Humanrights.ch findets kritisch

Trotz Trennwand: Zuger Gefängnis streicht die Besuche

Luftaufnahme der Strafanstalt Zug. (Bild: Andreas Busslinger/AURA)

In Luzern werden in den Besucherräumen der Gefängnisse neue Trennwände installiert, um Corona-Ansteckungen zu verhindern. In Zug hat man bereits solche, streicht die Besuchsrechte aber trotzdem. Das ruft Kritik hervor.

In Genf protestierten letzte Woche 43 Häftlinge gegen die Massnahmen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus, der Kanton Bern hat wegen des Corona-Virus 27 Gefangene nach Hause geschickt: Es tut sich derzeit einiges im Schweizer Strafvollzug.

Die Corona-Massnahmen schränken die Grundrechte aller ein, besonders aber betrifft dies Personen im Strafvollzug. Urlaube und Ausgänge werden gestrichen; um Ansteckungen innerhalb der Anstalten zu verhindern, dürfen Gefangene teils nicht mehr auswärts arbeiten. Im Luzerner Gefängnis Grosshof werden derzeit in den Besucherräumen neue Trennwände installiert, damit wenigstens Besuche möglich sind (zentralplus berichtete).

Bessere Infrastruktur, aber härtere Einschränkungen

In der Strafanstalt Zug gibt es solche bereits. Trotzdem ist dort der Empfang von Besuchern bereits seit dem 20. März nicht mehr gestattet. Nur Rechtsanwälte, Seelsorger und Ärzte dürfen ihre Klienten noch sehen. «Ausnahmsweise können in dringenden Fällen Besuche mit Trennscheibe bewilligt werden», heisst es in der entsprechenden Verfügung.

«Man muss aus meiner Sicht alles versuchen, um Besuche zu ermöglichen.»

Jurist David Mühlemann

Trotz besserer Infrastruktur sind die Gefangenen in Zug demnach stärker eingeschränkt als in Luzern. Warum ist das so? «Dies geschieht zum Schutz des Anstaltspersonals, das nach wie vor die regulären Zutrittskontrollen bei den Besuchenden durchführt. Wir wollen verhindern, dass sich das Anstaltspersonal über die Besuchenden ansteckt», sagt Justizvollzugsleiter Toni Amrein auf Anfrage.

Von den Gefangenen selber habe man die Rückmeldung bekommen, dass Besuche hinter den Trennscheiben gar nicht unbedingt erwünscht seien. «Es ist nicht unser Ziel, Besuche an sich zu unterbinden. Deshalb schauen wir nun, wie sich die Situation und die Bedürfnisse entwickeln – und passen die Regelung allenfalls noch an.»

Besuchsrecht: ein zentrales Grundrecht der Gefangenen

Jurist David Mühlemann, Leiter Fachstelle Freiheitsentzug bei humanrights.ch, hat Verständnis dafür, dass das Gefängnispersonal geschützt werden muss. «Es gilt in diesen Fällen abzuwägen zwischen dem Recht der Mitarbeitenden auf Gesundheit und dem Recht der Gefangenen auf Besuche», erklärt er.

Dabei gelte es zu bedenken, dass das Besuchsrecht ein zentrales Grundrecht der Gefangenen sei. «Eine der letzten Freiheiten, die sie haben», wie Mühlemann es formuliert. Das Aufrechterhalten von Beziehungen sei ein sehr wichtiger Teil für die Resozialisierung.

Mit klaren Anordnungen ans Personal könnte man das Risiko einer Ansteckung durch Besucher minimieren. Ein geringes Restrisiko müsste man wohl in Kauf nehmen, weil das Grundrecht der Gefangenen dann höher zu gewichten wäre. «Man muss aus meiner Sicht alles versuchen, um Besuche zu ermöglichen. Und dass dies in anderen Einrichtungen gemacht wird, zeigt, dass es gangbare Wege gibt», so Mühlemann.

Videotelefonate werden jetzt möglich

Eine mögliche Kompensation für die ausfallenden Besuche könnten Video-Telefonate sein. Die Strafanstalt Zug hat inzwischen ein Videokommunikationstool als Alternative eingerichtet und bereits erfolgreich getestet. Die Inbetriebnahme steht kurz bevor. Gemäss Amtsleiter Toni Amrein müssen nur noch kleinere bauliche Massnahmen umgesetzt werden.

Auch in der Luzerner Justizvollzugsanstalt Wauwilermoos sind einige PC-Stationen eingerichtet worden, an denen die Gefangenen mit ihren Angehörigen via Skype Kontakt aufnehmen können.

Für Mühlemann ist dies ein sehr positiver Schritt: «Aus meiner Sicht wäre es schon lange ein staatlicher Auftrag, diese Möglichkeiten anzubieten. Abgesehen von der eingeschränkten Bewegungsfreiheit müssen Gefangenen wenn immer möglich die gleichen Rechte wie Menschen in Freiheit gewährt werden.» Dies erleichtere auch die Wiedereingliederung, wenn Gefangene auf diese Weise mit ihren Familien in Kontakt bleiben könnten.

Schrittweise Lockerungen sind nicht mehr möglich

Der Menschenrechtsexperte geht nicht davon aus, dass diese Grundrechtseingriffe im Vollzug in den nächsten Wochen gelockert werden können. «Sie werden wohl länger dauern als in der Aussenwelt», glaubt er. Da stelle sich die Frage, wie der Staat den Resozialisierungsauftrag überhaupt erfüllen könne.

Menschen, die zwei Drittel ihrer Strafe verbüsst haben, werden in der Regel bedingt entlassen. Vorher kommt es schrittweise zu Vollzugslockerungen, die jetzt allerdings nicht mehr möglich sind. Was heisst das für die Gefangenen? Dass sie auch das letzte Drittel im Gefängnis verbringen müssen?

Mühlemann fordert das Gegenteil: «Die bedingte Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe muss grosszügiger gewährt werden.» Denn der Resozialisierungsauftrag könne bei den vorherrschenden restriktiven Haftbedingungen und der Streichung von Vollzugsöffnungen (Urlaube, Ausgänge, Halbgefangenschaft, Arbeitsexternat) nicht mehr erfüllt werden. Bei besonders gefährdeten Personen müsse geprüft werden, ob die Entlassung bereits nach der Hälfte der Verbüssung erfolgen könne.

Es sei deshalb in jedem Einzelfall zu prüfen, ob es sinnvoller wäre, diese Leute unter Bewährungsauflagen zu entlassen. In Zug gibt es eine einzige Person, die bereits kurz vor der (regulären) bedingten Entlassung steht und bei der sich diese Frage deshalb stellt.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von michel Ebinger
    michel Ebinger, 14.04.2020, 07:43 Uhr

    Verfassungsmässige Rechte sind nichts mehr wert in unserer hysterischen Gesellschaft

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    • Profilfoto von Lena Berger
      Lena Berger, 22.04.2020, 10:27 Uhr

      Ich finde das auch beängstigend, wie stark die Grundrechte nun basierend auf Notrecht eingeschränkt werden. Man kann nur hoffen, dass diese Krise bald vorbei ist. Und dann gehört diese Phase aus meiner Sicht auch juristisch aufgearbeitet.

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