Ein Besuch im Asylzentrum Gubel

Töggeln und häkeln gegen die Ungewissheit

Die Lösung darauf, dass der Bewohner häufig aus dem Bett gefallen ist. (Bild: wia)

Wie lebt es sich eigentlich im Asylzentrum auf dem Gubel? Am Freitag öffnete das Staatssekretariat für Migration den Medien für einmal die Türen der Asylunterkunft. Diese Chance haben wir beim Schopf gepackt. Dabei sind wir auf arabischsprachige Westerngucker, flipfloptragende Seniorinnen und niedergeschmetterte Legospieler gestossen.

Ein halbes Jahr ist es nun in Betrieb, das Bundesasylzentrum auf dem Gubel (zentral+ berichtete). Viele Bewohner sind bereits gekommen und wieder gegangen, durchschnittlich bleiben Asylsuchende nur jeweils 45 Tage hier, bis sie weiterziehen müssen. Die Medien dürfen also für einmal rein, dürfen sich alles ansehen, Schlafräume, Duschen, Aufenthaltsräume, Kleiderdepot.

Es ist Freitagnachmittag, das Asylzentrum, in dem rund 160 Menschen leben, wirkt verlassen. Bald ist Wochenende, da haben die Asylbewerber zwei Tage Ausgang. Und die scheinen sie zu nutzen. Das kann man ihnen nicht verübeln, denn richtig gemütlich ist es im Asylzentrum nicht gerade. Es ist zwar sauber und verhältnismässig ordentlich, doch fehlt es an Privatsphäre an Wohnlichkeit. Das ist nicht erstaunlich, sind sich die Asylbewerber, die hier unterkommen doch bewusst, dass ihre Reise nicht zu Ende ist.

Da schnarcht jemand

Thomas Strübel ist der Leiter des Asylzentrums Gubel, er empfängt die Medien und führt sie während zwei Stunden durchs Areal. Gleich als erstes führt er die Medien in einen grossen Schlafsaal, in dem behelfsmässig mit einem feuerfesten Vorhang etwas Privatsphäre geschaffen wurde. Im Raum wohnen 28 Männer aus verschiedensten Nationen. Gambia. Nigeria. Irak. Kosovo. «Und das geht erstaunlich gut», erklärt Strübel.

Überall die gleichen Deckenüberzüge, individuelle Gepäckstücke liegen kaum herum. Und dennoch: Blickt man genau hin, erkennt man Fragmente aus den einzelnen Leben dieser Einwohner. Unter einem der Betten stehen, säuberlich geordnet, zwei paar Fussballschuhe. Weit hinten, in den Tiefen des Raumes hört man ein Schnarchen. Dieses verebbt auch nicht, als die ganze Gruppe Journalisten im Zimmer steht und von Strübel informiert wird. Vielleicht ist es einfach gesunder Schlaf. Vielleicht ist es auch Schlaf, der nur bei Tageslicht kommt, aber nicht bei Nacht.

Die Lösung darauf, dass der Bewohner häufig aus dem Bett gefallen ist.

Die Lösung darauf, dass der Bewohner häufig aus dem Bett gefallen ist.

(Bild: wia)

Eine Matratze liegt am Boden. Strübel erklärt: «Derjenige Mann, der auf diesem Bett schläft, ist während der Nacht immer wieder aus dem Bett gefallen. Darum schläft er jetzt am Boden. Das geht ganz gut so.» Hinter einem Kajütenbett steht ein Afrikaner, wirkt etwas scheu und durchaus freundlich. Haben wir ihn bei seiner Siesta gestört?

Es geht weiter, Duschen werden inspiziert. Zwei Duschen für die 28 Männer. «Das geht gut auf. Sie haben ja den ganzen Tag Zeit», so der Zentrumsleiter.

«Falls uns hier ein Paar Schuhe Grösse 43 fehlen, mache ich ein Telefon, und spätestens am nächsten Tag habe ich es. Das ist wirklicht toll.»

Thomas Strübel, Leiter des Asylzentrums Gubel

Auch ein unbewohntes Familienzimmer wird gezeigt. Eng ist es und im Soussol liegend auch ziemlich dunkel. Dafür hat es zwei Lavabos drin und einen Tisch mit Stühlen. Auf dem Fenstersims steht eine daumengrosse Minion-Figur. Ob sie die Vorgänger vergessen haben oder bewusst für die nächsten zurückgelassen haben?

Weiter geht’s. Ins Kleiderlager. Der Raum ist gefüllt mit Winterkleidern. Jacken, Hosen, Pullis, Schuhe. Dies sei nur ein Bruchteil dessen, was man an Spenden bekommen habe. Wer etwas benötigt, kann hier vorbeikommen. Gesamthaft gibt’s aber nur ein Set Kleider für jeden. In einem weiteren Gebäude gibt es noch viel mehr davon und auch im Kloster Menzingen warten ganze Räume voller Kleider darauf, aussortiert zu werden.

Wem ein Kleidungsstück fehlt, dem wir hier geholfen.

Wem ein Kleidungsstück fehlt, dem wir hier geholfen.

