Geduldsprobe in Allewinden

Tour de Suisse – klatschen, warten, Ravioli kochen

Die Tour de Suisse in Allenwinden – regnerisch zwar, aber die harten Fans harrten aus.

(Bild: Laura Livers)

Inmitten der Fussballeuphorie findet im Kanton Zug das Startwochenende der 83. Tour de Suisse statt. Beim Warten und Klatschen in Allewinden lernten wir von einem Insider so einiges, was der gemeine Strassenrand-Steher sonst nicht weiss.

Mitten auf der Tour-de-Suisse-Strecke liegt Allewinden. Also der perfekte Ort, um einen richtigen Einblick zu bekommen. Doch um 11 Uhr morgens ist hier von Euphorie noch nicht viel zu spüren.

Zwei eingefleischte Fans sitzen auf ihren Klappstühlen neben der Bande, ein paar ältere Herrschaften auf der Terrasse des marrokanischen Dorfrestaurants. Vereinzelte Zivilschutzangestellte befestigen Banner und stehen sich die Beine in den Bauch. Und dann beginnt es, wie wäre es auch anders zu erwarten gewesen, zu regnen.

Los geht’s

Um halb 12 versammeln sich die ersten Schaulustigen unter den Bäumen, Vordächern und Bushaltestellen. Die meisten sind Familien mit Kindern, und Leute in Radler-Kleidung. Manche von ihnen sind dann auch dementsprechend selbst mit dem Rad den Berg hochgefahren, um dort die eigentlichen Rennfahrer anzufeuern.

Unter die Zuschauer mischt sich auch eine Horde Jungs, die wohl noch vom letzten Jahr wissen, was sie von der Tour de Suisse zu erwarten haben: eine Menge Käppis, Süssigkeiten und Bimmel-Glocken, die sie zu Haufen in ihre Rucksäcke packen.

Wann kommen denn die Fahrer?

Die Werbekonvois ziehen an uns vorbei, dann kommen die Organisatoren, dann ein Haufen Motorräder, noch mehr Autos, Kastenwagen mit Lautsprechern, das SRF, zwei Krankenwagen, die Polizei, nochmals Polizei und gelegentlich der 1er-Bus. Dazwischen finden sich auch immer wieder Fahrradfahrer, voll ausgerüstet mit Rennfahrertenue, die die Tour de Suisse auf eigene Faust fahren.

Als Unwissende wundere ich mich immer wieder, ob das nun die richtigen Fahrer sind, und zücke meine Kamera. Schnell werde ich von meinem Baumnachbarn aber eines Besseren belehrt: «Das ist ja der erste von vier Rundgängen, da wird sich kein einzelner Fahrer an der Spitze absetzen. Das wäre strategisch eine sehr dumme Idee.» Und mein Baumnachbar wird es wohl wissen. Graeme, ein Londoner Expat, ist selbst passionierter Rennvelofahrer und war zu seiner Zeit eine Grösse in der englischen Amateurszene. «Radrennsport ist heutzutage eher ein Stragiespiel als ein Geschwindigkeitssport», fährt er fort.

«Da kommt noch einer!»

Und dann, immer noch im strömenden Regen, kommen sie. Die mittlerweile 50 Zuschauer johlen, schwenken ihre Fahnen und klatschen, versuchen, die Fahrer anzuspornen. Und dann sind sie auch schon an uns vorbei und hinter der Kirche Richtung Menzingen verschwunden.

Die meisten Zuschauer verziehen sich sofort wieder ins Trockene, während die Team-Autos, jedes mit gefühlten 15 Rädern auf dem Dach, an uns vorbeiziehen.

«Wait, wait», sagt Graeme. «Da hinten kommt noch einer!»

Und tatsächlich, weit abgeschlagen folgt noch ein einzelner Fahrer. Die Zuschauer, die ihn entdecken, jubeln wieder. Fast noch lauter als vorher. Dann wird er von einem Auto überholt, das deutlich schneller fährt als die anderen.

«Das macht er, damit sich der Radfahrer an ihn hinten ranhängen kann, um aufzuholen. Das dürfen die Team-Autos eigentlich nicht. Aber der Radfahrer hatte wohl eine technische Panne beim Start. Da schaut die Rennleitung meistens drüber weg», erklärt er.

Hintergrundinfos gefällig?

Und dann gehen auch wir ins trockene Restaurant. Über eine Stunde warten und frieren heisst es für uns nun, bis sie das nächste mal an uns vorbeiziehen.

Um die Wartezeit zu verkürzen, erzählt Graeme von der Geschichte des Radrennsports. Dass früher bei den Rennen ein Zwei-Wasserflaschen-Limit herrschte, und viele Fahrer darum unterwegs Wein oder Schnaps getrunken haben, bis in den 60er-Jahren ein Engländer an der Kombination von Amphetaminen und Whiskey gestorben ist.

Oder wie der italienische Autor Dino Buzzati 1949 für den Corriere della Siera über den Giro d’Italia schreiben sollte, seine Artikel aber so voller Poesie und Metaphern über den Sieg der Sozialisten waren, dass sie mittlerweile in Buchform erschienen sind.

Es geht weiter

Um zehn nach zwei stellen wir uns wieder in den Regen.

Auto, Auto, Motorrad, Auto und dann plötzlich unter Jubel vier einzelne Fahrer, gefolgt von … niemandem. Eine Minute vergeht, zwei Minuten. Wieder Autos und Motorräder. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht, bis das Mittelfeld endlich auftaucht. «Da ist Cancellara!», ruft Graeme und zeigt auf die vorderste Reihe. Als gestriger Sieger sei er nun dafür verantwortlich, das Tempo zu machen. Ich nicke und bin mir nicht sicher, ob ich die Strategie wirklich verstanden habe.

Und dann ist die Strasse wieder leer und die Zuschauer verkriechen sich unter die Dächer. Die Jungs des Bikevereins Ägeri kochen ihre Ravioli auf dem Bunsenbrenner, die meisten Kinder werden von ihren Eltern nach Hause gerufen und die älteren Herrschaften kehren zu ihrer Stange Bier im Restaurant zurück.

Radrennsprort ist für die Zuschauer vor allem ein Geduldssport, was bei ununterbrochenem Regen und Wind nun nicht das angenehmste Unterfangen ist.

Darum entscheide ich mich, pünktlich zu Beginn der Fernsehübertragung, vorzeitig wieder ins Tal runterzusteigen und das Rennen im Fernsehen bis zum Schluss zu verfolgen. Wer weiss, ob ich mithilfe der Sportkommentatoren verstehe, wer nun warum was gewinnen wird.

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