An einer okkulten Veranstaltung in Baar

Tischlirücken: Auf einen Schwatz mit der toten Grossmutter

Das Tischlirücken hat in der Vergangenheit auch schon Einzug in die Populärkultur erhalten – wie bei Dr. Mabuse.

(Bild: Screenshot Dr Mabuse – Der Spieler)

Verstorbene, die über ein Tischchen mit uns kommunizieren – und das in Baar. Bei unserer Teilnahme trafen wir auf Menschen auf der Suche nach dem Warum, ein tanzendes Tischchen, Tränen und ganz viel inneres Kopfschütteln.

Da steht es nun, in der Mitte des Raumes: ein füdlibluttes Holztischchen. Drei Beine und eine runde Tischplatte. Keine draufgemalten Muster, kein angehängter Schnickschnack, kein gar nichts. Und doch steht dieses unscheinbare Objekt im Zentrum des Abends.

Der Anlass nennt sich Tischlirücken, auch Tischséance oder Tablework genannt. Es geht darum, Antworten von Verstorbenen zu erhalten. Grossmutter, Ehemann oder Bruder sollen via Tischchen kommunizieren.

Verstorbenen-Gespräch kostet 30 Franken

Völliger Mumpitz? Bestimmt. Abzocke von Leuten, die jemanden verloren haben und auf der Suche nach Antworten sind? Sieht ganz so aus. Doch wir wollen es genau wissen. Und besuchen einen Tischlirück-Anlass in Baar.

Als wir ankommen, werden wir in ein Hinterzimmer eines Restaurants geführt und berappen die 30 Franken «Startgeld». Rund um das Tischchen nehmen wir auf Holzstühlen Platz. Neben uns haben sich heute Abend acht Frauen eingefunden, um in Kontakt mit ihren Liebsten im Jenseits zu treten.

Man kennt sich

Altersmässig zeigt sich das Publikum ziemlich durchmischt. Von Anfang 30 bis 60 reicht das Spektrum. Manche kennen sich von früheren Sitzungen, andere sitzen eher verkrampft mit unsicherem Blick da.

«Es ist die Liebe, die uns mit der geistigen Welt verbindet.»

Julius*, «Medium» und Gastgeber

Obwohl wir das Ganze im Vorfeld als Scharlatanerie abgetan haben, können wir eine gewisse Nervosität nicht leugnen. Was, wenn es offensichtlich ist, dass wir nicht daran glauben? Was, wenn es bei uns nicht funktioniert, weil wir nicht daran glauben?

Funktionieren deshalb, weil die Idee ist, dass wir den Verstorbenen Ja- oder Nein-Fragen stellen und sie uns diese mit einem Klopfen des Tischbeins beantworten (einmal für ja, zweimal für nein). Was also, wenn das Tischchen bei uns keinen Wank macht?

Mehrere Neulinge

Wir haben uns im Vorfeld Fragen überlegt, die wir unseren toten Verwandten stellen können. So viel Vorbereitung muss sein. Belächeln hin oder her – auf dem falschen Fuss wollen wir nicht erwischt werden.

Als wir Platz nehmen, stellen wir beruhigt fest, dass wir nicht die einzigen Neulinge sind. Der Anlass beginnt und die drei Gastgeber, die sogenannten «Medien», stellen sich vor.

In der Informatikbranche tätig

Auch sie haben ihnen nahestehende Personen verloren, suchten nach dem Warum für den frühen Tod eines geliebten Menschen – und wurden in der spirituellen Welt fündig. Sie haben Jobs und Ausbildungen, die nicht viel mit Spiritualität zu tun haben, waren Kommunikationsleiter oder sind in der Informatikbranche zuhause.

Der 59-jährige Mann, welcher durch den Abend führt, wir nennen ihn Julius*, erklärt, wie es möglich ist, dass die Verstorbenen via schnödem Tischchen mit uns kommunizieren können. Es gehe darum, dass sich die feinstaubliche Energie dieser körperlosen Gestalten sammle, sich unter dem Tischchen bündle. So soll es sich bewegen. «Es ist die Liebe, die uns mit der geistigen Welt verbindet», sagt er.

«Hast du eine Ahnung, wer hier sein könnte?»

Julius

Der schnauzbärtige Herr verrät, dass das Tischchen in der Dunkelheit, wenn nur mit Infrarotlicht gearbeitet wird, manchmal sogar schwebe. Bei uns bleibt es jedoch hell und das Tischchen somit am Boden.

Tischchen beginnt zu bocken

Es geht los. Während die Teilnehmer in einem weiten Kreis sitzen, stehen die drei Gastgeber um das Tischchen und sprechen ein kurzes Gebet, damit könne man sich vor schlechten Einflüssen schützen. Dann legen sie sanft die Hände auf das Tischchen. Nur keinen Druck ausüben. Das kleine Holzmöbel soll sich ja nicht durch Muskelkraft bewegen. Soweit zumindest die Theorie.

Und siehe da, das Tischchen hüpft plötzlich auf und ab, verhält sich wie ein bockiges Pferd. Es dreht sich im Kreis, schleift über den Holzboden. Die drei erwachsenen Personen scheinen keine Ahnung zu haben, in welche Richtung es will. Sie versuchen zu folgen, die Hände immer auf die Tischplatte gelegt.

Das Tischchen scheint sich eine erste Person ausgesucht zu haben, plötzlich schleift es zielstrebig auf eine Teilnehmerin zu. Wir verspüren nun selbst eine gewisse Anspannung – was würde nun folgen?

Wer ist hier?

Die Teilnehmerin legt sanft ihre Hände auf die Tischplatte und schliesst die Augen. Die drei Medien kauern nieder. Julius fragt mit sanfter Stimme: «Veronika*, hast du eine Ahnung, wer hier sein könnte?» Sie vermutet, es könnte ihr verstorbener Bruder sein.

