Original führte 20 Jahre lang durch Cham

Bruno Birrer: «Was ich erzähle, muss nicht immer stimmen»

Bruno Birrer hat was zu erzählen. Der Chamer ist ein Hansdampf in allen Gassen und hat viele Geschichten auf Lager. (Bild: wia)

Über 20 Jahre hat Bruno Birrer Interessierte durch die Gemeinde Cham geführt. Hat Geschichten erzählt und die Leute auch mal in die Dunkelheit mitgenommen. Mit zentralplus blickt der 79-Jährige zurück.

Mittlerweile gilt Bruno Birrer beinahe als Chamer Stadtoriginal. Nicht nur, weil er sich mit abenteuerlichen Tätigkeiten beschäftigt und lange als «Güselkommissar» unterwegs war, sondern auch, weil er einer ist, der die Gemeinde Cham wie nur wenige andere kennt (zentralplus berichtete).

So gut, dass der 79-Jährige seit rund 20 Jahren Stadtführungen für Cham Tourismus durchführt. Und dies, obwohl er, wie er mehrmals betont, kein Historiker sei, sondern ein Geschichtenerzähler. Vor seiner letzten offiziellen Tour am kommenden Samstagvormittag blicken wir mit Birrer auf seine teils schrägen Führungen zurück.

zentralplus: Zunächst einmal: Sind Sie traurig über Ihre letzte Tour?

Birrer: Nein, das ist gut so. Mit dem Historiker Thomas Fähndrich wurde ein guter Nachfolger gefunden. Das war mir wichtig. Ausserdem gibt es auch weiterhin die Möglichkeit, Stadtrundgänge mit mir zu buchen. Denn ab und zu kommen Leute auch im privaten Umfeld auf mich zu und möchten eine Brand-, Friedhofs- oder eine industriegeschichtliche Führung.

zentralplus: Cham ist nicht riesig, scheint jedoch eine Menge spannender Themen zu bergen.

Birrer: Man staunt, was sich in Cham an Interessantem verbirgt. Die Geschichte des Ortes wurde vom Historiker Michael van Orsouw sehr gut ausgearbeitet. Viele bedeutsame Häuser wurden dank ihm mit Tafeln versehen. Auch schrieb er Bücher über Cham, etwa auch über Adelheid Page. Er verdient eigentlich schon lange einen Orden. Von dieser Vorarbeit zehre ich. Auch wenn ich mich bewusst als Geschichtenerzähler bezeichne.

«Klassenzusammenkünfte sind die Schlimmsten.»

Bruno Birrer, Chamer Stadtführer

zentralplus: Das heisst? Nicht alles, was Sie bei den Führungen erzählen, entspricht der Wahrheit?

Birrer: Genau. Die Leute sollen wachsam bleiben. Was ich erzähle, muss nicht immer genau stimmen. Auch dürfen meine Geschichten anecken. Genau das ist auch das Thema am Samstag. Ich will Geschichten erzählen, über die man ins Diskutieren gerät.

zentralplus: Es gibt also nicht einfach die «eine» Stadtführung, die man buchen kann? Sie lassen sich immer etwas Neues einfallen?

Birrer: Ja. Das ist mitunter abhängig von der Gruppe. Letzthin habe ich eine Führung für den Strassenvorstand gemacht. Es ist klar, dass ich da den Fokus eher auf das historische Strassensystem gelegt habe. Das würde ich mit einer Gruppe, die zu drei Vierteln aus Frauen besteht, natürlich nicht tun.

zentralplus: Wer kommt an diese Führungen? 

Birrer: Schulen beispielsweise. Aber auch Klassenzusammenkünfte. Das sind die Schlimmsten.

zentralplus: Ach?

Birrer: Ja, denn sie haben sich alle schon lange nicht mehr gesehen und müssen alle währenddessen miteinander reden. Der alte Schulschatz wurde wieder aktiviert und weg ist die Aufmerksamkeit. Heikel sind aber auch Lehrkörper. Sie sind es eher gewohnt, zu reden statt zuzuhören. Doch auch da gibt es natürlich Unterschiede. Kinder sind anspruchsvoll, aber lustig. Da darf man nicht böse sein, wenn ihnen die Aufmerksamkeit abhanden kommt. Die muss man sich dann einfach wieder holen.

zentralplus: Welche Gäste sind Ihnen handkehrum am liebsten?

