Zug filmte dich beim Güsel entsorgen – ohne Bewilligung
Beim Ökihof Zug wirst du beim Besuch gefilmt, was durch die blauen Kamerakleber angedeutet wird. (Bild: mik)
Der Zuger Ökihof beantragt bei der Stadt eine Videoüberwachung rund um die Uhr. Das Merkwürdige: Gemäss Gesuch filmt der Werkhof bereits seit Sommer 2021. Obwohl einige Punkte fraglich sind, segnet der Stadtrat die Anlage ab.
Wenn du mit deiner durchgesessenen Couch oder dem kaputten Grill zum Zuger Ökihof fährst, wirst du gefilmt. Egal, ob du das um 2.45 Uhr morgens oder nach dem Feierabend gegen 18.15 Uhr tust. Nur: Bis vor drei Wochen hatte der Werkhof dafür gar keine Bewilligung. Dabei filmt er die Kundinnen bereits seit Sommer 2021.
Das steht in einem Stadtratsbeschluss vom 10. September. Darin erteilt die Stadtregierung dem Ökihof die erstmalige Bewilligung für ihre Videoüberwachungsanlage. Aus dem Gesuch geht allerdings hervor, dass der Werkhof bereits seit rund drei Jahren die Parkplätze vorn wie die Anlieferungen hinten filmt. Angeschaut würden die Aufnahmen nur bei einem «konkreten Ereignisfall», steht im Gesuch.
Dass der Ökihof dieses erst Jahre nach Start des Betriebs nachliefert, erklärt Simone Enderli, Leiterin interne Sicherheit der Stadt Zug und Gesuchstellerin, auf Anfrage so: «Die Bedürfnisse und Orte für eine Videoüberwachung mussten im laufenden Betrieb am neuen Ort erst eruiert werden. Nachdem sich die Sachlage konkretisiert hatte, ging man an die Aufbereitung des Gesuchs.» Sprich: Um herauszufinden, wofür sie die Kameras überhaupt brauchen, liessen die Verantwortlichen sie erst mal ohne Bewilligung laufen. Bisher nutzte der Ökihof Kameras einmal – dabei waren sie nicht nützlich.
Gegen Diebstähle und Schrammen im Autos
Das «Wofür» hat der Werkhof inzwischen im Gesuch festgehalten: Mit den Kameras will der Ökihof Diebstähle verhindern, aber vor allem Beweise sammeln, wenn jemand seinen Güsel falsch entsorgt oder beim Parkieren etwa das Auto nebenan schrammt. Das sei nur mit einer Videoüberwachung möglich, beteuern die Gesuchsteller. Während der Öffnungszeiten sei das Personal da – aber ausserhalb der Öffnungszeiten könnte niemand Unbefugte aufhalten. Sie würden oft jegliche Parkverbote oder die Hausordnung ignorieren, heisst es im Gesuch. Ein Zaun, um das Gelände nach Feierabend abzuschliessen, wurde während der Planung verworfen, da Kunden auch ausserhalb der Öffnungszeiten parkieren können sollen.
Kurzum: Gemäss den Werkhofverantwortlichen können nur Kameras Güselsünderinnen und Parkplatzrowdys verhindern. Als Beweis dafür führen sie einen einzigen Vorfall an, den die Videoaufnahmen während ihrer bisherigen Laufzeit ans Licht gebracht haben: eine illegale Entsorgung am 2. Januar 2023.
Nützlich waren die Aufnahmen lediglich für die Bestimmung des Zeitpunkts, wann die Unbekannte ihre Kartons unbefugt abgestellt hat. Das Nummernschild sei «leider nicht erkennbar» gewesen, die Aufnahmen seien auch nicht in einem strafrechtlichen Verfahren verwertet worden, steht im Gesuch. Der Fall konnte trotzdem aufgeklärt werden, da auf den Kartons noch Etiketten klebten. Der Werkhof konnte also nachträglich Rechnungen verschicken.
