Weisswein- für Frauen, Fleisch-Werbung für Männer

Spar Emmen durchleuchtet zu Werbezwecken die Kunden

Das System analysiert den Gang und Körper des Kunden und spielt eine für ihn passende Werbung aus. (Bild: Advertima)

Der Detailhändler Spar setzt auf ein neues Werbekonzept: Sobald Kundinnen den Laden betreten, analysieren Sensoren ihr Äusseres und teilen sie in eine passende Zielgruppe ein. Anhand der Einteilung sehen sie entsprechende Werbung auf den Screens im Laden. Datenschützer sind besorgt.

Beim Einkauf mittags im Spar Emmen fällt einem zentralplus-Lesereporter (23) ein neuer Aufkleber an der Eingangstür auf: «Um das Publikum besser zu verstehen, betreiben wir Marktforschung. Darum ist dieser Bereich mit Advertima-Technologie ausgerüstet», steht da. Schulterzuckend betritt der Kunde den Laden. Was nun geschieht: Ein Sensor analysiert jeden Schritt seines Weges.

Moscato-Werbung für junge Frauen, Entrecôte für die Männer

Sobald sein Blick zufällig auf den Werbebildschirm fällt, ändert sich die Anzeige: das Bild eines Steaks, das sich für den Grillabend auf der Ufschötti eignen würde (zentralplus berichtete). Er setzt seinen Einkauf fort, studiert die Regale und packt sich seinen Einkaufskorb voll. Am Weinregal angekommen, wechselt die Anzeige zu einem Wein im mittleren Preissegment, der gerade mit Rabatt zu haben ist. Und kurz vor dem Ausgang blendet der Bildschirm Werbung für «Fresh-to-go»-Fertiggerichte an, schön passend zur Mittagszeit.

Wäre nun eine Lesereporterin unterwegs gewesen, wäre der Einkauf wohl anders verlaufen. Statt Anzeigen für Rotwein und Steak hätte das Display zum Beispiel Moscato- oder Tamponwerbung gezeigt. Denn bei jedem Spar-Besuch analysiert ein Computer die Statur, Körpermerkmale und das Gesicht und bestimmt so das ungefähre Alter und Geschlecht der Person, die darauf einer groben Zielgruppe zugeteilt wird.

Der Sensor analysiert, welche der Kunden gerade auf den Bildschirm schauen und spielt dann etwas Passendes für alle aus.
Der Sensor analysiert, welche Kunden gerade auf den Bildschirm schauen, und wählt einen passenden Werbefilm für sie aus. (Bild: Advertima)

Sobald diese Person auf einen der Werbebildschirme im Laden schaut, wechselt die Werbeanzeige zu einem Produkt, dass ihrer Zielgruppe gefallen könnte. Mehr noch, sind gerade mehrere Kundinnen im Raum, analysiert das System, welche auch tatsächlich auf den Bildschirm schauen. Und strahlt anschliessend ein Produkt aus, dass möglichst allen gefallen könnte.

Inzwischen in fast allen Spar-Filialen

Wie die Spar-Medienstelle auf Anfrage schreibt, sind die ersten solchen Werbescreens vor zwei Jahren installiert worden. «Mittlerweile sind fast alle Spar-Supermärkte damit ausgestattet.» Das technologische System dahinter stamme von der Firma Advertima. «Einer Schweizer Firma, die das System hier in der Schweiz gemäss den geltenden Gesetzen und Normen entwickelt», wie die Mediensprecherin direkt hinzufügt.

Denn das System sammle nur rudimentäre soziodemografische Merkmale wie das Geschlecht oder die grobe Altersklasse. Die Mediensprecherin zieht den Vergleich zu menschlichen Kundenzählern, die am Eingang die Kundinnen zählen und Striche auf eine Liste setzen. Wobei das technologische System sicherer sei: «Es speichert zu keinem Zeitpunkt Bilder oder andere Personendaten, während menschliche Datenerfasser sich die Gesichter der Personen merken könnten.» Das System funktioniere auch, ohne dass Daten gespeichert würden.

Trotzdem sammelt Spar Daten. Die Spar-Mediensprecherin erläutert zu einer anderen Frage, dass der Detailhändler neben zielgruppengerechter Werbung die Daten auch zu statistischen Zwecken verwende. So zum Beispiel, um zu erfahren, wie viele Kunden welchen Alters die Läden aufsuchen.

