Luzern: Neue Regeln für den öffentlichen Raum

Überreglementiert! Bürgerliche machen Dampf und schimpfen auf Vorrat

Für Restaurantbesitzer, hier beim Schwanenplatz, ist die Nutzung des öffentlichen Raumes das tägliche Brot.  (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Nach der Revision ist vor der Revision: Kaum sind die neuen Regeln für die Nutzung des öffentlichen Raums durchs Parlament, machen die Bürgerlichen Druck: Sie kritisieren die «kleinlichst geregelten» Vorschriften. Ihre Forderung: mit Hochdruck die Gesamtrevision anpacken. Konkrete Ideen sind aber noch Mangelware.

Einen Tag mehr Fasnacht und mehr Blumentöpfe, etwas höhere Gebühren für die einen, dafür weniger Gebühren für die anderen: Letzte Woche hat das Stadtparlament die angepassten Spielregeln für den öffentlichen Raum deutlich gutgeheissen. Es war «nur» eine Teilrevision des ebenso komplexen wie umstrittenen Reglements über die Nutzung des öffentlichen Grundes (zentralplus berichtete).

Obwohl es diesmal einige Lockerungen für das Gewerbe gab, ging das Geschäft nicht ohne Murren von bürgerlicher Seite über die Bühne. Zu streng, zu eng, zu detailliert – so kann man die Vorwürfe an das 44-seitige Regelwerk zusammenfassen (hier das Werk als PDF).

FDP, GLP und SVP wollten die Teilrevision zurückweisen und lieber gleich eine Totalrevision in Angriff nehmen. Doch sie hatten keine Chance gegen eine Mehrheit von SP, Grünen und CVP, die dem Stadtrat folgte. Dieser will frühestens auf 2018 eine Totalrevision des Reglements vornehmen, dann unter Einbezug des Gewerbes und anderer Betroffenen.

Entschlacken und liberalisieren

FDP, SVP, GLP und selbst die CVP, die eben noch für die Teilrevision gestimmt hat, preschen nun mit einer Motion vor: «Vieles in der Verordnung ist bis aufs kleinlichste Detail geregelt, was in einer lebendigen, sich weiterentwickelnden Stadt kaum tauglich ist», teilen die Parteien mit.

Die Teilrevision ist aus Sicht der vier Fraktionen wenig wert: «Wir erkennen wenig vom erhofften Befreiungsschlag: zurück zu einer gewissen Liberalisierung, wieder zu mehr Selbstverantwortung.» Sie fordern darum vom Stadtrat, das Reglement «zeitnah und mit hoher Priorität zu überarbeiten, zu entschlacken, zu liberalisieren und den Blick zu öffnen für das ganze Stadtgebiet».

«Mit der Motion haben wir ein Druckmittel. Wenn sie überwiesen wird, dann muss in zwei Jahren etwas Gescheites kommen.»

Sonja Döbeli Stirnemann, FDP

Der Zeitpunkt überrascht nicht: In der öffentlichen Wahrnehmung, befeuert durch die sozialen Medien, ist das Unverständnis gegen eine angebliche Regulierungswut in jüngster Zeit gewachsen. Deshalb wollen die bürgerlichen Parteien nicht abwarten und den Schwung nutzen. Trotzdem drängt sich die Frage auf: Wieso sich nicht zwei bis drei Jahre Zeit nehmen für eine Gesamtrevision, die den Namen verdient?

FDP: Kerzen und Äpfel

Dass eine Gesamtrevision Zeit braucht, stellt man bei der FDP nicht in Abrede. «Aber mit der Motion haben wir ein besseres Druckmittel. Wenn sie überwiesen wird, dann muss in zwei Jahren etwas Gescheites kommen», sagt Fraktionschefin Sonja Döbeli Stirnemann. Bei vagen Zusagen des Stadtrates will man es nicht belassen, zu wichtig sind die Anliegen aus Sicht der FDP.

Die Enttäuschung über die jetzige Teilrevision ist immer noch deutlich hörbar: «Alle haben darauf gewartet, doch es ist nicht der erhoffte Befreiungsschlag, die Regulierungsdichte ist immer noch jenseits», sagt Sonja Döbeli.

