Warum sich staatliche Förderung lohnen würde

Traumjob Game-Designer? Luzerner Entwickler zieht Bilanz

Mit dem Game «Mundaun» hat der Luzerner Entwickler Michel Ziegler einen Achtungserfolg geschafft – unter grossen persönlichen Risiken. (Bild: zvg / Hidden Fields)

Die Videospielbranche boomt. Auch in der Schweiz werden immer mehr Games entwickelt. Aber trotz international erfolgreichen Titeln werden Game-Designer in der Schweiz kaum gefördert. Das spürt auch der Luzerner Entwickler Michel Ziegler, der jüngst mit «Mundaun» einen Achtungserfolg verbuchen konnte.

Mit einem positiven Rating von 95 Prozent auf der weltweit grössten Spieleplattform Steam kann Michel Zieglers alpines Horror-Game «Mundaun» als Erfolg bezeichnet werden. Das Spiel, das in einem abgelegenen Bergdorf in den Bündner Bergen spielt und Folklore mit Gruselelementen verbindet, hat die internationale Spielewelt im Sturm erobert (zentralplus berichtete).

Die Fachpresse der «Washington Post», «Spiegel» und «Vice» loben den handgezeichneten Look. Und Fans sind von den abwechslungsreichen Spielmechaniken und der generellen Eigenwilligkeit – so sind zum Beispiel sämtliche Dialoge in Rätoromanisch gesprochen – angetan.

Sieben Jahre «Selbstausbeutung»

Sieben Jahre hat der Luzerner Entwickler Michel Ziegler an dem Titel gearbeitet und für sein Herzensprojekt viel investiert und riskiert. Nun spricht er auch offen über die Schattenseiten des Berufs. «Ich habe mit absurdem persönlichem Risiko irgendwie ‹Mundaun› gemacht», schreibt Ziegler auf Twitter. Nachdem sich der erste Rauch nach der Veröffentlichung verzogen hat, kommt der 39-Jährige zum Schluss: «Es muss sich etwas ändern mit der Wertschätzung von Games seitens der Politik.»

Der Titel verkaufe sich zwar «ok», sei allerdings nicht der «grosse Megahit», der nötig wäre, um das Budget sowie die Marketingkosten schnell wieder einzuspielen. «Ich habe also trotz des relativen Erfolgs von ‹Mundaun› vier Monate nach der Veröffentlichung keine Mittel, um ein nächstes Game-Projekt zu entwickeln», führt Ziegler aus. Das liegt vor allem an einem Punkt: der Förderung von Videospielen. Respektive dem Fehlen einer solchen.

«Die Förderinfrastruktur sollte gut genug sein, dass Game-Entwickler einen Anlauf nehmen und nachts trotzdem schlafen können.»

Michel Ziegler, Game-Entwickler

Ziegler bringt den Vergleich mit der Filmförderung auf, die in der Schweiz schon bei der Konzeptionsphase greift. Sowohl für das Einreichen von Projektentwürfen als auch für Drehbücher können in der Schweiz Förderbeiträge bezogen werden. In der Gamebranche gibt es nichts Vergleichbares. Aktuell gibt es nebst kantonalen Werkbeiträgen lediglich Unterstützungsbeiträge von Pro Helvetia. «Diese reichen jedoch nicht aus, um der komplexen und zeitaufwendigen Natur der Game-Entwicklung gerecht zu werden», so der Luzerner Entwickler.

Ziegler ist sich bewusst, dass man als Spielemacher ein unternehmerisches Risiko eingeht und die Game-Branche keineswegs einfach sei, «aber die Förderinfrastruktur sollte gut genug sein, dass Game-Entwickler einen Anlauf nehmen und nachts trotzdem schlafen können.» Die einzige Überlebenschance dürfe nicht die Selbstausbeutung und Hoffen und Bangen auf einen grossen Verkaufshit sein.

Brief an den Bundesrat

Die Schweiz müsse sich nun entscheiden, ob sie Schweizer Games pflegen wolle. Denn es gäbe durchaus Titel, die auf der internationalen Bühne überzeugt hätten, so der HSLU-Abgänger mit Abschluss in Design und Kunst. Nebst Zieglers «Mundaun» kommen auch Games wie «Feist», der «Landwirtschafts-Simulator» und «Airships» international gut an und verbuchen auf der Spieleplattform Steam «überwiegend positive» Bewertungen.

Darum haben sich Schweizer Game-Designer, darunter auch Ziegler, in einem offenen Brief an den Bundesrat gewandt und verlangen eine Förderstruktur für Schweizer Spieleschmieden. Nicht nur damit Fälle wie Zieglers siebenjährige Selbstausbeutung künftig nicht mehr geschehen müssen, sondern auch weil die Game-Industrie enorm lukrativ ist. Oder zumindest sein könnte. Dabei verweisen die Unterzeichner auch auf andere Länder, die den Trend bereits erkannt haben.

«Aus Sicht der Schweizer Kulturbeauftragten macht es für diesen Förderschwerpunkt mehr Sinn, wenn der Bund vorangeht.»

Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons Luzern

Wie zum Beispiel Polen. Hier blüht die Game-Industrie und mischt international mit Titeln wie «The Witcher», der auch als Serienumsetzung auf Netflix sehr erfolgreich ist, ganz vorne mit. Gemäss «esports.ch» generiert das Land dank der Game-Branche jährlich um die 500 Millionen Franken an Umsatz.

