Stadtbahn kommt an Grenzen – die Mittel dagegen

Überlastung im Pendlerverkehr: Gehen Chamer bald zu Fuss?

Pendler im Bahnhof Cham. Gegen neun Uhr morgens legt sich der Sturm langsam, der wochentags zwischen 5.30 und 6 Uhr beginnt.

(Bild: mbe.)

Pendleralltag: Auf der Bahnstrecke zwischen Zug und Cham spitzt sich der Engpass laut einer Prognose immer weiter zu. Passagiere könnten eines Tages nicht mehr befördert werden und würden auf den Perrons stehen gelassen, Verspätungen wären die Regel. Entlastung ist erst ab 2030 absehbar – wenn überhaupt.

Der Zimmerberg-Tunnel ist nicht der einzige Engpass im Raum Zug, der den öffentlichen Verkehr je länger, je mehr an seine Grenzen bringt (zentralplus berichtete). Die in den Spitzenzeiten chronisch überlasteten Züge sind ein weiteres Problem. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat kürzlich einen Grenzwert für überlastete Regional-Züge eingeführt, wie das Konsumentenmagazin «Saldo» berichtete.

Der Bund bezeichnet es danach als «zumutbar», wenn alle Sitzplätze besetzt sind und drei Passagiere pro Quadratmeter Platz haben (Kasten ganz unten). Wird der Wert überstiegen, gibt es Handlungsbedarf.

Engpass zwischen Zug und Cham

Ein immer grösser werdender Engpass liegt laut Prognosen des Bundes auf der Strecke Zug–Cham. Die Konsequenz hier sei, dass Zugpassagiere eines Tages nicht einmal mehr einsteigen könnten, weil die Züge in Spitzenzeiten so voll sind. Der Verein Pro Bahn Zentralschweiz findet das inakzeptabel (siehe Box). Wir wollten vom Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel (FDP) wissen, was Zug kurzfristig gegen diese chronische Überlastung unternimmt. Und wie man das Problem langfristig angehen will.

Der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel. Zu seiner Direktion gehört das Amt für öffentlichen Verkehr.

Der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel. Zu seiner Direktion gehört das Amt für öffentlichen Verkehr.

(Bild: mbe.)

zentralplus: Das Bundesamt für Verkehr befürchtet auf der Stadtbahn-Strecke zwischen Zug und Cham in Zukunft einen immer grösser werdenden Engpass. Es müssten mehr als drei Personen pro Quadratmeter stehen. Passagiere könnten sogar mangels Platz auf dem Bahnsteig stehen gelassen werden, so das Extremszenario. Ihr erster Gedanke als politisch Verantwortlicher für den Zuger Regionalverkehr?

Matthias Michel: Es handelt sich bei den drei Personen pro Quadratmeter um Planungswerte des Bundesamts für Verkehr für das Jahr 2030, danach kann das prognostizierte Wachstum in der Stadtbahn nicht mehr bewältigt werden. Nicht nur die Stadtbahn, auch das übrige Bahnangebot bekommt immer mehr Probleme, wenn kein Angebotsausbau in diesem Zeithorizont möglich ist. Bis zur physikalischen Lastgrenze können zwar noch mehr Reisende mitgenommen werden, aber die überfüllten Züge benötigen wesentlich längere Fahrgastwechselzeiten.

«Verspätungen und Anschlussbrüche wären an der Tagesordnung. Das ist für uns nicht akzeptabel.»
Matthias Michel, Zuger Regierungsrat

Der heutige Fahrplan ist mit dem enormen Fahrgastaufkommen dann nicht mehr stabil fahrbar. Es müssten Zugshalte gestrichen werden oder Züge vorzeitig gewendet werden. Verspätungen und Anschlussbrüche wären an der Tagesordnung. Das ist für uns nicht akzeptabel. Deshalb kämpfen wir, auch zusammen mit den anderen Zentralschweizer Kantonen, darum, dass der Bund mit dem Ausbauschritt 2030 Massnahmen vorschlägt, die diese Kapazitätsengpässe beheben werden.

«Pro Bahn» will neue Arbeitszeitmodelle

Dass die Strecke Cham–Zug überlastet ist, sei logisch, sagt Karin Blättler, Präsidentin des Vereins Pro Bahn Zentralschweiz, auf Anfrage. «Mit der Realisierung der Stadtbahn hat Zug eine Vorreiterrolle gespielt, aber auch eine Riesen-Nachfrage geschaffen.» Zug werde damit Opfer seines eigenen Erfolgs.
Was sagt Blättler zur Prognose, dass Passagiere nicht mehr in die Züge einsteigen könnten? Sie findet das fragwürdig. «Bei unseren hohen Billetpreisen einen Leistungsabbau vorzunehmen, liegt nicht drin.»
Es müssten neue Lösungen gefunden werden. «Wenn alle immer zur gleichen Zeit fahren müssen, geht das irgendwann nicht mehr auf», so die Präsidentin, «wir sind deshalb dafür, dass Arbeitgeber, Wirtschaft und Politik ihre Verantwortung wahrnehmen und neue Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen schaffen.»

zentralplus: Was sagen Sie zur heutigen Situation, dass die Pendler keinen Sitzplatz finden in der Rush Hour?

Michel: Für die aktuelle Situation ist zunächst festzuhalten, dass Stehplätze zum Alltag von vielen Pendlerinnen und Pendlern in der ganzen Schweiz gehören, dies bei Bahn und Bus. Stehplatzdichten von drei Personen pro Quadratmeter sind zumutbar. Ich stelle auch fest, dass längst nicht alle Reisenden einen Sitzplatz suchen. Gerade in der Stadtbahn werden oft nur kurze Strecken gefahren und so ist es für viele Reisende wichtiger, nahe bei der Türe stehen zu können.
Die FLIRT-Züge tragen diesem Umstand heute schon Rechnung. Sie werden künftig mit einem neuen Innenlayout noch stärker darauf ausgerichtet. Es werden mehr Stehplätze geschaffen. Bei nahezu gleich vielen Sitzplätzen erhöht sich so die Transportkapazität um 10 Prozent.

zentralplus: Warum ist gerade die Strecke Zug–Cham so stark belastet?

Michel: Einerseits ist dies bedingt durch das Wachstum der Bevölkerung und der Arbeitsplätze im Gebiet Ennetsee. Andererseits werden die Verkehrsströme mit dem HUB-Konzept gezielt auf die Stadtbahn in Rotkreuz, Cham und Zug geleitet.
Zudem fehlt der Halbstundentakt im Fernverkehr ab Rotkreuz, womit viele Reisende die Stadtbahn anstelle des Schnellzugs benutzen. Der IR-Halt in Rotkreuz ist ein altes Anliegen von uns, das die SBB aber aus betrieblichen Gründen nicht erfüllen können.

«Mit der Realisierung der Stadtbahn hat Zug eine Vorreiterrolle gespielt, aber auch eine Riesen-Nachfrage geschaffen.»
Karin Blättler, Präsidentin Pro Bahn Zentralschweiz

zentralplus: Wie löst man das Problem heute?

Michel: Wir versuchen, diese Spitze zu glätten, zum Beispiel, indem Schulen ihre Stundenpläne vermehrt auf die Kapazität im öffentlichen Verkehr ausrichten. So beginnt zum Beispiel die Hochschule Luzern in Rotkreuz den Unterricht erst nach 9 Uhr (zentralplus berichtete). Eine weitere Massnahme ist das erwähnte Innenlayout der FLIRT-Züge mit mehr Stehplätzen. Da noch nicht alle in der Hauptverkehrszeit in Doppeltraktion verkehren, wurden und werden weitere Fahrzeuge beschafft, um die Kapazität zu erhöhen.
Es ist ausserdem möglich, einzelne Züge zur Entlastung der S1 zu führen, was wir heute bereits machen. Um 7.12 Uhr ab Cham nach Zug respektive um 17.32 Uhr ab Zug nach Cham.

 

Die S1 ist eine der überlasteten Zuglinien.

Die S1 ist eine der überlasteten Zuglinien.

(Bild: mbe.)

zentralplus: Könnte man den Takt der Stadtbahn noch mehr verdichten zwischen Zug und Cham?

