Bundesgericht liefert Munition gegen den Kanton

Tempo 30 auf Luzerner Strassen: Gemeinden wittern Morgenluft

Immer wieder versuchen Fahrzeuge aus der zweiten oder dritten Reihe, den stehenden Bus auf der schmalen Strasse in Richtung Littau zu überholen.

(Bild: giw)

Die Rufe nach Tempo-30-Zonen auf Kantonsstrassen wird in Luzern immer lauter. Dagegen wehrte sich die Kantonsregierung bisher vehement. Jetzt liegt ein wegweisender Entscheid des Bundesgerichtes aus Basel vor. In den Gemeinden wittert man Morgenluft – und ein Befürworter fordert den Gang vor Gericht.

«Tempo 30 – Lärmschutz oder Schikane?» Darüber diskutierten die Politiker in der «Arena» des Schweizer Fernsehens Anfang April. Dabei zeigten sich tiefe politische Gräben, es wurde ein lauter und gehässiger Talk. Die hitzig geführte Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern nimmt immer weiter an Fahrt auf – auch in Luzern, wo Gemeinden in ihren Zentren das Tempo vermehrt drosseln möchten. Aus Sicherheitsgründen, um das Zentrumsleben zu stärken oder aufgrund des Strassenlärms will man innerorts auf langsameren Autoverkehr setzen. Doch der Kanton sträubt sich dagegen.

Jüngstes Beispiel ist die Gemeinde Sursee (zentralplus berichtete), doch auch im Zentrum von Kriens und auf verschiedenen Kantonsstrassen-Abschnitten in der Stadt Luzern wünschen sich Anwohner und auch Gemeindepolitiker Tempo 30. Auf Gemeindestrassen können die Kommunen selbst entscheiden. Doch gerade durch die Zentren führen oft Kantonsstrassen. Und hier hat der Staat Luzern die Hoheit über die Signalisation – und spricht deshalb das letzte Wort.

Bundesgericht bestätigt Entscheid

Der Kanton tat sich bisher schwer, Tempo 30 auf sogenannten verkehrsorientierten Strassen respektive Hauptachsen zuzulassen. Die positiven Signale der Regierung in Sursee sind ungewöhnlich. Denn einen testweisen Versuch in Rothenburg hat Regierungsrat Robert Küng 2016 gestoppt (zentralplus berichtete). Obwohl der Lärmpegel deutlich gesenkt wurde, fand die Regierung, der Versuch vermöge keinen überwiegenden Nutzen zugunsten einer Tempo-30-Zone durch Rothenburg aufzuzeigen. «Ich sehe zurzeit keine weiteren Tempo-30-Zonen auf Kantonsstrassen, welche dringend oder zielführend sind», sagte Küng damals.

«Unsere Praxis wird mit diesem Entscheid aber unterstützt und bestätigt.»

Roger Schürmann, Leiter Projekte Tiefbauamt Stadt Luzern

Ein Mitte März erfolgter Bundesgerichtsentscheid stärkt die Befürworter und könnte die ablehnende Haltung des Kantons unterminieren. Denn im Fall der Basler Sevogelstrasse hat das Bundesgericht entschieden, dass Tempo 30 auch auf «verkehrsorientierten Strassen» zulässig ist. Just das Argument, das der Luzerner Regierungsrat wiederholt gegen die Einführung vorbrachte. Und auch in der Stadt Zürich stützte das Bundesgericht die Tempobeschränkungen aus Lärmschutzgründen – es werden Dutzende Stadtzürcher Strassen neu mit Tempo 30 signalisiert.

Stadt Luzern ist nicht überrascht

In der Stadt Luzern wird das am prominentesten seit langem auf der vielbefahrenen Bernstrasse und ebenso stark frequentierten Baselstrasse unter anderem vom Quartierverein BaBel gefordert (zentralplus berichtete). Auch in der Fortführung der Bernstrasse auf der Luzernerstrasse im Stadtteil Littau möchte eine Motion, unterschrieben von den Grünen und der CVP, Tempo 30 auf einer Kantonsachse erreichen. Im Fall der Baselstrasse wird die Forderung vom Stadtparlament mehrheitlich unterstützt.

«Das Urteil hat sicherlich einen Einfluss und bietet gute Argumente in den Verhandlungen mit dem Kanton.»

Matthias Senn, Gemeinderat Kriens

Für Roger Schürmann, Leiter Projekte beim Luzerner Tiefbauamt, kommt der Bundgesgerichtsentscheid nicht sehr überraschend. Schürmann erinnert an den Fall der Grabenstrasse in der Stadt Zug – dort wurde der Kanton vom Bundesgericht zu einem Testversuch für Tempo 30 gezwungen (zentralplus berichtete). Testergebnisse wurden vom Kanton auf diesen März in Aussicht gestellt. Für die Stadt Luzern ändere sich mit dem Entscheid vorderhand nicht viel – nahezu alle vielbefahrenen Gemeindestrassen seien bereits verkehrsberuhigt. «Unsere Praxis wird mit diesem Entscheid aber unterstützt und bestätigt», sagt Schürmann.

