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An älteren Stallwänden klebt zum Teil Farbe mit PCB, einer hochgiftigen Industriechemikalie. Der Kanton Luzern hat ein Kontrollprogramm durchgeführt – doch kaum ein Landwirt hat sich gemeldet.
Wenn krebserregende Stoffe in Fleisch, Milch oder Eiern nachgewiesen werden, müssten eigentlich die Alarmglocken läuten. Man erwartet ein Monitoring, Verkaufsstopps und Sanierungen, um solche Vorfälle zu verhindern. Der Kanton Luzern stampft jedoch sein Kontrollprogramm für giftige PCB (polychloriertes Biphenyl) rund vier Monate nach dem Start wieder ein.
Der Grund: Die Kontrollen waren freiwillig – und nur wenige Bauern öffneten den Kontrolleuren ihren Stall.
Alter Baustoff ist heute noch Gesundheitsrisiko
Die Industriechemikalie PCB wurde früher unter anderem zur Isolation in Kondensatoren und Transformatoren genutzt und war Bestandteil von Lacken, Klebstoffen, Farben und vor allem Fugendichtungen. Zwar hat die Schweiz den Stoff 1986 verboten. 2003 unterzeichnete sie die Stockholmer Konvention, mit der sie sich verpflichtete, giftige Chemikalien wie PCB zu suchen und entsorgen. Doch der Stoff steckt noch immer in den Fugen und Wänden von alten Gebäuden.
Das Bundesamt für Gesundheit geht beispielsweise davon aus, dass in rund der Hälfte der Betonbauten, die im Zeitraum von 1955 bis 1975 in Skelett- und Elementbauweise erstellt wurden, PCB in den Fugendichtungen steckt. Darunter Spitäler, Schulhäuser oder Turnhallen. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) geht in einem Bericht vom Mai 2024 davon aus, dass heute noch rund 185 Tonnen PCB in Umlauf sind, davon 86 Tonnen in Farben.
Und von dort findet PCB seinen Weg in unsere Nahrungsmittel. Das haben die Behörden vor gut einem Jahrzehnt wegen eines Falls in Graubünden herausgefunden. In Fleischproben eines Bündner Hofs fand das Bundesamt für Gesundheit PCB-Werte, die fünfmal so hoch waren wie der gesetzliche Grenzwert es erlaubt. Der Chemiker Markus Zennegg entdeckte Anfang 2014 schliesslich die Ursache an der Stallwand: PCB-haltige Farbe. «Ein einziger Farbsplitter kontaminierte eine ganze Kuh», sagte der Experte 2018 gegenüber dem «Beobachter».
Gemeldet haben sich 16 Luzerner Bauern
Rund zehn Jahre später startete der Bund eine Kampagne, um den Bäuerinnen eine PCB-Sanierung schmackhaft zu machen: Bund und Kantone übernehmen bis 2026 75 Prozent der Kosten. Danach reduziert sich der Beitrag auf 50 Prozent, ab 2030 müssen Bauern wieder selbst für die Sanierung aufkommen. Im Zuge dessen gingen auch die Kanton Luzern und Schaffhausen in die Offensive. Mitte Juni 2024 suchte Luzern Landwirte, die auf ihrem Hof Gebäude haben, die vor 1980 gebaut worden sind. Sie können ihren Betrieb freiwillig untersuchen lassen, Bund und Kanton übernehmen den Grossteil der Kosten (zentralplus berichtete).
Doch wie der «Beobachter» schreibt, war die Kampagne weniger erfolgreich als gedacht. Gerechnet hatte der Kanton mit 50 bis 70 Höfen, gemeldet haben sich bis Ende der Messkampagne 16 Betriebe. Was PCB-Experte Markus Zennegg gegenüber der Zeitung als «ernüchternd» bezeichnet, kommentiert der Kanton Luzern gegenüber zentralplus etwas diplomatischer: «Wir hatten grundsätzlich mit einer erhöhten Nachfrage gerechnet.»
Ausmass des Problems ist unklar
Ziel der Kampagne sei es gewesen, dass sich jene Betriebe für Abklärungen melden würden, bei denen möglicherweise ein Problem bestehe, schreibt der Luzerner Kantonschemiker Silvio Arpagaus. Nur: Wie viele Betriebe das potenziell sind, wissen weder Bund noch Kanton.