Polizei brauchte Kameras bei Unfällen nicht
Ansonsten listet der Ökihof in seinem Gesuch keine weiteren Auswertungen auf. Obwohl es auf dem Areal bereits zu schwereren Vorfällen als falsch entsorgten Kartons gekommen ist. 2023 gab es drei Unfälle mit Sachschaden und einen Unfall mit verletzten Personen, 2024 gab es bis und mit Juni einen Unfall mit Sachschaden und einen mit Verletzten.
Die Auflistung findet sich in einem Nachtrag zu einer Interpellation von Mitte-Gemeinderätin Mariann Hegglin. Wusste die Stadt zuerst noch von keinem Vorfall auf den Parkplätzen beim Ökihof, reichte die Stadt die Vorfälle nach Eintrudeln der zentralplus-Medienanfrage zu den Kameras nach. Gemäss Baudepartementssekretärin Birgitt Siegrist hatte die Stadt für die erste Antwort der Interpellation noch nicht bei der Zuger Polizei nachgefragt. Für diesen Fehler entschuldigte sich Bauvorsteherin Eliane Birchmeier (FDP) nachträglich an einer Sitzung des Grossen Gemeinderats.
Im Gesuch für die Videoüberwachung des Ökihofs sind diese Vorfälle ebenfalls nicht erwähnt. Sprich: Die Zuger Polizei hielt es bei der Aufklärung dieser Fälle nicht für nötig, die Videoaufnahmen zurate zu ziehen.
Der einzelne Güselfall spricht somit kaum für die Wirksamkeit der Kameras. Sind sie also wirklich nötig? Darauf angesprochen, schreibt Simone Enderli von der Stadt: «Meistens ist das Entsorgungsgut nicht mit Etiketten angeschrieben. Auch Kartons haben nicht immer eine Adressangabe.» Hinzu komme, dass Kameras auch einen präventiven Charakter hätten, um Diebstählen, Vandalismus oder illegales Entsorgen vorzubeugen. «Wann und ob entsprechende Ereignisse eintreffen, ist in keinem Fall voraussehbar.»
Haarspalterei um Dauerüberwachung
Nebst der zumindest fraglichen Wirksamkeit der Videoüberwachung beim Ökihof ist auch die Dauerüberwachung umstritten. Denn: Eine sogenannte Echtzeitüberwachung darf gemäss Zuger Videoüberwachungsgesetz nur die Polizei anordnen. Im Gesuch steht zwar, dass 24/7 gefilmt wird und Livebilder in den Pausenraum des Werkhofteams übertragen werden. Dabei soll es sich jedoch nicht um Echtzeitüberwachung handeln.
Gemäss der Stellungnahme der Zuger Polizei ist die Liveübertragung im Pausenraum keine Echtzeitüberwachung, solange die Personen und Kontrollschilder nicht erkennbar sind. Im Gesuch ist angegeben, dass der Bildschirm im Pausenraum eine zu geringe Auflösung habe und das Bild zu klein sei, um jemanden zu erkennen. Also ähnlich wie die online verfügbaren Aufnahmen der Webcams des Ökihof-Parkplatzes, mit denen Zuger sehen sollen, ob sich die Fahrt zum Entsorgen derzeit lohnt.
Hier zum Beispiel die entsprechenden Aufnahmen vom 27. September. Sie sind jeweils von 7 bis 19 Uhr verfügbar, auch die vergangenen vier Tage können noch eingesehen werden:
Simone Enderli erklärt den Unterschied so, dass die Videoaufnahmen bei einer Echtzeitüberwachung aktiv, bei einer 24/7-Videoüberwachung erst im Nachhinein angeschaut werden.
Für die Datenschutzbeauftragte Yvonne Jöhri wiederum ist «nicht nachvollziehbar», wieso es sich nicht um Echtzeitüberwachung handeln solle, wie es in ihrere Stellungnahme zum Gesuch heisst. Solange die Bilder in Echtzeit übertragen würden und jemand diese jederzeit anschauen könne, sei es eine Echtzeitüberwachung.
Verwaltungsgericht rügte Kanton bereits für 24/7-Kameras
Relevant ist diese Frage nicht nur wegen der Bewilligung durch die Polizei, sondern auch im Zuge der Beurteilung der Verhältnismässigkeit. Das Filmen von Personen ist an sich ein Eingriff in deren Grundrechte – und muss als solcher verhältnismässig sein. Sprich: nur so stark wie nötig und nicht, wenn es mildere Mittel gibt.