(Bild: wia)

«Da sind wir momentan gut bedient. Und falls uns hier ein Paar Schuhe Grösse 43 fehlen, mache ich ein Telefon, und spätestens am nächsten Tag habe ich es. Das ist wirklicht toll», sagt Strübel, und lobt im gleichen Atemzug die «immense Solidarität» der Bevölkerung.

Ein fensterloses Spielzimmer

Durch den Hof geht’s, in ein weiteres Gebäude und dort in den ersten Stock. Es ist ein fensterloser, hoher Raum, der als Spiel- und Aufenthaltszimmer dient. Ein Teenager, der vorhin im Männerschlafsaal vorbeigehuscht ist, sitzt alleine am Tisch und baut sich ein Legohaus. Ihm ist sichtlich unwohl, umgeben von den vielen Leuten, er möchte offensichtlich in Ruhe gelassen werden.

Ganz im Gegensatz zu den Kindern am vorderen Tisch. Diese grüssen laut und deutlich auf Englisch, als wir die Treppe raufkommen und scheinen ganz zufrieden zu sein mit der Aufmerksamkeit, die sie erhalten. Sie spielen voller Eifer Memory und sitzen dazu nicht auf den Stühlen, sondern, so nah wie möglich am Geschehen, auf dem Tisch. Eine freiwillige Helferin betreut diese Kinder. Und sie verstehen sich prächtig. «Yeeesssss!» und «Noooo!» können sie alle mittlerweile. Ansonsten wird mit Handzeichen kommuniziert.

Warum der Raum keine Fenster hat? Weil er zweigeteilt wurde. Ursprünglich sei er doppelt so gross gewesen, erfahren wir. Nun, mit einer zusätzlichen Wand, konnten für 34 Menschen neue Schlafplätze geschaffen werden. «Im Moment sind es alles Männer aus Sri Lanka, die nebenan ihre Betten haben.»

Arabische Nachrichten laufen im Ess- und Aufenthaltszimmer.

Arabische Nachrichten laufen im Ess- und Aufenthaltszimmer.

(Bild: wia)

Im Essraum, unserer nächsten Station, sitzen zwei Männer und, drei Reihen weiter hinten zwei Frauen, und schauen sich arabischsprachige Nachrichten an. Vier Jugendliche liefern sich am Töggelikasten ein Duell. Trotzdem finden sie Zeit, die vorbeigehenden Journalisten zu grüssen. In einem abgedunkelten Aufenthaltsraum sitzen zwei Afrikaner und schauen sich einen auf arabisch übersetzten Western an.

Schweinefleisch gibt es hier nicht

Gekocht wird im Zentrum selber. Das sei nicht in allen Asylzentren so, erklärt die Menzinger Gemeinderätin Barbara Beck-Iselin. «Das haben wir so ausgehandelt», erklärt sie stolz. Denn auch wenn die Asylbewerber aus Sicherheitsgründen nicht in der Küche arbeiten könnten, so gebe es doch einige Vorteile. «Beispielsweise, dass weniger Essen verschwendet wird. Denn hier in der Küche wissen sie immer genau, wie viele Leute da sind.» Und wenn die Asylbewerber auch nicht kochen dürfen, beim Servieren und Abwaschen werden sie rege eingesetzt. «Stellen Sie sich vor: Den Abwasch machen für 160 Menschen, das sind viele Stunden Arbeit täglich», erklärt Strübel.

Und wie wird eigentlich für 160 Menschen aus aller Welt gekocht? «Am Mittag gibt es jeweils Fisch oder Fleisch. Am Abend vegetarisches Essen», sagt er weiter. Die Gerichte kämen aus aller Welt. Mal gibt’s Bulgur, mal Couscous, einfach Schweinefleisch bereite man keines zu.

«All is well.»

Ein tamilischer Asylbewerber im Zentrum Gubel

Weiter geht es, zurück in den Hof. Dort treffen wir auf eine Gruppe älterer Frauen. Sie gehen im Areal auf und ab. Eine von ihnen, sie trägt bloss Flipflops an den Füssen, häkelt gerade an einem kunstvollen, violetten Wollschal. Ob ihr denn nicht kalt ist? Obwohl sie kein Englisch spricht, antwortet sie mit den Händen, dass es noch so gehe. Und lacht.

Bei einem Eingang, der gerade von Journalisten verstopft ist, steht ein Tamile. Er sei seit 20 Tagen hier, erklärt er. Angereist sei er über Basel. Zuerst, in Sri Lanka, habe er das Flugzeug genommen, nachher sei es mit dem Lastwagen, per Auto und zu Fuss bis in die Schweiz gegangen. Ob er weiss, wie es nun mit ihm weitergeht? «Keine Ahnung», sagt er lächelnd. Eigentlich könne er in der Schweiz immer nur diesen einen Satz wiederholen: «All ist well.»

Irgendwann haben die Journalisten das Gebäudeinnere freigemacht, der Tamile bedankt und verabschiedet sich und bahnt sich seinen Weg bis zur Tür mit der Aufschrift «Rückkehrberatung».

 

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