Maiswurzelbohrer, Asiatischer Laubholzbockkäfer, Blauflügelige Ödlandschrecke. Promi-Namen wären hilfreich, sich Insektennamen zu merken. Für das Politikmarketing bietet sich eine Riesenchance.
Weil der äusserst zerstörerisch wirkende Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis) in Zell gefunden wurde, hat der Kanton Luzern umgehend gehandelt. Der örtliche Laubholzbestand wurde abgesucht und befallene Bäume gleich vernichtet. Das entzieht dem Käfer die Lebensgrundlage und verhindert die weitere Ausbreitung (zentralplus berichtete).
Um den unerwünschten westlichen Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera) zu stoppen, müssen die Zuger Landwirte jedes Jahr auf anderen Feldern Mais anbauen (zentralplus berichtete). Und Pro Natura hat soeben die perfekt getarnte Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens) zum Tier des Jahres erklärt.
Zwecks Eindeutigkeit setzt sich der lateinische Tiername aus zwei Teilen zusammen. Das erste Wort bezeichnet die Gattung, das zweite die Art. Und je nach Bedarf bezeichnet ein drittes die Unterart. Die Eindeutschung folgt in der Regel einer Wort-für-Wort-Übersetzung.
Die komplizierten drei- bis fünfteiligen Namen kann sich niemand merken. Weder wird dadurch der Zweck erfüllt, seltene Tiere wirksam zu schützen. Noch lassen sich so Schädlinge ernsthaft bekämpfen.
Werbewirksame neuere Namensgebung
Doch eröffnet sich dadurch eine Riesenchance für das Politikmarketing, insbesondere den Wahlkampf. Die Wissenschaft macht es vor. Sie hat sich inzwischen vom Schubladendenken verabschiedet. Angesichts der rund 20'000 Tiere, die jedes Jahr neu entdeckt werden, kommen neuerdings erstaunliche – und vor allem sehr viel einprägsamere – Tiernamen zustande. Statt der althergebrachten Systematik zu folgen, lassen sich die Wissenschaftler heute vom Prinzip der Ähnlichkeit inspirieren.
So lebt der Modeschöpfer Karl Lagerfeld (1933–2019) in einer nach ihm benannten Spinnenart weiter. Forscher der Universität Hamburg haben die neu entdeckte Art «Jotus karllagerfeldi» eingeführt. «Das Tier erinnerte uns von den Farben her an den reduzierten Stil Karl Lagerfelds. Die schwarzen Beinglieder assoziierten wir zum Beispiel mit den Handschuhen, die er immer trug, und die riesigen schwarzen Augen mit seiner Brille.»
Offenes Feld für die Politik
Weitere prominente Beispiele: Die Greta-Thunberg-Schnecke (Opacuincola gretathunbergae) oder die Trump-Motte (Neopalpa donaldtrumpi). Noch ist kein Beispiel aus der Schweizer Politfauna bekannt. Dabei ist offensichtlich: Kann sich eine Politikgrösse zum Taufpaten eines Schädlings emporschwingen, schlägt sie damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Zu Gunsten des Tieres notabene.
Zum einen trägt sie damit zur Publizität des Tieres bei und hilft im Falle des Schädlings der Land- und Waldwirtschaft sowie dem Gartenbau. Oder sie leistet einen Beitrag dazu, dass die bedrohte Tierart überleben kann.
Zum anderen kann die Politgrösse so ihr Profil schärfen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil im Wahlkampf. Die Trump-Motte verdankt ihren Namen einer äusserlichen Ähnlichkeit. Ihre blonden Härchen auf dem Kopf gleichen dem Trump-Haarschopf. Wer versteht, dass da bezüglich Putzigkeit ein veritabler Imagetransfer zustande kommt, muss kein Marketingexperte sein.
Schädlinge sind besonders hilfreich zur Profilierung
Aber wer will schon putzig sein und harmlos? Bei Politikern hat sich schon längst durchgesetzt, dass Zimperlichkeit im Kampf um Aufmerksamkeit nicht zum Erfolg führt. Wen kein Schwein kennt, wird auch von keinem Menschen gewählt.
Politiker wie Nationalrat Roger Köppel, Nationalrat Andreas Glarner oder Nationalrat Thomas Aeschi (alle SVP) scheuen sich nicht, negativ aufzufallen. Sie treten gerne in Fettnäpfchen und stossen andere mit Vergnügen vor den Kopf. Publicity ist ihnen und ihren Anliegen damit garantiert. Dass sie hier aufgezählt werden, beweist: Das Rezept funktioniert.
