Erste Bilanz der Liste «ambulant vor stationär»

Umstrittene Liste: Kanton Luzern spart 1,5 Millionen

«Ambulant vor stationär ist ein Erfolg», so der Luzerner Gesundheitsdirektor bei der Bilanz des ersten Halbjahres.

(Bild: les)

Seit Juli 2017 werden im Kanton Luzern verschiedene Operationen nur noch ambulant durchgeführt. Die Einsparungen allerdings sind noch bescheiden. Der Luzerner Gesundheitsdirektor Gudio Graf spricht dennoch von einem «Weg in die richtige Richtung». Deutlich zurückhaltender sind die Ärzte.

Der Kanton Luzern – ein Pionier und Vorreiter? Die Gesundheitskosten im Kanton Luzern explodieren, Guido Graf, Regierungsrat und Gesundheitsdirektor des Kantons Luzern, hat Handlungsbedarf ausgemacht.

Seit Juli 2017 werden im Kanton Luzern geplante Behandlungen und Untersuchungen, welche auf der Liste «ambulant vor stationär» aufgeführt sind, nur noch ambulant durchgeführt (zentralplus berichtete). Das heisst, dass sich der Kanton bei zwölf Gruppen von Eingriffen nur noch dann an den Kosten eines stationären Aufenhaltes beteiligt, wenn dieser begründet ist.

Luzern war der erste Kanton, der diese Liste umgesetzt hat. Ab Anfang 2019 gilt in der ganzen Schweiz eine Liste von Operationen, die in der Regel nicht mehr stationär durchgeführt werden sollten.

Guido Graf ist treibende Kraft, der dieses Thema zur Chefsache erklärt hat. «Es war an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.» Auch ihn habe die ganze Geschichte erzürnt, denn es gab zu Beginn viele kritische Stimmen, doch: «Das gehört zum Beruf des Gesundheitsdirektors dazu.»

Kanton spart 1,5 Millionen Franken

«Ambulant vor stationär ist ein Erfolg», beginnt der Luzerner Gesundheitsdirektor. Es stehe im Interesse des Patienten, nach einem Eingriff schnell nach Hause gehen zu können. Und es mache «volkswirtschaftlich Sinn».

In der Tat hat der Kanton in den ersten sechs Monaten 1,5 Millionen Franken eingespart. Dies, weil die stationären Eingriffe im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um rund 26 Prozent abgenommen haben.

Der stärkste Rückgang sei bei den Herzkatheteruntersuchungen, den Leistenbrüchen und bei den Krampfadern auszumachen, wie Christos Pouskoulos von der Dienststelle Gesundheit und Sport aufzeigt.

Als «positive Nebeneffekte» führt Graf auf, dass seit Einführung der Kontrollen die unnötigen Eintritte am Vortag um 91 Prozent zurückgingen. Dadurch konnten in den ersten sechs Monaten zusätzliche Einsparungen von je mindestens 250’000 Franken für den Kanton und den Versicherer gemacht werden.

 

 

«Keine Mehrbelastung für die Grundversicherung»

Die 13-er-Liste hat in den vergangenen Monaten immer wieder für Zündstoff gesorgt. Unter anderem wurde kritisiert, dass auf dem Buckel der Versicherten gespart werde. Während stationäre Eingriffe zu 55 Prozent von öffentlicher Hand und zu 45 Prozent von Krankenkassen finanziert werden, tragen die Kosten für ambulante Eingriffe vollumfänglich die Krankenversicherten, das heisst schlussendlich: der Prämienzahler.

Doch auch die Grundversicherung werde entlastet. Der Kanton sparte 2017 im Vergleich zum Vorjahr bei den stationären Kosten 1,34 Millionen Franken ein. Der Anteil der Grundversicherung ist von 47 auf 45 Prozent gesunken, was einen Rückgang von 5,1 Millionen auf 3,6 Millionen Franken bedeutet.