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Auch die EFK rügte in ihrem Bericht, dass der Schweiz ein systematisches, vollständiges Monitoring fehle, um das Ausmass der PCB-Belastung zu bestimmen. Auch fehlten «rechtlich bindende Vorgaben» für den Umgang mit PCB-verseuchten Gebäuden.
Dabei wäre die Suche und Sanierung von PCB-haltigen Bauteilen auf den Höfen durchaus wichtig, so Arpagaus. «Da Lebensmittel tierischer Herkunft für den Menschen die Hauptquelle für die Aufnahme von PCB sind, könnte damit ein wichtiger Beitrag zur Reduktion dieser Stoffe erreicht werden. Ohne diese Massnahmen wird die bestehende Situation nicht verbessert.»
Sanierung wegen PCB könnte Bauern in Luzern viel kosten
Die fehlende Teilnahmebereitschaft der Bauern erklärt sich der Kantonschemiker mit den Kosten. Zwar werden die Messungen und Laboranalysen zu 30 Prozent vom Bund, zu 50 Prozent vom Kanton und zu 20 Prozent vom Eigentümer gezahlt. Wie viel das letzlich kostete, könne der Kanton aber noch nicht sagen, da die Messkampagne noch nicht ganz abgeschlossen sei.
Für die allfällig nötigen Sanierungen im Anschluss der Kontrollen müssten Landwirte jedoch tief ins Portemonnaie langen. PCB-Sanierungen können zum Teil 100'000 Franken kosten, wie der «Beobachter» schreibt. Sprich: Luzerner Landwirte müssten trotz Fördergeldern des Bundes 25'000 Franken selbst hinblättern. Die Umbauten beim Bündner Hof von 2014 kosteten gemäss dem Kanton Graubünden gar 175'000 Franken.
Gemäss Verband haben Landwirte die Kampagne verpasst
Raphael Heini, Interessenvertreter des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands (LBV), geht auf Anfrage eher davon aus, dass viele die Kampagne schlicht nicht mitbekommen hätten. «Die allgemeine Informationsflut ist gross und neben allen anderen Tätigkeiten auf dem Hof und im Büro werden wohl nicht alle Newsletter und Zeitungsberichte bis ins Detail gelesen.» Zudem seien auch nicht alle Luzerner Höfe betroffen, sondern eben nur jene mit über 44-jährigen Ställen. Der LBV selbst unterstütze die Kampagne und habe auch in seinem Newsletter darauf hingewisen.
Der Verband hofft, dass der Kanton die Messkampagne weiter führt. Bei einer zweiten Durchführung sollten die Behörden ihre Kommunikation jedoch intensivieren, findet Heini. «Die Konsequenzen einer zu hohen PCB-Belastung bei Nichtsanierung müssen noch intensiver aufgezeigt werden.» Was ebenfalls für die Weiterführung der Kontrollen spreche: die finanzielle Unterstützung des Bundes. Die Fördermittel für die Messungen und Sanierungen sind begrenzt – warten Bauern zu lange zu, bleiben sie auf allen Kosten selbst sitzen.
Der Kanton Luzern zieht derweil bereits einen Schlussstrich hinter die Kontrollen. Wegen der geringen Nachfrage bei der laufenden Kampagne verlängere der Kanton das Programm nicht, schreibt Kantonschemiker Arpagaus. Von den 16 kontrollierten Höfen abgesehen, bleibt wohl weiterhin ein Mysterium, wie viele Betriebe in Luzern mit PCB verseucht sind.
- Artikel im «Beobachter» zu den Messkampagnen in Luzern und Schaffhausen
- Informationen des Bundesamts für Gesundheit zu PCB
- Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle zum Umgang des Bundes mit problematischen Stoffen
- Informationen zur Stockholmer Konvention 2003
- Artikel im «Beobachter» zum Bündner Fall 2018
- Informationen des Bundesamts für Landwirtschaft zur Kampagne für PCB-Sanierungen
- Medienmitteilung des Kantons Luzern zum Start des Kontrollprogramms
- Schriftlicher Austausch mit Silvio Arpagaus, Luzerner Kantonschemiker
- Schriftlicher Austausch mit Raphael Heini, Interessenvertreter des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbands