Reaktionen auf «Mini Beiz, dini Beiz» in Luzern

TV-Kritiker: «In eine Quiz-Show hat’s ihnen wohl nicht gereicht»

Stammgast Carmen (rechts) hätte vom Restaurant «1871» mehr Klasse erwartet.

(Bild: Screenshot SRF)

TV-Kritiker schwingen meist eine spitze Feder. So auch René Hildbrand, der die SRF-Sendung «Mini Beiz, dini Beiz» aus Luzern als «Gipfel der Dekadenz» bezeichnet. Auch die Beizer haben mitbekommen, dass die Stammgäste für Kopfschütteln sorgten. Trotzdem sind sie glücklich.

Die Sendung «Mini Beiz, dini Beiz» des Schweizer Fernsehens SRF war vergangene Woche in Luzern unterwegs. Fünf Stammgäste führten dabei durch ihre Lieblingslokale. Mitgemacht haben das «Restaurant zur Werkstatt», das «Ace Cafe», der «Montana Kitchen Club», das «Steakhouse Riverside» und das Restaurant «1871». In jeder Folge wurden die Gäste bekocht – diese bewerteten anschliessend das Gebotene.

TV-Kritiker René Hildbrand nimmt die Sendung hart ins Gebet: «Der Gipfel der Dekadenz» sei’s gewesen, schreibt er beim Onlineportal «persoenlich.com». Die fünf Stammgäste bezeichnet er als «vier Old-Tussis und einen Tusserich». Und auch die Menükarte kritisiert er: «Mich nervt total, dass für Snobs Fleisch immer edler, seltener und somit teurer sein muss. SRF fördert das auch noch.» Die Kritik zielt insbesondere auf das Verhalten der Damen in der fünften Sendung im Restaurant 1871 im Hotel National ab.

Die Gäste im Restaurant 1871.

Die Gäste im Restaurant 1871.

(Bild: Screenshot SRF)

 

Hat SRF gepennt?

Gastgeber und Pächter des 1871, Roger Widmer, hat die Kritik gelesen. «Heftig», meint er. Der Grundtenor der Feedbacks, die er erhielt, seien jedoch ähnlich: «Die Frauen hätten sich daneben benommen.» Widmer selbst will dies nicht gross beurteilen. «Im TV braucht es auch Szenen, die Unterhaltungswert haben.» Als nicht ideal sieht er die Konstellation mit vier Frauen und einem Mann. «Wenn man fünf Tage von 18 Uhr bis nach Mitternacht vor der Kamera steht und es immer ähnliche Menüs gibt, kann die Stimmung schon mal kippen.»

«Diese Sendung lief offensichtlich aus dem Ruder.»

René Hildbrand, TV-Kritiker

TV-Kritiker Hildbrand verstärkt auf Nachfrage von zentralplus seine Kritik. Er sei ein Fan von klaren Worten. Insbesondere Stammgast Carmen, die sogar selbst sagte, nur wegen ihrer Töchter im TV aufzutreten, bekommt eine Breitseite. «In eine Quiz-Show hat es ihr offensichtlich nicht gereicht, aber essen und trinken kann ja jeder», sagt er. «Wie kann jemand nur, wie wenn es das Normalste der Welt wäre, mehr Klasse von einem Fünfsternhotel zu fordern», fragt Hildbrand rhetorisch. Er hätte von SRF erwartet, dass die Verantwortlichen eingeschritten wären. «Diese Sendung lief offensichtlich aus dem Ruder.»

TV-Kritiker Hildbrand sorgt für Gesprächsstoff

Ende März sorgte René Hildbrand mit einer Kritik für Aufsehen über die Landesgrenzen hinaus. Er bezeichnete ein «Glanz&Gloria»-Interview mit Bundesrat Alain Berset als «No-Go». Grund: Die Reporterin trug ein ärmelloses Oberteil und präsentierte ihre tätowierten Arme. Das mediale Echo war enorm, Hildbrand war einem regelrechten Shitstorm ausgesetzt. Die kritisierte Moderatorin erfuhr eine Welle der Solidarität.

Vom Aussterben bedrohte Rinder

Beim SRF nimmt man die Kritik gelassen. Reto Peritz, Bereichsleiter der Show, sagt: «Bei jeweils fünf Stammgästen ist anzunehmen, dass nicht jedem Zuschauer in jeder Woche alle gleich sympathisch sind.» Und zum Vorwurf der Dekadenz meint er diplomatisch: «Da es in der Schweiz eine so grosse Vielfalt von Restaurants gibt, kann es in der Sendung auch vorkommen, dass ein Fünfsterne-Restaurant dabei ist.»

1871-Gastgeber Widmer wiederum kann den Dekadenz-Vorwurf an seinem Evolèner Rind nicht nachvollziehen. «Wir machen das, was der Kunde will.» Gäste würden eine klare Herkunftsgarantie wünschen, das könne er mit der alten Walliser Hausrind-Rasse Evolèner gewährleisten. Übrigens sei dieses niemals in einer Kategorie wie etwa Kobe-Beef anzusiedeln, der Preis bewege sich in einem normalen Bereich.

«Der Werbeeffekt durch die Sendung ist unbezahlbar.»

Roger Widmer, Gastgeber Restaurant 1871

Dennoch sind Evolèner Rinder vom Aussterben bedroht. Widmer sagt: «Ohne Konsum würde das Rind gar nicht gezüchtet. Wir waren eines der ersten Restaurants, die wieder auf diese Fleischsorte setzten, und haben so den Weiterbestand sogar gesichert statt – wie behauptet wird – gefährdet.» Als Gastronom brauche man eine dicke Haut, deshalb könne er mit solchen Vorwürfen gut umgehen.

Trotz TV-Kritik und Zickenalarm im Restaurant – Widmer würde wieder bei der Sendung mitmachen. «Der Werbeeffekt durch die Sendung ist unbezahlbar. In unseren Augen sind wir gut rübergekommen.» Recht machen könne man es jedoch nie allen. Diese Aussage erstaunt TV-Kritiker Hildbrand nicht. «Alle freuen sich, im TV zu kommen. Die Sendung hätte jedoch problemlos auch mit anständigen Stammgästen funktioniert.»

Das Evolèner Rind wurde als Hauptgang serviert.

Das Evolèner Rind wurde als Hauptgang serviert.

(Bild: Screenshot SRF)

Von Inszenierung keine Spur

zentralplus hat auch in den vier anderen Betrieben nachgefragt, wie die Reaktionen ausfielen. Allen war wichtig, ihren Betrieb sofort aus dem Schussfeld der Kritik zu nehmen. Mit Hildbrands Kritik wollen sie nicht in Verbindung gebracht werden. Sowieso scheint die Sendung und auch die Produktion gefallen zu haben. Das Produktionsteam wie auch die Vertragsbedingungen gaben überhaupt keinen Anlass zu Kritik.

«Die Feedbacks sind überwältigend, was auch die deutliche erhöhte Reservationsdichte bestätigt.»

Dany Kunz, Ace Cafe

Simone Müller des Restaurants zur Werkstatt sagt: «Wir haben keine negative Kritik erhalten.» Ihr Auftritt sei authentisch gewesen. «Der TV-Zuschauer hat es genauso so erlebt, wie es auch die Gäste unseres Restaurants erleben. Von Inszenierung keine Spur.» Sie würde jederzeit wieder mitmachen.

Auch Dany Kunz vom Ace Cafe in Rothenburg würde «auf jeden Fall» wieder mitmachen. «Die Feedbacks sind überwältigend, was auch die deutliche erhöhte Reservationsdichte bestätigt.» Kunz sagt: «Auch wenn die Gruppe etwas anstrengend war, so konnten wir der Schweiz zeigen, wer wir sind. Vorurteile gegenüber dem Ace Cafe konnten weggeräumt werden.»

Ihm ist jedoch auch nicht entgangen, dass die Gruppe der Stammgäste beim Publikum nicht nur auf Gegenliebe stiess: «Viele meiner Gäste haben Abneigungen gegenüber den Stammgästen entwickelt, da sie sich als federführende Gastrokritiker betrachteten», so Kunz. In Tat und Wahrheit seien es normale Schweizer, die ihr Leben leben, aber nicht fundierte Kritiken abgeben könnten.

Dekadenz ist eine ethische Frage

Ähnlich das Feedback von Walter Sägesser aus dem Riverside in Root: «Amateure beurteilen mit hoffentlich bestem Wissen und Gewissen.» Sägesser ist jedoch überzeugt, dass jeder Zuschauer für sich selbst nochmals ein Urteil bildet. Obwohl er aus seiner Sicht im Ranking zu wenige Punkte erhalten hat, hat es ihm gefallen.

Das Montana Kitchen Club hat schlussendlich triumphiert. Marketing-Leiter Nicolas Ludin sagt: «Bei ‹Mini Beiz, dini Beiz› handelt es sich um ein TV-Unterhaltungsformat, welches davon lebt, dass ein Gast nicht zufrieden ist und reklamiert.» Man könne es zwar nicht jedem Zuschauer recht machen, aber: «Die Rückmeldungen, welche wir in den letzten Tagen erhalten haben, waren durchwegs positiv und motivieren uns, den eingeschlagenen Weg entsprechend weiterzugehen.»

Ludin nimmt auch zum Dekadenz-Vorwurf Stellung. «Die Geschmäcker sind verschieden, dies macht die Gastronomie so vielfältig und abwechslungsreich.» Auch in der letzten Serie von ‹Mini Beiz, dini Beiz› sei die Vielfalt der Luzerner Gastronomie gezeigt worden. «Ob es nun dekadent ist, ein Evolèner Rinderfilet zu essen, ist eine ethische Frage, welche jeder Gast für sich selbst beantworten muss», so Ludin.

Das Evolèner Rind wird gegrillt.

Das Evolèner Rind wird gegrillt.

(Bild: Screenshot SRF)

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