Sonja Döbeli Stirnemann (FDP) und Peter Gmür (CVP).  (Bilder: zvg)

Sonja Döbeli Stirnemann (FDP) und Peter Gmür (CVP).  (Bilder: zvg)

Was muss sich konkret ändern? «Das Reglement muss stark vereinfacht werden und dem Gewerbe mehr Handlungsspielraum geben.» Ein Beispiel: Statt explizit mehr Blumentöpfe zu erlauben, soll es auch möglich sein, Kerzen oder etwas anderes aufzustellen. Oder es soll ohne Weiteres erlaubt sein, vor den Wahlen Äpfel zu verteilen, wie das die FDP verbotenerweise vor den letzten Wahlen machte (zentralplus berichtete).

Ein weiteres freisinniges Anliegen: eine gesamtstädtische Sicht. «Das Reglement betrifft nicht nur die Altstadt, sondern auch Gebiete wie Tribschen oder Littau, es muss nicht alles im Zentrum stattfinden», sagt Döbeli Stirnemann. Ein Weihnachtsmarkt im Tribschen also? «Wieso nicht», sagt sie.

CVP: Widersprüchliche Haltung

Interessant ist die Haltung der CVP: Im Parlament sagte die Partei noch Ja zur Teilrevision: «Diese kleinen Änderungen sind pragmatisch und bringen dem Gewerbe jetzt sofort etwas», sagte Fraktionschefin und Stadtratskandidatin Franziska Bitzi Staub letzte Woche. Jetzt kritisiert die gleiche Partei die gleiche Revision in der Motion scharf. Für Stadtparlamentarier Peter Gmür kein Widerspruch: «Die Teilrevision war grundsätzlich gut, aber jetzt muss man die ganze Sache beschleunigen.» Dass in den nächsten zwei bis drei Jahren etwas gehen soll, reicht ihm nicht: «Das ist effizienter möglich, mit der Motion haben wir nun ein Druckmittel in der Hand.»

«Man kann alles zu Tode bereden, doch irgendwann muss man zu einem Abschluss kommen.»

Peter Gmür, CVP

Dass man alle miteinbeziehen will, unterstützt Gmür. «Aber man kann es auch übertreiben und alles zu Tode bereden, doch irgendwann muss man zu einem Abschluss kommen.» Auf die Frage, was er konkret ändern will, weiss Gmür keine Beispiele. Generell mehr Handlungsspielraum, fordert er. Und er weist auf den ewigen Streitpunkt hin: die Anzahl Parkplätze. «Die Fronten sind verhärtet, da sieht es schlecht aus», sagt er. Auch wenn die Anzahl Parkplätze – ausser bei Veranstaltungen –  nicht im Reglement zum öffentlichen Raum geregelt ist.

GLP: Keine Aufzählungen mehr

Auch die Grünliberalen haben keine Geduld mehr. «Die Gesamtrevision muss vorangetrieben werden», sagt Laura Kopp, Fraktionschefin der GLP. Diesen Prozess könne man durchaus beschleunigen, wenn man der Totalrevision die nötige Priorität einräume.

«Überspitzt formuliert wurden letztlich nur ein paar Gebühren angepasst.»

Laura Kopp, GLP

Aus ihrer Sicht war die Teilrevision unnötig, weil sie zu wenig am Reglement ändere. «Überspitzt formuliert wurden letztlich nur ein paar Gebühren angepasst. Die Änderungen, von denen das Gewerbe und die Fasnacht profitieren, betreffen die Verordnung. Diese hätte der Stadtrat auch ohne Revision umsetzen können», so Kopp. Ebenso die Gebührenbefreiung für Kinder- und Jugendvereine.

Laura Kopp (GLP) und Peter With (SVP).  (Bilder: zvg)

Laura Kopp (GLP) und Peter With (SVP).  (Bilder: zvg)

«Vereinfachen und entschlacken», sagt auch Laura Kopp. Doch was will sie konkret ändern? «Aus unserer Sicht muss das Reglement nicht jeden Einzelfall des Zusammenlebens regeln. Es reicht, wenn man im Reglement der entsprechenden Stelle die Kompetenzen delegiert», sagt sie.