Dass diese drei Personen klassische Aspiranten auf Namenspatenschaften für Schädlinge sind, ist offensichtlich. Ihrer Logik ist das dienlich: Denn Schädlinge weisen oft Eigenschaften auf, die sich Politiker gerne auf ihre Fahnen schreiben.
Sie sind hartnäckig und zäh, beissen sich fest und sind gründlich – wenn auch die Pflanze damit stirbt. Aber darüber braucht man ja nicht zu reden. Warum auch? Tiere folgen nur ihrer Natur. Um die Taufpatenschaft für den schädlichen Gefurchten Dickmaulrüssler (Otiorhynchus sulcatus) müsste also ein veritabler Streit entstehen.
Möglicher Coup für die Sozialdemokraten
Aber nicht nur den rechten Politikern kann dieses neue Feld des Marketings dienen. Auch die Linke oder die Mitte kann daraus Profit schlagen. Denn wie alle anderen kämpfen auch sie damit, dass Politparolen oft an nichtssagenden Worthülsen kranken.
Den Sozialdemokraten könnte mit dieser neuen Marketingmethode ein Coup gelingen. Sie schaffen es derzeit viel zu wenig, sich werbewirksam von den Grünen abzugrenzen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich die Grünen stark via soziale Themen positionieren.
Wenn es Exponenten der SP gelingt, Namenspatenschaften für seltene rotgefärbte Tiere – im Idealfall für ihr Sozialverhalten gegenüber den Schwächsten ihrer Art bekannte – zu krallen, würde das sehr helfen. Sie würden die Grünen damit auf dem eigenen Feld schlagen.
Ausgerechnet unter Zuhilfenahme der Fauna, dem klassischen Hoheitsbereich der Tiere, könnten sie augenfällig unter Beweis stellen, dass in der Sozialpolitik sie das Original sind, und nicht die Grünen. Gleichzeitig können sie sich durch die Wahl seltener nützlicher Insekten als Naturschützer profilieren.
Dass die Parteizentralen landauf und landab diese Marketinglücke noch nicht erkannt haben, ist höchst verwunderlich. Denn diese sind doch auch sonst nicht darum verlegen um die eine oder andere unsinnige oder sinnige Idee im Wahlkampf.
Die Ödlandschrecke aus Wikon
Damit zurück zur Bauflügeligen Ödlandschrecke, die Pro Natura zum Tier des Jahres gewählt hat. Zu wem würde dieses seltene Tier passen? Perfekt getarnt, wird sie in ihren warmen und trockenen Lebensräumen gerne übersehen. Erst wenn sie im Flug ist, enthüllt sie ihr schönes blaues Flügelwerk.
Die Regierungsratskandidatin Michaela Tschuor (Mitte) käme diesem Insekt idealtypisch nahe. Ihr Lebensraum Wikon direkt an der Grenze zum Kanton Aargau ist aus Stadtluzerner Perspektive her gesehen ein Ödland. Peripher und unterschätzt.
Erst im Anflug Richtung Hauptstadt Luzern zeigt sie ihre prächtigen Flügel. Indem sie die Männerphalanx im Luzerner Regierungsrat aufschreckt, wird sie dem Namen der Schrecke auch gerecht. Eine Frau im Regierungsrat tut not. Erfreulich, dass auch andere Schrecken zur Wahl aufgestellt sind und damit sogar mehr Frauensitze möglich werden.
Es besteht dringender Handlungsbedarf
Ohrwürmer (Forficula auricularia) von Namen täten dem Kampf zur Wahl in den Luzerner Regierungs- und Kantonsrat am 2. April also durchaus gut. Vielversprechende Organismen stehen zur Umfirmierung bereit.
Nur zwei Beispiele aus der Welt der Schädlinge: Conotrachelus nenuphar (Nordamerikanischer Pflaumenrüssler) oder Aromia bungii (Asiatischer Moschusbockkäfer). Letzterer erinnert allerdings eher an den ehemaligen italienischen Staatschef Silvio Berlusconi. Respektive seine Bunga-Bunga-Parties, bekannt als römische Orgien neueren Gepräges.
Noch hat er keinen Anspruch darauf erhoben, den Käfer in Arominia bungii berlusconii, zu Deutsch Berlusconi-Bunga-Bunga-Käfer, umzubennen. Noch besteht also eine Chance. Nur: Wie lange noch?
- Mitteilung Pro Natura zum Tier des Jahres
- Artikel im GEO zur Thunbergschnecke
- Interview auf der Website der Universität Hamburg zur Lagerfeld-Spinne
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Samuel Kneubuehler, 08.01.2023, 12:44 Uhr Wer ist Matthias Glarner? Meinte der Autor nicht eher Andreas Glarner? Und die Regierungsratskandidatin aus Wikon ist bei der Mitte, nicht FDP.
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