Wissenschaftliche Erklärungen für das Tischlirücken

Das Tischlirücken schwappte in den 1850er-Jahren aus den USA nach Europa über. Bereits 1853 erklärten die Physiker Michael Faraday und François Arago die Bewegungen des Tischchens durch unterbewusste Muskeltätigkeiten der Teilnehmer.

Wie bei vielen okkulten Praktiken, wie beispielsweise beim Gläserrücken, bietet auch beim Tischlirücken der Carpenter-Effekt (auch ideomotorischer Effekt) einen Erklärungsansatz.

Das Phänomen beschreibt, wie das Sehen einer bestimmten Bewegung sowie in schwächerem Masse das Denken an eine bestimmte Bewegung die Tendenz zur Ausführung ebendieser Bewegung auslöst.

Julius richtet seinen Blick auf das Tischchen. «Bist du Veronikas Bruder?» Und tatsächlich, das Tischchen bejaht, neigt sich auf die Seite von Julius, weg von Veronika. Als Zyniker könnte man behaupten, unauffällig zu ziehen ist eben einfacher als zu stossen.

Veronika stellt ihrem Bruder mehrere Fragen, manche davon still. Das heisst, sie spricht intime Fragen nicht laut aus. Artig gibt das Tischchen sogleich Antwort, meist ja. Man soll Bestätigung erhalten, mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Dies gaben die Gastgeber bei der Einleitung gar selbst zu.

Es fliessen Tränen

Als die Fragen beantwortet sind, macht sich das Tischchen wieder auf, galoppiert durch den Raum und entscheidet sich für die nächste Teilnehmerin. Dieser Ablauf wiederholt sich Mal für Mal. Es wird emotional, mehrmals fliessen Tränen.

Langsam werden wir ungeduldig. Es ist klar: Früher oder später werden wir an der Reihe sein. Und tatsächlich, das wilde Holzfohlen mit den drei Reitern an seiner Seite kommt auf uns zu. Noch bevor es angekommen ist, macht es einen Knick. «Es verneigt sich», erklärt Theresa*, eine der Gastgeberinnen.

Enden wir in der spirituellen Welt?

Und wieder stellt Julius mit ruhiger Stimme und einnehmendem Blick die Frage: «Habt ihr eine Vermutung, wer hier sein könnte?» Wir dachten an die tote Grossmutter. Und schau an, das Tischchen bestätigt dies.

Wir stellen unsere vorbereiteten Fragen, erhalten stets ein Ja. Selbst auf konkrete Fragen, bei denen die Antwort in der Zukunft liegt. Nicht bloss ein «bist du im Frieden gestorben?».

«Zu Beginn kann es sein, dass es nicht funktioniert. Es braucht Erfahrung.»

Julius

Plötzlich fragt Julius, ob er eine Frage für uns stellen dürfe. Klar, warum nicht. Er will wissen, ob wir einmal mit den Händen arbeiten werden – nicht im handwerklichen, sondern im spirituellen Sinne. Werden wir also vielleicht selbst mal Tischchenrücker sein? Das Tischchen bejaht dies tatsächlich.

Doch damit nicht genug, nachdem das Tischchen unsere Fragen beantwortet hat, will es noch nicht gehen. Es tanzt auf und ab, sehr zum Entzücken der drei Gastgeber. «Eure Grossmutter war eine sehr lebensfrohe und entschlossene Frau», stellt Julius fest. Dies ist nicht falsch. Doch bei solch vagen Aussagen, die auf eine Mehrzahl von Menschen zutrifft, fühlen wir uns umgehend ans Horoskop erinnert.

Der Zufall spielt mit

Das groteske Schauspiel neigt sich nach fast zwei Stunden langsam dem Ende zu. Zu Beginn warnte uns Julius noch, es könne auch sein, dass das Tischchen zu jemandem nicht kommt, dafür zu einer Person mehrmals. Doch der Zufall will es, dass das Tischchen tatsächlich bei jeder Person einmal seine Aufwartung macht.

Zum Abschluss sprechen die drei Gastgeber noch einmal ein kurzes Gebet. Dann dürfen sich die Teilnehmer alleine am Tischchen versuchen. Würden sie es schaffen, das Holzstück zum Tanzen zu bringen?

Das Tischchen schweigt

Zu dritt nehmen sie Platz und legen die Hände auf das Tischchen. Die Augen bleiben offen. Das Möbel bleibt an Ort und Stelle, macht keinen Wank. Es folgen irritierte und enttäuschte Blicke. Haben sich die Verstorbenen etwa bereits verabschiedet?

Julius erklärt: «Zu Beginn kann es sein, dass es nicht funktioniert. Es braucht Erfahrung.» Er erzählt, wie er zu Anfangszeiten mit seinen Partnern manchmal stundenlang dasass, ohne dass etwas geschehen ist. Inzwischen mache er dies schon seit vielen Jahren. Er habe sein Handwerk in England gelernt.

Bitte nicht alleine

Bevor wir uns verabschieden und in die kühle Nacht hinaustreten, dürfen wir noch Fragen stellen. Eine weisshaarige Dame mit buntem Rock möchte wissen, ob Tischlirücken denn auch alleine möglich sei.

«Das sollte man nicht tun», erklärt Julius. «Denn es kann sein, dass die Arme mit der Zeit verkrampfen und man im Unterbewusstsein das gewünschte Resultat erzwingt.» Ideal seien drei bis fünf Personen. Zum Schluss kommt er also indirekt auf einen Ansatz zu sprechen, den auch die Wissenschaft als Erklärungsversuch verfolgt (siehe Box).

*alle Namen von der Redaktion geändert

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