2017 beispielsweise lehnte das Zuger Verwaltungsgericht eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung der Route vom Bahnhof zur Bossard-Arena in Zug ab, da eine solche nicht verhältnismässig sei. Dies stand wegen der Eishockeyfans zur Debatte. Wenn es auf der Strecke zu Vorfällen komme, dann grossmehrheitlich während grosser Veranstaltungen. Auch die Datenschutzstelle beurteilte damals, dass einzelne Vorfälle ausserhalb grosser Veranstaltungen keine Dauerüberwachung rechtfertigten. Das Gericht verdonnerte die Zuger Regierung dazu, die Überwachung auf der Route auf die Dauer von Anlässen wie EVZ-Spiele zu beschränken.
Ab wann wissen Kunden, dass sie gefilmt werden?
In ihren Stellungnahmen zum Ökihof-Gesuch merken die Zuger Polizei und die Datenschutzbeauftragte noch weitere Punkte an, die die Stadt Zug beachten müsste. Etwa betont die Polizei, dass Hinweise zur Videoüberwachung gemäss Gesetz erkennbar sein müssten, bevor die Person in den Aufnahmebereich trete. Ein Augenschein vor Ort zeigt: Nur mit Adleraugen und genug Fantasie liesse sich wohl noch vor Eintritt ein Hinweis auf die Kameras erkennen.
Das nächste interaktive Bild zeigt den Blick vom Trottoir der Einfahrt aus gesehen. Eigentlich müsste der Kamerakleber von hier aus zu sehen sein. Tipp: ganz rechts beim Gebäude, etwa auf Höhe des weissen Lieferwagens rechts neben der Halle.Bewege den Slider, um den Standort zu finden.
Auch hinten bei den Anlieferungen ist der Hinweiskleber von der Einfahrt her kaum zu sehen. Tipp: Er klebt etwa auf Höhe der ersten Fensterreihe von unten ganz rechts am Gebäude.
Auch von der Ausfahrt her blickend, sieht man den Kleber kaum. Tipp: über dem Defibrillator neben dem Eingang.
Für die Zuger Datenschutzbeauftragte wiederum sind viele Angaben zur Informationssicherheit zu wenig detailliert. Zum Beispiel, wie der Werkhof sicherstellt, dass die Aufnahmen nach 14 Tagen vom System gelöscht werden. Oder was genau protokolliert wird, wenn jemand auf das Videosystem zugreift.
Stadt bewilligt Videoüberwachung beim Ökihof Zug trotzdem
Ungeachtet dessen bewilligte der Zuger Stadtrat das Gesuch seiner eigenen Abteilung wie eingangs erwähnt vor wenigen Wochen. Zwar bezeichnet der Stadtrat die Einschätzungen zur Echtzeitüberwachung als «unbefriedigend». Gemäss der Zuger Polizei stehe eine Änderung des entsprechenden Artikels jedoch auf der Traktandenliste der Regierung, wie der Stadtrat schreibt.
Zudem bemängelt die Stadtregierung, dass bei den Bewilligungen der bisherigen Videoüberwachungen im Kanton «kein einheitlicher Standard» erkennbar sei. Was nicht verwundert, da jüngst die Zuger Datenschutzbeauftragte selbst kritisierte, dass der Kanton und die Gemeinden Gesuche bewilligen, die für sie nicht bewilligbar waren (zentralplus berichtete).
Doch da Kameras gemäss Gesetz zum «Schutz von Personen und Sachen» und zur «Verhinderung von Straftaten» eingesetzt werden dürfen, sind für die Stadtregierung die Kameras beim Ökihof in Ordnung. Und fügt mit ihrer Bewilligung der Liste der Videoüberwachungen ohne einheitlicher Standards selbst eine weitere Anlage hinzu.
Schreibt über alles, was Luzern und Zug aktuell beschäftigt. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Nach einem Studium in Medienwissenschaften und Englisch ist sie seit September 2021 bei zentralplus. Nebenbei absolviert sie derzeit die Diplomausbildung Journalismus am MAZ.