Die Berechnungen würden zeigen, dass «ambulant vor stationär» zu keinen Mehrkosten bei den Krankenkassen in der Grundversicherung geführt hat. Und das trotz Mehrkosten bei einzelnen Eingriffen, wie Graf erklärt. Dies ist möglich, weil ambulante Eingriffe im Schnitt 2,3 mal günstiger sind als stationäre.

Die zuvor geäusserten Ängste sind demnach unberechtigt. Die Mehrkosten, die bei einzelnen Eingriffen entstanden seien, konnten vollständig durch die Einsparungen im stationären Bereich und durch den Rückgang der Eintritte am Vortag kompensiert werden.

Ein Tropfen auf dem heissen Stein?

Der Kanton hat zwar durch die Liste «ambulant vor stationär» 1,5 Millionen eingespart, jedoch zahlte er beispielsweise im Jahr 2015 insgesamt 318 Millionen Franken an Kosten an die stationäre Versorgung. Man spart also weniger als 0,5 Prozent. Ein Tropfen auf dem heissen Stein also? «Das sind Ersparnisse vom Steuergeld, das von unseren Bürgern kommt. Da ist durchaus noch mehr Potenzial vorhanden», erwidert Regierungspräsident Guido Graf.

«Das sind Ersparnisse vom Steuergeld, das von unseren Bürgern kommt. Da ist durchaus noch mehr Potenzial vorhanden.»

Guido Graf, Gesundheitsdirektor

In anderen Ländern werden massiv mehr ambulante Eingriffe gemacht, als in der Schweiz, fährt Graf fort. «Die Schweiz steht am Schluss.» Es sei wichtig, in den nächsten zwei bis drei Jahren Erfahrungen zu sammeln. Graf sieht ein Sparpotenzial von jährlich drei Millionen Franken.

Fachärztlicher Entscheid im Fokus

Durch die Liste entscheide nicht – wie vielfach angenommen – eine Person am Bürotisch, ob der Eingriff auch wirklich ambulant durchgeführt werden könne. Der Facharzt vor Ort fälle das Urteil und schätze auch den möglichen Verlauf der Genesung ein. Nach jedem Eingriff herrscht eine postoperative Überwachungsphase, die sechs Stunden lang dauert, wie Aldo Kramis, der Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Luzern ist, erklärt. Das heisst, dass ein Arzt vor jeder Operation abwägen muss, ob Komplikationen in Form von starken Blutungen oder Schmerzen auftreten könnten und deswegen eine ambulante Versorgung nicht ausreicht.

Es seien bis anhin nur Einzelfälle, in denen man im Nachhinein festgestellt habe, dass man einen falschen Entscheid getroffen habe und der Patient besser stationär behandelt worden wäre.

Jedoch gäbe es Risikogruppen – gerade dann, wenn nach einer Operation eine Nachbehandlung des Patienten sichergestellt werden muss, wie beispielsweise bei einem Leistenbruch. So sei es wichtig, eine Pauschale für Eingriffe für ambulante Leistungserbringung einzuführen, erklärt Graf.

Christos Pouskoulas (Leiter Gesundheitsversorgung), Regierungspräsident und Gesundheitsdirektor Guido Graf und Aldo Kramis (Präsident Ärztegesellschaft) bei der Präsentation der neusten Zahlen.

Christos Pouskoulas (Leiter Gesundheitsversorgung), Regierungspräsident und Gesundheitsdirektor Guido Graf und Aldo Kramis (Präsident Ärztegesellschaft) bei der Präsentation der neusten Zahlen.

(Bild: ida)

Ist die Wirtschaftlichkeit der Spitäler in Frage gestellt?

Gerade auf der Seite von Ärzten gab es Bedenken im Zusammenhang mit «ambulant vor stationär». Insbesondere, ob man dadurch der medizinischen Versorgung für den Patienten wirklich gerecht werden könne.

