Luzerner Kinderkrippen

Umstrittene Kita-Praktika

Traumjob Kinderbetreuung? Wer sich für eine Lehre als Fachperson Betreuung entscheidet, hat in den Luzerner Kitas schlechte Karten ohne Praktikum. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Der Kanton Luzern und der Schweizerische Fachverband «kibesuisse» möchten Praktika in Kinderkrippen abschaffen. Dagegen wehren sich die Luzerner Kitas.  Ein Praktikum sei sinnvoll für die Berufsvorbereitung, sagen sie. zentral+ hat sich die Argumente beider Seiten angehört. 

Wer sich in einer Luzerner Kita für eine Lehrstelle zur «Fachperson Betreuung» (FaBe) bewirbt, sollte Praktikumserfahrung mitbringen. Denn ohne ein absolviertes Praktikum im sozialen Bereich, idealerweise in einer Kinderkrippe, wird die Lehrstellensuche schwierig. «Da wir die offenen Lehrstellen an unsere Praktikantinnen und Praktikanten vergeben, hat es jemand ohne Praktikumserfahrung schwierig, das stimmt », sagt beispielsweise Shirley van Wijlen, die als Geschäftsführerin von «leolea Luzern» drei Kitas in der Stadt Luzern führt. Die meisten Luzerner Kitas besetzen ihre Lehrstellen vorzugsweise mit eigenen Praktikanten.

Höchst problematisch

Dem Kanton Luzern ist diese Tatsache ein Dorn im Auge. Die Dienststelle Berufs- und Weiterbildung befürwortet zwar Praktikumseinsätze, aber nur, wenn sie im Rahmen einer beruflichen Bildung im Sozialbereich absolviert werden. Wie zum Beispiel Schnupperpraktika und obligatorische Praktika während der Schulzeit. Bei Praktika, wie sie von Krippen angeboten werden, verweist der Kanton auf die Empfehlungen von «Savoir Social», dem Schweizerischen Dachverband der Arbeitswelt Soziales. Und dieser stuft solche unabhängigen Praktika als «höchst problematisch» ein.

Das Praktikum sei eine künstliche Hürde, welche den Einstieg in eine berufliche Grundbildung erschweren würde. Eine berufliche Grundbildung müsse im Anschluss an die obligatorische Schulzeit absolviert werden können, auch ohne berufsspezifische Vorkenntnisse, schreibt «Savoir Social».

Ähnlich sieht es der 2013 neu gegründete Verband Kinderbetreuung Schweiz «kibesuisse» (Fusion aus ehemals KiTaS und Tagesfamilien Schweiz). Auch er möchte die Kita-Praktika vor der Grundausbildung lieber abschaffen. «Durch die dreijährige Grundausbildung zur ‹FaBe› ist ein Praktikum nicht mehr notwendig», sagt Nadine Hoch, Co-Geschäftsleiterin von «kibesuisse».

Problem der Finanzierung

Die konkrete Umsetzung der Empfehlungen von «Savoir Social» variiert, wie auch die gesetzlichen Auflagen für Kitas, von Kanton zu Kanton. Die Stadt Zürich zum Beispiel strich vor zwei Jahren die meisten ihrer Kita-Praktikumsstellen und förderte damit den Ausbau des Lehrstellenangebots. Ein Schritt, den «kibesuisse» begrüsste. «Mehr Hände bedeuten nicht zwangsläufig eine bessere Betreuung, es kommt vielmehr auf die Ausbildung der Personen an», sagte Talin Stoffel, die heutige Co-Geschäftsführerin von «kibesuisse» damals dem «Tages Anzeiger».

Zwar unterstützt auch die Stadt Luzern den Ausbau des Lehrstellenangebots von Kitas, konkrete Förderungsmassnahmen wie in Zürich ergreift sie jedoch (noch) nicht. Hier existieren weiterhin mehr Praktikums- als Ausbildungsplätze. Auch, weil nicht jede Krippe in Luzern Lehrstellen, dafür aber Praktia anbietet. Eine Studie des Luzerner Sozialdepartements soll diesbezüglich in den nächsten Monaten konkrete Zahlen liefern.

Obschon sich «Kibesuisse» gegen die einjährigen Praktika vor der Lehre ausspricht, zeigt der Fachverband auch Verständnis für die Situation der Kitas. «Die Krippen sind in der Deutschschweiz schlecht finanziert und so einem stetigen Budgetdruck ausgesetzt», sagt Nadine Hoch. Die Beschäftigung von einem oder mehreren Praktikanten sei eine direkte Folge davon. Finanziert werden die Kitas in der Deutschschweiz, mit Ausnahme weniger Städte, hauptsächlich von Elternbeiträgen (60 bis 70 Prozent).

