher. Auch drei der indigoblauen Jacken sind dort zu bewundern – und zu mieten. «Jedenfalls bis im Januar. Dann werden auch die an die nächsten Mieter verschickt.»
Das Projekt Common Goods ist gerade erst gestartet. Fünf der Jacken sind seit Anfang November im Umlauf. Handelt es sich um ein Projekt, auf das die beiden dereinst finanziell bauen möchten? Sie blicken sich an, schütteln langsam den Kopf. Marty sagt: «Wir wollten ein utopisches Projekt ins Leben rufen, eines, das auch aneckt. Finanziell unabhängig sein muss es nicht, da es sich auf dem schmalen Grat zwischen Kunst, Konsum und Design bewegt.» Zürcher: «Es handelt sich eher um ein Social-Design-Projekt.» Marty ergänzt: «Das Projekt ist sehr viel näher an der Kunst als an einem Business Case für einen neuen Brand. Auch weil alle, die unsere Jacken mieten, quasi Protagonisten in unserem Experiment sind.»