Luzerner Filmerin realisierte berührende Doku

Trauer über Mutter und Ehefrau – während eines Jahres dokumentiert

Die Dokumentation zeigt den Umgang der Familie mit dem Tod der Mutter Eveline.

(Bild: SRF «Dok»)

Am Donnerstagabend läuft der Dokumentarfilm «Trauern braucht Zeit – Das erste Jahr ohne Eveline» der Luzernerin Ursula Brunner bei SRF. zentralplus sprach mit der Filmemacherin über die speziellen Dreharbeiten, ihre Erfahrungen mit der Familie und über die Frage, wie lange man eigentlich trauern darf.

Eveline stand gerade noch mitten im Leben und führte mit ihrem Mann Patrick (39) und ihren beiden Kindern Raphael (11) und Leonie (9) ein geordnetes Leben. Doch dann stirbt sie unerwartet an einer Hirnblutung. Zurück bleibt ihre Familie, welche vom einen auf den anderen Tag mit dem Verlust von Mutter und Ehefrau zurechtkommen muss. Die Luzerner Filmemacherin Ursula Brunner hat die Familie durch das erste Jahr nach Evelines Tod begleitet. Der Film wird heute Abend um 20.05 Uhr im Schweizer Fernsehen gezeigt und wird nach der Ausstrahlung in der Online-Datenbank von SRF verfügbar sein (siehe externe Links).

Der Film «Trauern braucht Zeit» ist der sechste Film, den Ursula Brunner (55) für die Sendung «DOK» realisiert hat. Daneben dreht sie Filme für verschiedene Non-Profit-Organisationen und unterstützt als Mentorin junge Filmstudenten während ihren Abschlussarbeiten. zentralplus trifft die Regisseurin im Bourbaki in Luzern, um mit ihr über ihren neuen Film zu sprechen.

zentralplus: Frau Brunner, wie ist es zur Idee des Films und zum ersten Kontakt mit Evelines Familie gekommen?

Ursula Brunner: Es gibt da so ein Phänomen: Nach dem Tod eines Menschen ist das Haus der Familie bis zur Beerdigung voll mit Leuten. Und nach der Beerdigung sind die Trauernden wieder auf sich allein gestellt. Alle anderen gehen wieder ihrem Alltag nach, während für die Trauernden die Zeit stillsteht. Sie fühlen sich oft allein gelassen und fallen in ein Loch. So ist es auch Patrick, dem Protagonisten des Films, ergangen. Auf der Suche nach Hilfe wendete er sich unter anderem an das Schweizer Fernsehen und fragte an, ob es einen Film gibt, der sich mit dem Thema «Trauern» auseinandersetzt.

Das Schweizer Fernsehen fragte mich an, ob seine Geschichte nicht für meinen Film über alleinerziehende Väter, den ich gerade drehte, interessant wäre. So erfuhr ich von ihm, und schliesslich kam die Idee auf, stattdessen einen Film über das Trauern zu drehen.

zentralplus: Und wie reagierte die Familie auf Ihre Idee?

Brunner: Anfangs waren sie natürlich nicht so begeistert von der Vorstellung, in so einer Situation gefilmt zu werden. Wir brauchten ein paar Gespräche, um das nötige Vertrauen herzustellen und eine gemeinsame Vorstellung zu entwickeln, wie der Film aussehen könnte. Für Patrick war es wichtig, dass wir nicht nur eine Momentaufnahme machen, sondern den Prozess über das ganze Jahr begleiten – in der Überzeugung: Am Ende des Jahres wird es ihnen besser gehen.

zentralplus: Die beiden Kinder im Film sind erst elf und neun Jahre alt. Ist es da nicht besonders heikel, die Grenzen so abzustecken, dass nicht ihre Intimsphäre verletzt wird?

Brunner: Hier kommt natürlich auch die Verantwortung des Vaters und des Umfelds zum Zug. Zudem arbeite ich mit einem sehr guten Team zusammen. Mein Kameramann und meine Tonfrau bauten eine sehr gute Beziehung zu den beiden Kindern auf. Sie haben die Aufnahmen mit den Kindern immer gemeinsam angesehen und mit ihnen besprochen.