Anders in der Westschweiz, dort beteiligen sich die Arbeitgeber finanziell an Angeboten der familienergänzenden Betreuung. Im Kanton Freiburg fliessen beispielsweise 0,4 Promille der für Familienzulagen massgeblichen Lohnsumme an Institutionen der Kinderbetreuung. «Dieses Modell entlastet sowohl die Eltern als auch die Kitas. Aber in der Deutschschweiz fehlt noch der politische Wille, um solche Möglichkeiten ernsthaft zu diskutieren», sagt Nadine Hoch.    

Das Praktikum als Berufsvorbereitung

Bis 2006 war ein Praktikum vor der Grundausbildung zur Kleinkindererzieherin noch obligatorisch. Im Zuge des neu geschaffenen Berufsbilds «Fachperson Betreuung» wurde dieses Obligatorium aufgehoben und das Mindestalter für die Ausbildung von 18 auf 16 Jahre gesenkt. «Mit 16 Jahren stellt man sich das Arbeiten mit Babys, Kleinkindern und Kindern sehr einfach vor, was es aber in Tat und Wahrheit nicht ist», sagt auch Claudio Conrad, Geschäftsführer der Müsliburg GmbH mit drei Kitas in Luzern. Ein Praktikum trenne diesbezüglich nicht nur die Spreu vom Weizen, sondern sei auch die ideale Vorbereitung und Entscheidungshilfe für den Einstieg in die Berufslehre.

«Die Abschaffung der Praktika ist mit klaren Qualitätseinbussen verbunden.»

Claudio Conrad, Geschäftsführer Müsliburg GmbH

«Rund die Hälfte der Praktikanten entscheiden sich nach ihrem Praktikum deshalb auch für einen anderen Ausbildungsweg», sagt Conrad. Sereina Stadelmann hat vor ihrer Ausbildung zur Fachperson Betreuung ein Praktikum in einer Kita absolviert. «Rückblickend bin ich sehr froh, vorher ein Praktikum in einer Kita gemacht zu haben», sagt sie. Sie habe gelernt mit der hohen Verantwortung umzugehen und sich ein gutes Bild der Ausbildung machen können. «Allerdings macht ein Praktikum nur Sinn, wenn ein Ausbildungskonzept vorhanden ist und es von der Kitaleitung eng begleitet wird.»

Weniger Lehrabbrüche dank Praktika

Die Luzerner Kitas wehren sich gegen den Vorwurf, Praktikanten bloss als günstige Arbeitskräfte einzusetzen. Vielmehr verweisen sie auf die Wichtigkeit von Praktika im Hinblick auf das junge Alter und die berufliche Unerfahrenheit der Schulabgänger und Schuldabgängerinnen. «Die Abschaffung der Praktika ist mit klaren Qualitätseinbussen verbunden. Bei einem solchen Beschluss müsste man sich überlegen, Alternativen für diese Ausbildung zu suchen», sagt Conrad. Schliesslich seien die Betreuung der Praktikanten und der Lernenden sehr zeit- und damit auch kostenintensiv.

«Dass die jungen Menschen im Voraus ein mindestens halbjähriges Praktikum absolvieren und somit den Beruf kennenlernen und Erfahrungen sammeln, verhindert unter anderem auch Lehrabbrüche und erhöht die Chance eine Lehrstelle zu finden», sagt Rita Schmid, Krippenleiterin der Kinderkrippe Frohheim in Luzern. Sie bietet in ihrer Kita zwei Praktikumsplätze pro Jahr an. Die Praktikanten verdienen zwischen 750 und 850 Franken, der Lohn orientiert sich am ersten Lehrjahr.

Stimmen Engagement und Qualität der Arbeit, erhält einer der beiden Praktikanten am Ende des Praktikumsjahres einen Lehrvertrag. «Wichtig ist, dass Praktikanten dabei nicht als «billige» Arbeitskraft eingesetzt werden, sondern, dass sie gut begleitet und angeleitet werden und dass auch zielorientiert mit ihnen gearbeitet wird», sagt Rita Schmid.

Viele Krippen nehmen heute in Luzern keine Praktikanten mehr auf, die bereits ein Praktikumsjahr hinter sich haben. Die Jugendlichen sollen so nicht von einem Praktikum zum nächsten wandeln, sondern sich beruflich auch neu orientieren können. Respektive müssen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von C. Flink
    C. Flink, 05.06.2016, 10:06 Uhr

    Es ist ganz klar, dass es leider immer noch zu viele Kita’s gibt, die unsere Jugendlichen ausnutzen und von ihnen nach der obligatorischen Schulzeit ein für sie «günstiges» Praktikumsjahr verlangen. Und dann ist es erst noch nicht sicher, dass die Jugendlichen dann die Lehrstelle erhalten. Oft folgt dann ein 2 Praktikumsjahr! Es ist schon komisch, dass die Kitas den Jugendlichen eine Lehrstelle noch nicht zutrauen, aber ein 100% Praktikum dann schon! Die Arbeiten bleiben die gleichen! Gerade bei subventionierten Kindertagesstätten würde ich von Seiten Kanton und Gemeinde diesbezüglich schärfere Kontrollen und Sanktionen verlangen.

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