Michel: Man kann die Stadtbahn nicht einfach zu einem 7,5-Minuten-Takt verdichten. Die Infrastruktur ist ausgereizt. Abgesehen davon besteht die Nachfrage nur in den Spitzenstunden. Zwischen Cham und Zug verkehren neben der S1 im Viertelstundentakt Schnellzüge im Halbstundentakt, so genannte Enge-Züge, und die S5 halbstündlich.
Es ist aber weiterhin möglich, einzelne Züge zur Entlastung der S1 zusätzlich zu führen und bei Bedarf auf weitere Spitzenstunden auszudehnen. Dazu fehlt aber derzeit die Nachfrage.

zentralplus: Zug gehört mit den fünf anderen Innerschweizer Kantonen zur Planungsregion Zentralschweiz. Diese hat ihre Angebotswünsche für den Ausbauschritt 2030 ans Bundesamt für Verkehr eingegeben. Welchen Wunsch haben Sie in Bern eingebracht?

Michel: Die Planungsregion Zentralschweiz sieht zur Bewältigung der Überlasten einen halbstündlichen, beschleunigten RegioExpress (RE) zwischen Luzern und Zürich vor. Er soll in Ebikon, Rotkreuz, Cham, Zug und Baar halten und wird damit die S1 markant entlasten. Der Zug bringt natürlich auch zusätzliche Verbindungen nach Luzern und Zürich. So haben wir zwei Fliegen auf einen Streich geschlagen.

zentralplus: Was ist Ihre Prognose, wenn der Bund diesem Wunsch nicht nachkommt?

Michel: Wenn der Bund nicht reagiert, wird es längerfristig schwierig, das Fahrgastaufkommen zu bewältigen. Konkret werden mit zunehmenden Frequenzen die Haltezeiten der Stadtbahn immer länger. Überfüllte Züge können den Fahrplan nicht mehr halten. Das Gleiche wird auch bei den Schnellzügen passieren, welche weniger gut für schnellen Fahrgastwechsel geeignet sind. Dies hat alles erhebliche Auswirkungen auf den Fahrplan, der wegen der Einspurstrecken am Zimmerberg und in der Zufahrt nach Luzern jede Verspätung auch auf die Gegenzüge überträgt.

«Eine mutige Idee der Bahnen könnte sein, einzelne Waggons ausschliesslich mit Stehplätzen einzurichten. Das Stehplatz-Abo wäre preislich günstiger.»
Matthias Michel

zentralplus: Welche anderen unkonventionellen Ideen wären denkbar, um den drohenden Engpass zu beseitigen?

Michel: Wenn der Bahnausbau mit dem halbstündlichen beschleunigten RegioExpress langfristig nicht kommt, wird es sehr schwierig. Welche Infrastruktur es für diesen Bahnausbau braucht, muss der Bund aufzeigen. Er hat angekündet, dass er – wie von uns gefordert – sowohl den Zimmbergbasistunnel 2 als auch einen Ausbau der bestehenden Strecke Thalwil–Baar prüft.
Denn auch mit einem Busangebot, das allenfalls selber im Verkehr stecken bleibt, kann man die Bahn nicht wirkungsvoll entlasten. Dann könnten allenfalls lenkende Massnahmen, wie zum Beispiel Mobility Pricing, helfen, das Mobilitätswachstum beherrschbarer zu steuern. Eine mutige Idee der Bahnen könnte sein, einzelne Waggons ausschliesslich mit Stehplätzen mit entsprechend mehr Personenkapazität einzurichten; natürlich wäre ein Stehplatz-Abo preislich entsprechend günstiger.

Auch Bahnstrecke Sursee–Luzern überlastet

Bei regionalen Strecken bis zu 15 Minuten gilt ein Zug laut dem Grenzwert für überlastete Züge erst als überlastet, wenn alle Sitzplätze belegt sind – und pro Quadratmeter der Stehplatzflächen mehr als drei Personen stehen. Wo diese Limite überschritten wird, beständen gute Chancen auf Ausbauten der Bahninfrastruktur.

Regionale Verkehrsverbünde und Bahnbetriebe der Zentralschweiz erwarteten neben der Strecke Cham–Zug weitere so genannte «Überlasten»: Zwischen Lenzburg und Luzern prognostizieren sie 9 Züge pro Tag mit Platzproblemen; auf der Strecke Sursee–Luzern sogar deren 19.

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