Luzerner Trinkwasser enthält Pestizide

Toxikologe: «Gesundheitsrisiko ist nicht erwiesen»

Lothar Aicher arbeitet als Toxikologe am Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie (SCAHT) in Basel. (Bild: zvg)

70 Prozent der Trinkwasserproben im Kanton Luzern enthalten Pestiziderückstände. Was heisst das für die Bevölkerung? Weil sich die Wissenschaft immer weiterentwickle, können sich die Befunde immer wieder verändern, erklärt der Toxikologe.

Niemand will Pestizide im Trinkwasser. Und doch ist es auch im Kanton Luzern eine Realität (zentralplus berichtete). Wie dramatisch aber ist die Situation tatsächlich? Wir haben Lothar Aicher gefragt, Toxikologe am Schweizerischen Zentrum für Angewandte Humantoxikologie (SCAHT) in Basel.

zentralplus: Der Kanton Luzern hat sein Trinkwasser auf Pestizidrückstände untersucht, und dabei eine unschöne Entdeckung gemacht. In 70 Prozent der 150 Wasserproben konnte mindestens ein Pestizid nachgewiesen werden. Wie dramatisch ist dieser Befund?

Lothar Aicher: Wir leben in einem hochindustrialisierten Land, das stark von der chemischen Industrie geprägt ist. Die Tatsache, dass man Chemikalien in unserer Umwelt nachweisen kann, ist daher nicht verwunderlich, zumal die Nachweismethoden für Chemikalien immer besser werden. Da Pestizide in unserer Landwirtschaft zum Einsatz kommen, kann man sie auch in der Umwelt nachweisen.

zentralplus: In Einzelfällen überstieg dabei die Konzentration von Abbauprodukten des Fungizids Chlorothalonil gesetzlich vorgegebene Grenzwerte. Was bedeutet das?

Aicher: Die Abbauprodukte des als krebserregend eingestuften Fungizids Chlorothalonil wurden ebenfalls als krebserregend eingestuft und deren Konzentration überschreitet den gesetzlich festgelegten Grenzwert. Allerdings ist dieser Grenzwert nicht aus toxikologischen Studien ermittelt worden und eine Überschreitung dieses Grenzwertes sagt uns nicht, ob damit ein Gesundheitsrisiko vorliegt.

zentralplus: Wieso? 

Aicher: Zu den Abbauprodukten liegen nicht genügend toxikologische Daten vor, um eine Risikobewertung zu machen. Deshalb hat man sie vorsichtshalber auch als krebserregend eingestuft. Eindeutig beweisen kann man das zurzeit nicht.

zentralplus: Aber wenn gesetzlich festgelegte Grenzwerte überschritten werden, bedeutet das nicht in jedem Fall ein Risiko für die Gesundheit?

Aicher: Der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter ist sehr tief und spiegelt in erster Linie den Wunsch nach reinem und sauberem Trinkwasser wider. Eine Überschreitung bedeutet, dass das Wasser nicht mehr den hohen Qualitätsansprüchen der Schweizer genügt und als verunreinigt gilt.

Das bedeutet nicht zwingend ein Gesundheitsrisiko. 0,1 Mikrogramm pro Liter entspricht einem 10 Millionstel Gramm pro Liter. Wir reden hier also von sogenannten Mikroverunreinigungen. Generell gilt in der Toxikologie, dass ein möglicher Gesundheitsschaden umso grösser ist, je mehr wir von einer giftigen Chemikalie aufnehmen.

zentralplus: Zuerst werden Pestizide entwickelt, für gutes Geld verkauft und im grossen Stil auf unseren Feldern ausgetragen – und erst im Nachhinein wird dann genauer hingeschaut, wie sich dieser oder jener Wirkstoff tatsächlich auf Mensch und Umwelt auswirkt. Was ist dran an diesem Verdacht, den so mancher Zeitgenosse hegt? 

Aicher: Pestizide gehören zu den am strengsten regulierten Chemikalien und alle werden bereits vor ihrer Marktzulassung auf mögliche Schäden für den Menschen und die Umwelt überprüft. Dazu muss der Hersteller umfangreiche Studien bei den Behörden vorlegen, anhand derer entschieden wird, ob bei sachgemässer Anwendung ein Gesundheitsrisiko möglich ist.

«Wenn bereits auf dem Markt befindliche Pestizide verboten werden, zeigt das auch, dass die Kontrollmechanismen genutzt werden und funktionieren.»

Aber alle auf dem Markt befindlichen Pestizide werden in regelmässigen Abständen neu bewertet, um zu kontrollieren, ob sie noch den neusten Standards entsprechen. Das ist notwendig, weil die Anforderungen an die Pestizide im Laufe der Jahre strenger geworden sind und neue wissenschaftliche Daten zu neuen Bewertungen führen können.

zentralplus: Das hat dazu geführt, dass die EU und später auch die Schweiz etwa Chlorothalonil als krebserregend eingestuft hat, nachdem es jahrzehntelang als unbedenklich galt.

Aicher: Ganz genau. Wenn bereits auf dem Markt befindliche Pestizide verboten werden, zeigt das auch, dass die Kontrollmechanismen genutzt werden und funktionieren.     

zentralplus: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich künftig auch weitere, vermeintlich unbedenkliche in gesundheitsgefährdende Stoffe verwandeln?

Aicher: Aufgrund von Neubewertungen von Chemikalien kann es immer wieder zu abweichenden Beurteilungen kommen, denn die Wissenschaft steht nicht still und die regulatorischen Anforderungen entwickeln sich weiter. Dabei sind Abweichungen in beide Richtungen möglich. Es kommt auch vor, dass Chemikalien nach einer Neubewertung als weniger giftig gelten. 

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1 Kommentar
  • Profilfoto von stofe
    stofe, 14.12.2019, 09:07 Uhr

    Unglaublich wie der Herr Aicher uns weismachen will, dass es ja gar nicht so schlimm ist. Tatsache ist, wenn genau dieses eine 10millionste Teil trinke und es sich an eine einzige Zelle im Körper hängt, dann löst es eben mit grosser Wahrscheinlichkeit Krebs aus! Darum ist auch dieses eine kleine Teil nicht angebracht in unserer Nahrung. Wenn Herr Aicher nun noch mit dem Herrn Makus Ritter zusammentrifft,
    dauert es Jahre, bis die Gifte endlich verschwinden.

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