Auf der Kantonsstrasse zwischen dem Zentrum Hofmatt bis zur Busschleife von Kriens wünscht sich der Gemeinderat Tempo 30.

Auf der Kantonsstrasse zwischen dem Zentrum Hofmatt bis zur Busschleife von Kriens wünscht sich der Gemeinderat Tempo 30.

(Bild: Screenshot Google Maps)

Kriens plant 30er-Zone im Zentrum

Matthias Senn, Bauvorsteher in Kriens, erachtet den Entscheid als wegweisend. «Das Urteil hat sicherlich einen Einfluss und bietet gute Argumente in den Verhandlungen mit dem Kanton», sagt der FDP-Politiker.

Der Krienser Gemeinderat wird am kommenden Donnerstag ein neues Gesamtverkehrskonzept vorstellen, das damit in die Phase der öffentlichen Mitwirkung tritt. Unter anderem plant die Gemeinde auf dem Kantonsstrassenabschnitt zwischen der Busschleife und dem Hofmattplatz eine gestaltete Strasse mit Querungsmöglichkeiten. Aus diesem Grund wünscht sich der Gemeinderat dort auch die Einführung von Tempo 30.

Laut Senn wollte man das Verkehrsregime auf dem Abschnitt mit dem Kanton in einer Arbeitsgruppe erarbeiten, doch das zuständige Department ging nicht auf den Vorschlag ein. Nun wird der Kanton zum Krienser Plan Stellung nehmen müssen.

Ein weiteres Krienser Projekt betrifft den Ortsteil Obernau. Auf der Strasse zwischen dem Quartierrestaurant bis zum Siedlungsrand in Richtung Eigenthal möchte der Gemeinderat aus Lärmschutzgründen ebenfalls die Maximalgeschwindigkeit auf 30 km/h reduzieren.

Ab dem Restaurant Obernau auf der Hergiswaldstrasse plant die Gemeinde Kriens die Einführung von Tempo 30.

Ab dem Restaurant Obernau auf der Hergiswaldstrasse plant die Gemeinde Kriens die Einführung von Tempo 30.

(Bild: Screenshot Google Maps)

Kanton prüft Konsequenzen des Entscheids

Beim Kanton möchte man sich zu den Konsequenzen des Entscheids aus Basel vorderhand nicht äussern. «Das Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement wird in einem nächsten Schritt das nun vorliegende Bundesgerichtsurteil im Detail prüfen, auch hinsichtlich der Konsequenzen für verkehrsorientierte Strassen», sagt Thomas Buchmann, Departementssekretär Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartement auf Nachfrage. Erst wenn die Prüfung abgeschlossen sei, werde über das weitere Vorgehen bei Beurteilungen von Tempo-30-Anliegen der Gemeinden entschieden.

«Wir hoffen, dass eine Gemeinde den Mut aufbringt, den gerichtlichen Weg durchzuziehen.»

Michael Töngi, Präsident VCS Luzern

Allgemein gelte: Zur Verminderung der Lautstärke, das zentrale Argument des Bundesgerichts für die Einführung von 30er-Zonen, können laut Buchmann drei Massnahmen eingesetzt werden: Reduktion der Geschwindigkeit, weniger Verkehr oder lärmmindernde Beläge. «Welche Massnahmen Priorität haben, kann nicht generell beantwortet werden», sagt der Departemenssekretär. Für die Beurteilung im Einzelfall bedürfe es sowohl einer verkehrs- wie einer lärmtechnischen Abklärung. Aufgrund dessen wird schlussendlich entschieden.

VCS wünscht sich mutigere Gemeinden

Michael Töngi, Präsident von VCS Luzern und Nationalrat der Grünen, schliesst sich dem Tenor des Krienser Gemeinderates an: «Der Entscheid der Bundesrichter nützt der Position der Gemeinden und dem VCS ganz klar.»

Töngi glaubt jedoch nicht daran, dass die Luzerner Regierung sich dadurch umstimmen lässt in ihrer Haltung – er wünscht sich, dass Gemeinden mit juristischen Mitteln versuchen, Tempo 30 auf einem Kantonsstrassenabschnitt mit einer Einsprache durchsetzen. «Wir hoffen, dass eine Gemeinde den Mut aufbringt, den gerichtlichen Weg zu beschreiten.» Matthias Senn sagt auf Anfrage, man möchte Differenzen mit dem Kanton vorderhand auf dem Verhandlungsweg lösen und nicht über einen Gerichtsentscheid.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Raphael Spoerri
    Raphael Spoerri, 17.04.2018, 17:21 Uhr

    Mit der Petition der IG attraktives Kriens http://www.attraktives-kriens.ch/, scheint mir das Interesse vieler Krienser Gruppierungen an einer Tempo 30 Zone gegeben zu sein.
    Es ist nun wichtig, dass diese Gruppierungen den Gemeinderat in seinen Bestrebungen unterstützen und gegenüber dem Kanton stärken.
    Dies über alle Parteigrenzen hinweg.
    Denn die Gemeinde Könitz hat seit längerem bewiesen, dass eine Tempo 30 Zone auf einer Hauptverkehrsader nur Gewinner erzeugt.
    Raphael Spörri

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