Leonie, Patrick und Raphael: Jeder geht mit der Trauer anders um.

Leonie, Patrick und Raphael: Jeder geht mit der Trauer anders um.

(Bild: SRF «Dok»)

Ganz wichtig war mir, dass immer alle miteinbezogen waren. Sie konnten jederzeit Vorschläge einbringen und sagen, was sie gerne im Film hätten und was nicht. Für Raphael und Leonie war es etwa sehr wichtig, dass wir sie in der Schule zeigten. Leider konnten wir dann doch nur in einer der beiden Klassen filmen. Wir versuchten aber auf solche Wünsche wann immer möglich einzugehen.

zentralplus: Der Film beleuchtet die Zeitspanne eines Jahres. Wie organisierten Sie die Dreharbeiten über einen so langen Zeitraum?

Brunner: Alle zwei bis drei Wochen besuchte ich die Familie, und dazwischen behielten wir schriftlichen Kontakt. So wusste ich immer, wie es ihnen geht, wo sie stehen und was für sie gerade wichtig ist. Mit meinem Team legten wir dann die Drehtage fest und schauten jeden Monat gemeinsam, was wir machen könnten. Insgesamt hatten wir siebzehn Drehtage. Anfangs drehten wir jeden Monat, später alle zwei Monate.

«Raphael etwa hatte sehr lange grosse Schwierigkeiten damit, den Tod seiner Mutter richtig zu akzeptieren.»

zentralplus: Aus all dem Filmmaterial mussten Sie schliesslich auswählen, welche Szenen in den Film kommen, welche nicht, welche Aspekte Sie in den Fokus rücken und welche nicht. Wie lief dieser Prozess ab?

Brunner: Wenn ich drehe, weiss ich in der Regel schon ziemlich genau, was für den fertigen Film wichtig ist. Nach einem Drehtag schaue ich mir noch mal in Ruhe alles an und schreibe mir die Stellen auf, die mir wichtig sind. Nach den Dreharbeiten kommt der Cutter hinzu. In diesem Fall war das Jakob Nägeli. Er ist der erste, der das Material sichtet, ohne sonst etwas von der Geschichte drumherum zu wissen. Ich beobachte dann sehr genau, wie er reagiert und was er gut findet. Mit ihm zusammen gestalten wir schliesslich die Geschichte, die wir in den fünfzig Minuten erzählen wollen.

zentralplus: Wie unterschieden sich Leonie, Raphael und Patrick in ihrem Trauern?

Brunner: Es gibt ja diese Trauerphasen, die eigentlich jeder von uns schon mal irgendwie selbst erlebt hat. Nicht nur, wenn jemand stirbt. Auch um eine gescheiterte Beziehung können Sie trauern. Und obwohl es diese Phasen gibt, trauert jeder irgendwie auf seine eigene Art und Weise. Raphael etwa hatte sehr lange grosse Schwierigkeiten damit, den Tod seiner Mutter richtig zu akzeptieren. Er sagt auch relativ früh im Film, er könne nicht wirklich glauben, dass seine Mutter tot ist. Inzwischen hat er es akzeptiert. Er brauchte einfach diese Zeit, um es realisieren zu können.

zentralplus: Und Leonie?

Brunner: Sie hatte anfangs mit starken Verlustängsten zu kämpfen. Der plötzliche Tod einer zentralen Bezugsperson löste eine riesige Unsicherheit in ihr aus. Vom einen Tag auf den andern war ihre Mutter weg, und wer konnte ihr schon garantieren, dass ihr Vater nicht auch plötzlich verschwindet. Am Anfang liess sie ihn daher kaum aus den Augen.

Auch in der Schule wurde gefilmt.

Auch in der Schule wurde gefilmt.