Wenn mehr medizinische Eingriffe nur noch ambulant und nicht stationär durchgeführt werden, heisst das, dass mehr Betten in den Spitälern frei bleiben – was im Widerspruch zum wirtschaftlichen Interesse eines Spitals steht. Der Gesundheitsdirektor sieht keine negativen Konsequenzen. «Das ist keine Neuerfindung, dass es immer weniger Betten in den Spitälern geben wird», meint Graf. So habe das Spital Wolhusen beispielsweise in den letzten Jahren die Anzahl Betten halbiert.

Liste «ambulant vor stationär»

Bei der Liste sind folgende zwölf Gruppen betroffen:

  • Krampfaderoperationen
  • Hämorrhoiden
  • Leistenbruchoperationen
  • Eingriffe am Gebärmutterhals
  • Kniespiegelung
  • Eingriffe am Kniemeniskus
  • Nierensteinzertrümmerung
  • Herzkatheteruntersuchungen
  • Karpaltunneloperation
  • Operation grauer Star
  • Herzschrittmacher
  • Eingriffe an Blutgefässen

Aldo Kramis, Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Luzern, möchte jedoch festhalten, dass eine erste Bilanz nach einem halben Jahr noch nicht ausreiche. In den Spitälern nehme man eine Verlagerung, eine Zunahme der ambulanten Eingriffe wahr, wodurch die Kosten in diesem Bereich steigen. Zahlen könnte man dazu jedoch erst Ende Dezember 2018 liefern.

Während Graf erklärte, dass durch die neue Liste kein zusätzlicher Personalaufwand nötig sei, meint Kramis als Beispiel, dass die Klinik Hirslanden mehr Personal aufgrund der Kostengutsprachen benötige.

Doch Kramis, der zu Beginn dem Projekt sehr kritisch gegenüber gestanden sei, stehe nun dahinter. «Es ist gut, dass wir das ausprobiert haben.» Es brauche jedoch klare Kriterien. Und man brauche stets auf die Bedürfnisse des Patienten und dessen Sicherheit einzugehen. «Wenn jedoch die Versorgung für den Patienten in derselben Qualität und Sicherheit gewährleistet ist und wird, dann wird die Liste weitergeführt.»

Einheitliche Liste für alle Kantone

Die Patienten würden mit der Veränderung gut zurechtkommen, meint Graf. «Die Bevölkerung ist sensibilisiert.» Er werde von vielen angesprochen, dass sie gerade einen ambulanten Eingriff hinter sich hatten. Graf möchte festhalten: «Ein medizinischer Eingriff muss nicht unbedingt stationär stattfinden. Er kann auch ambulant stattfinden und dies bei derselben Qualität und Sicherheit für den Patienten.»

Eine Herausforderung sieht Graf, an der aktuellen Liste festzuhalten. Man wolle diese nicht erweitern, jedoch auch nicht verkleinern. «Es kann jedoch nicht sein, dass wir 26 verschiedene Listen haben und dass jeder Kanton eine andere Liste führt», kritisiert Graf. Die Liste «ambulant vor stationär» soll klar über alle Kantone vereinheitlicht werden.

«Die Richtung, die wir eingegangen sind, stimmt garantiert. Es ist der richtige Weg. Auch der Ärger hat sich dafür gelohnt.»

Guido Graf

Durch die Liste muss der Operationsprozess vereinfacht werden, weshalb ambulante Operationzentren in Luzern gebaut werden. Die Privatklinik St. Anna baut im Bahnhof Luzern auf zwei Stockwerken ein ambulantes Operationszentrum sowie Behandlungsräume für Physiotherapie und Sportmedizin. Die Bauarbeiten starten diesen Frühling (zentralplus berichtete).

«Die Richtung, die wir eingegangen sind, stimmt garantiert. Es ist der richtige Weg. Auch der Ärger hat sich dafür gelohnt», schlussfolgert Graf. Und man sei in den Handlungen des Kantons bestärkt, da andere Kantone, wie beispielsweise Zug, nachgezogen sind (zentralplus berichtete). Graf zeigt sich erfreut darüber, denn es könne nicht sein, dass man tatenlos den steigenden Gesundheitskosten zusehe, nur rede und nicht handle.

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