Birrer: Gruppen von Freunden, die sich regelmässig sehen. Jassfreunde zum Beispiel.

«Vor den Nachtführungen informiere ich jeweils die Polizei. Nicht, dass sie dächten, es seien Grabräuber am Werk.»

zentralplus: An welche Führung erinnern Sie sich besonders gern?

Birrer: Einmal habe ich eine Führung in der dunkeln Kirche gemacht. Nur ich hatte eine Taschenlampe und konnte damit die Gegenstände und Malereien beleuchten. Die nächtlichen Friedhofsführungen sind mir am liebsten. Weil es dunkel ist, können die Leute nicht abschweifen. Bei den Friedhofsführungen am Tag sind mir immer die meisten Leute verloren gegangen. Es ist ein Ort, den man sonst meist nicht besucht und der dazu verleitet, herumzuschlendern und sich die Grabsteine anzusehen. Vor den Nachtführungen informiere ich jeweils die Polizei. Nicht, dass sie dächten, es seien Grabräuber am Werk.

zentralplus: Seit rund 20 Jahren führen Sie Menschen durch Ihre Gemeinde. Inwiefern hat sich Cham in dieser Zeit verändert?

Birrer: Es ist bunter geworden. Von den Menschen her, aber auch von den Sprachen, die man hört. Es ist wie ein Babylon. Hätte ich einen Wunsch frei, wünschte ich, ich könnte sie alle verstehen und vielleicht gar darauf antworten. Was sich ausserdem verändert hat: Wie sehr die Menschen heute ins Handy versunken sind, während sie durch die Strassen laufen. Eigentlich bräuchte es keine Führungen mehr, man kann ja alles auf Google nachlesen.

zentralplus: Was ist Ihr Lieblingsfakt über Cham, der immer wieder für Erstaunen oder Schmunzeln sorgt?

Birrer: Ich ziehe gern Vergleiche. So auch zwischen Charles Page, dem Gründer der Anglo-Suisse, und Henri Nestlé. Ihre Herkunft, ihre Denkweisen und ihr Auftreten waren grundverschieden. Einer war ein Intellektueller, der andere ein Macher. Ich vergleiche die beiden Konkurrenten gern mit H2O, mit Wasser, dessen Moleküle Wasser- und Sauerstoff in einem bestimmten Winkel stehen müssen, um funktionieren zu können. Ein physikalisch-chemischer Ansatz einer geschichtlichen Begebenheit.

zentralplus: Was fehlt der Gemeinde?

Birrer: Eine Umfahrung, dank der sich das Dorf beruhigen könnte und sich die Menschen stärker begegnen könnten. Heute herrscht eine grosse Hektik auf den Strassen, die Autofahrer sind ungeduldig. Das ärgert mich.

«Kommenden Dezember bin ich bei der International School als Samichlaus tätig. Das mache ich auf Deutsch.»

zentralplus: Was macht Cham gut?

Birrer: Vieles. Der Ort ist gut für Familien mit Kindern. Wir haben hier über 20 Spielplätze, das ist toll.

zentralplus: Was kommt für Sie nach Ihrer Zeit als offizieller Stadtführer von Cham Tourismus?

Birrer: Nun, der Aufwand dafür war nicht riesig. Die Vorbereitungen waren jeweils interessant. Doch werde ich künftig wohl mehr Zeit zu haben, Bücher nur für mich zu lesen. Doch es kommen auch neue Projekte dazu. Kommenden Dezember bin ich bei der International School als Samichlaus tätig. Das mache ich auf Deutsch, denn mein Englisch ist sehr schlecht. Mein Schmutzli hingegen spricht sehr gut Englisch.

Am 29. Oktober von 10 bis 11.30 Uhr führt Bruno Birrer zum letzten Mal im Auftrag von Cham Tourismus durchs Dorf. Der Treffpunkt ist vor dem Lorzensaal. Der Rundgang kostet zehn Franken, eine Anmeldung ist nicht nötig. 

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