Games als Chance

Auch in Deutschland, Südkorea und den nordischen Ländern hat gemäss Dragica Kahlina, Dozentin an der HSLU, in den letzten Jahren eine «Grossoffensive» stattgefunden, um Videospiele zu fördern. «Viele neue Technologien kommen nämlich zuerst in Videospielen zum Einsatz», so die HSLU-Dozentin. «Allein in Nordrhein-Westfalen werden Entwicklerstudios jährlich mit über drei Millionen Euro gefördert.» Das Resultat: eine florierende Branche mit Studios, die international mitmischen und bekannte Titel wie die «Anno»-Reihe, «Far Cry» und «Crysis» auf den Markt gebracht haben.

Aber warum harzt es in der Schweiz? Dragica Kahlina, die nebst ihrer Tätigkeit als Dozentin auch in der Game-Branche aktiv ist, sieht eine Erklärung im Generationenunterschied. «Besonders älteren Semestern ist nicht bewusst, wie sich Videospiele in den vergangenen Jahren entwickelt haben.»

Das Medium ist weit über den Status als «Kinderbeschäftigung» hinausgewachsen und hat Titel hervorgebracht, die «genauso emotionale Tiefen erreichen können wie Filme oder Bücher.» Oder einen edukativen Zweck verfolgen und schulisch genutzt werden können. Darum sei es auch im Sinne einer Förderung wichtig, diese Tatsache ins breite Bewusstsein zu rufen. «Ich teile das Anliegen aus dem offenen Brief», sagt Kahlina.

«Wenn ihr Games machen wollt, müsst ihr wohl ein paar Jahre ins Ausland gehen.»

Dragica Kahlina, Dozentin «Game-Entwicklung» an der Hochschule Luzern

An der Hochschule Luzern schreiben sich durchschnittlich fünf bis zehn Interessierte ein, um sich in den Bereichen Game-Entwicklung, Game Artist und Game Design ausbilden zu lassen. «Wir weisen die Studierenden darauf hin, wie hart die Branche in der Schweiz ist», so Kahlina. «Darum bilden wir sie nicht nur im Bereich Games aus, sondern auch in verwandten Themen wie beispielsweise Virtual Reality, das auch in der Architektur und im Film zunehmend Fuss fasst» (zentralplus berichtete).

Zwar gibt es in der Schweiz mittlerweile einige Anlaufstellen für angehende Entwickler, die Arbeitsplätze, projektbezogene Förderungen, Mentoring oder einen Austausch ermöglichen – mit der Spielerentwickler-Community Gamespace hat Kahlina eine davon selbst ins Leben gerufen – trotzdem empfiehlt sie den Studenten: «Wenn ihr Games machen wollt, müsst ihr wohl ein paar Jahre ins Ausland gehen.»

Michel Zieglers «Mundaun» überzeugte die Fachpresse auch mit dem handgezeichneten Look. (Bild: Michel Ziegler / Hidden Fields)

Kanton Luzern zeigt sich interessiert

Beim Kanton Luzern stösst die Game-Thematik grundsätzlich auf Interesse. Stefan Sägesser, Kulturbeauftragter des Kantons, sagt auf Anfrage: «Das Thema ist in der Tat sehr spannend.» Weiter erklärt er, dass Entwicklungen in diese Richtung bereits laufen. Einerseits auf nationaler Ebene – etwa durch die Stiftung Pro Helvetia – anderseits auf Bundesebene durch die Kulturbotschaft 2021–2024, wo die Förderschwerpunkte Design und Interaktive Medien – also auch Games – weiterentwickelt werden sollen.

«Aus Sicht der Schweizer Kulturbeauftragten ergibt es für diesen Förderschwerpunkt mehr Sinn, wenn der Bund vorangeht», so Sägesser, «da entsprechende Mittel dafür eingesetzt werden können.» In Luzern werde man mit der Kulturkommission eine Ausschreibung diskutieren, die eine ähnliche Struktur aufweisen soll wie die bisherigen Werkbeiträge – von denen auch Michel Ziegler 2018 mit rund 20'000 Franken Gebrauch machen konnte.

Lukrativer als Hollywood

Die anhaltende Corona-Pandemie hat die ohnehin schon blühende Game-Industrie noch zusätzlich befeuert. Zumindest für den Konsumenten. Branchenmagazine bestätigen, dass Videogames sogar lukrativer geworden sind als die gesamte Filmindustrie. Gemäss «Marketwatch» sorgten Games im Jahr 2020 weltweit für einen Umsatz von rund 197 Milliarden Dollar – bei der Filmbranche lagen die Umsätze 2019 bei knapp 100 Milliarden Dollar.

Für Entwickler war aber die Pandemie auch eine Herausforderung. Vor allem, weil sie auf internationalen Spielemessen wie der PAX oder Gamescom auf Vertriebe und damit auch auf finanzielle Förderung hoffen können – was im vergangenen Jahr coronabedingt komplett ausfiel. Deshalb brauche die Branche nun den Bund als Mitspieler, schreiben die Erstunterzeichner des offenen Briefs. «Damit diese zukunftsträchtige Branche hier nachhaltig Fuss fassen kann und es für die ambitionierten Studios nicht vorzeitig ‹Game Over› heisst.»

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