(Bild: SRF «Dok»)

Im Gegensatz zu den Erwachsenen ist es für die Kinder auch viel schwieriger, mit der Wut auf den Tod umzugehen. Das ist im Film gut zu sehen. Als Erwachsener ist man sich seiner Wut auf das Schicksal bewusst, aber ein Kind kann diese Wutgefühle nicht einordnen und lässt sie schliesslich am Nächstbesten aus – das war in diesem Fall meistens der Vater. Ich fand es eindrücklich, wie die Kinder darauf reagierten, als sie den Rohschnitt des Films sahen. Sie meinten dann selbst, dass sie manchmal sehr böse zu Papi gewesen seien.

zentralplus: Und Patrick, der Vater, musste sowohl die Leere ausfüllen, die seine Frau hinterliess, als auch den eigenen Verlust verarbeiten …

Brunner: Bei Patrick setzte die eigentliche Trauer erst verzögert ein, also erst nach einigen Monaten. Zuerst war er so besorgt um seine Kinder und darum, den Alltag neu zu organisieren, dass gar nichts anderes Platz hatte. Erst später konnte er seine Gefühle zulassen.

«Patrick und die Kinder selbst wären froh gewesen, hätte es so einen Film schon vor einem Jahr gegeben.»

zentralplus: Der Film stellt die Frage, wie lange man nach dem Tod eines Menschen um ihn trauern darf, und ab wann man wieder voll einsatzfähig sein muss. Haben Sie darauf eine Antwort gefunden?

Brunner: Wir leben in einer Zeit, in der wir wahnsinnig viele Sachen beschleunigt haben. Gewisse Dinge lassen sich aber einfach nicht beschleunigen und brauchen ihre Zeit. So ist es mit dem Trauern. Wie viel Zeit jemand braucht, ist von Person zu Person verschieden. In der Innerschweiz, wo ich aufgewachsen bin, haben sich die Trauernden früher ein Jahr lang schwarz angezogen oder einen Trauerflor getragen. So wussten und sahen die Leute um einen herum: Diese Person befindet sich in einem Ausnahmezustand. Sie waren dann vielleicht eher bereit, Verständnis aufzubringen.

Im Fall von Patrick kamen nach zwei, drei Wochen Leute auf ihn zu und sagten Dinge wie: «Reiss dich zusammen, das Leben geht weiter.» Aber genau das ist eine falsche Vorstellung, denn für viele geht das Leben eben nicht so schnell einfach weiter.

Die Luzerner Regisseurin Ursula Brunner.

Die Luzerner Regisseurin Ursula Brunner.

(Bild: zvg)

zentralplus: Was sollen die Zuschauer aus dem Film mitnehmen?

Brunner: Erstens soll der Film Menschen helfen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden. Er soll ihnen Mut machen und aufzeigen, dass der Schmerz mit der Zeit abnimmt. Patrick und die Kinder selbst wären froh gewesen, hätte es so einen Film schon vor einem Jahr gegeben. Zweitens soll der Film die Leute daran erinnern, wie schnell ein Schicksalsschlag das Leben von jedem von uns radikal verändern kann. Er soll uns dazu bewegen, Sachen, die wir schon immer sagen oder tun wollten, nicht länger hinauszuzögern.

Patrick erzählt an einer Stelle, er hätte Eveline gerne noch so viel gesagt. Jakob Nägeli, der Cutter, war so gerührt von dieser Szene, dass er noch am selben Abend nach Hause ging und seiner Partnerin alles gesagt hat, was er ihr schon immer sagen wollte. Da dachte ich: «Ja, der Film funktioniert.»

Ich hoffe auch, der Film ermutigt die Zuschauer, auf die Menschen, welche sich in so einer schwierigen Lebensphase befinden, aktiv zuzugehen und ihnen ihre Hilfe anzubieten. Viel zu oft lassen wir die Hinterbliebenen alleine, weil wir meinen, sie bräuchten ihre Ruhe oder müssten geschont werden; oder weil wir Angst davor haben, dass sie unsere Hilfe ablehnen könnten.

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