Sie nennt als Beispiel den Artikel 8, Absatz 2, eine Aufzählung über «Reduktion und Ausnahmen von der Kostenpflicht» (siehe Bild unten). Solche offene Aufzählungen könnte man nach Meinung von Laura Kopp streichen: «Mit Absatz 1 erhält der Stadtrat oder die entsprechende Stelle ja bereits die Kompetenz, Gebühren zu erlassen. Weshalb also noch diese Aufzählung?», fragt sie und weiter: «Um jeden Einzelfall zu regeln und dann, wenn wieder ein neuer Vorstoss kommt, eine Teilrevision zu machen?»

Artikel 8, Absatz 2: Die Aufzählung könnte man nach Laura Kopp streichen. (Ausschnitt aus Teilrevision des Reglements über die Nutzung des öffentlichen Grundes)

Artikel 8, Absatz 2: Die Aufzählung könnte man nach Laura Kopp streichen. (Ausschnitt aus Teilrevision des Reglements über die Nutzung des öffentlichen Grundes)

Wie die FDP pocht auch die GLP auf eine gesamtstädtische Optik: «Derzeit scheint der Fokus vor allem auf der Altstadt zu liegen, die Regeln gelten aber für das ganze Gebiet», sagt Kopp.

SVP: Ob Teil- oder Gesamtrevision, ist egal

Auch die SVP drückt aufs Tempo: Ob Teil- oder Gesamtrevision, sei unwichtig. «Wichtig ist, dass man die erkannten Probleme innert kurzer Zeit löst», sagt Stadtparlamentarier Peter With. «Man darf nicht noch jahrelang an einem Reglement festhalten, das bekanntermassen Mängel hat.» Darum müsse man jetzt sofort starten und nicht erst in ein paar Jahren.

«Die Teilrevision enttäuschte auf der ganzer Linie und brachte vor allem Gebührenanpassungen.»

Peter With, SVP

In Withs Augen ist die Teilrevision nichts wert: «Gewerbe, Gastro und Tourismus haben sich immer wieder über das Reglement und dessen Umsetzung beschwert. Aber wir wurden immer damit vertröstet, dass eine Teilrevision in Arbeit sei. Das Resultat enttäuschte dann aber auf ganzer Linie und brachte vor allem Gebührenanpassungen.»

Ein solch detailliertes Reglement für ein Stadtgebiet vom Littauer Berg bis Würzenbach mit unterschiedlichsten Nutzungen funktioniere schlicht nicht. With nennt ein Beispiel: «Wenn ein Restaurantbetreiber sieht, dass bei einem Konkurrenten ein Sonnenschirm 10 Zentimeter über die erlaubte Grenze ragt, kann er reklamieren und die Dienststelle muss handeln.» Hätten Stadtrat und Dienststelle mehr Entscheidungsfreiheit, würde man mehr Augenmass walten lassen – oder solche Sachen persönlich ansprechen können. «Ohne Fristsetzung, Androhung von Sanktionen und anschliessender Kontrolle.»

Stadt bremst Erwartungen

Schon bei der Parlamentsdebatte zeigte Stadtrat Adrian Borgula (Grüne) zwar Verständnis für die Kritik, dämpfte aber Hoffnung auf eine schnelle Gesamtrevision: In diese sollen nämlich auch die Erkenntnisse aus zwei Projekten fliessen: «Stadtraum Luzern – Strategien für die Nutzung und Gestaltung des öffentlichen Raums» sowie «Forum Attraktive Innenstadt». Bevor man diese Resultate kenne, sei eine umfassende Überarbeitung sinnlos. Zudem sollen auch die Bevölkerung und Direktbetroffene mitreden können. Zur hängigen Motion selbst nimmt die Stadt Luzern wie üblich noch keine Stellung.

So gesehen dürfte die Motion der vier Parteien sicher auch Werbung in eigener Sache sein. Beschleunigen werden sie die Revision kaum.

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