Datenschutzbeauftragter ist kritisch

Also alles picobello? Nicht wirklich. Wie ein Artikel von «Infosperber» aufdeckt, ist das Vorgehen datenschutzrechtlich problematisch. Zwar sei es gemäss dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (EDÖB) legal, Daten, die keinen späteren Rückschluss auf eine Person zulassen, für statistische Zwecke auszuwerten. Diese dürfen jedoch nicht «ohne Einwilligung der Betroffenen mit anderen Datenquellen abgeglichen werden», wie das Nachrichtenportal weiter schreibt.

Laut Website von Advertima zur «Erfolgsgeschichte von Spar» können jedoch auch Lieferanten oder andere Werbetreiber ihre Produkte über die Spar-Bildschirme bewerben. Und profitieren deshalb von den erfassten Daten. Konkrete Fragen von «Infosperber», welche Daten Advertima effektiv speichert und wer sie wie lange verwenden kann, sind unbeantwortet geblieben.

Etwas versteckt findet sich der Hinweis-Kleber. Informationen dazu, dass damit personalisierte Werbung ausgespielt wird, findet sich erst im QR-Code.
Etwas versteckt findet sich der Hinweis-Kleber. Informationen dazu, dass personalisierte Werbung ausgestrahlt wird, finden sich erst im QR-Code. (Bild: Leserreporter)

Als weit problematischer beurteilt der EDÖB jedoch den Hinweis-Sticker. Auf diesem weist Spar lediglich darauf hin, dass sie zu Marktforschungszwecken Daten erhebt. Informationen zur personalisierten Werbung erhalten die Spar-Kundinnen erst, wenn sie den Link im QR-Code öffnen. Und auch da ist die Erklärung dazu vergleichsweise schwammig: «Unternehmen haben so die Möglichkeit besser auf ihre Kundengruppen einzugehen, ohne dabei ihre Persönlichkeitsrechte zu verletzen.» Werbung wird mit keinem Wort erwähnt.

Datenerfassung für personalisierte Werbung braucht Einwilligung

Der EDÖB äussert sich dazu gegenüber dem Nachrichtenportal kritisch: «Wenn Marktforschung angegeben wird, in Wahrheit aber personalisierte Werbung gemacht wird, wäre dies in der Tat ein Problem.» Denn für solche einfache Datenbearbeitungen braucht es die Einwilligung der betroffenen Person. Wie bei Cookies auf Websites müssten Kunden so die Möglichkeit haben, beim Betreten eines Spars die Datenerfassung zu Werbezwecken abzulehnen.

Klareres zum Vorgehen von Advertima könne der EDÖB jedoch noch nicht sagen, denn eine konkrete Analyse stehe noch aus. Spar selbst sagt dazu lediglich, dass «der Persönlichkeitsschutz und Datenschutz zu jedem Zeitpunkt gewährleistet» sei.

Filmt Advertima dich oder nicht?

Advertima verwendet für ihr System die «Computer Vision»-Technologie. Damit werden meist von Kameras aufgenommene Bilder in einer externen Software mit Algorithmen analysiert. In diesem Beispiel werden die körperlichen Merkmale des aufgenommenen Menschen in verschiedene Alterskategorien eingeteilt.

Die Frage, ob dabei die Kundinnen gefilmt werden, beantwortet die Firma selbst wie folgt: «Für die Advertima Technologie werden 3D-Stereoskope als optische Sensoren verwendet, nicht als Kameras zum Filmen und Speichern von Videomaterial. Die optischen Informationen werden in Echtzeit verarbeitet und demografische Metadaten (geschätztes Alter und Geschlecht) sowie Informationen zur Kopf- und Körperhaltung einer Person werden in Echtzeit vollständig anonymisiert und extrahiert. Der optische Sensor wird nicht dazu benutzt, Bilddaten zu erstellen. Personen werden durch die Installation nicht gefilmt.»

Oder anders ausgedrückt: Sie verwenden statt Videokameras 3D-Stereoskope (eine Kameratechnologie, die durch das Zusammenfügen mehrerer Bilder einen 3D-Effekt erzeugt). Zudem verarbeiten sie die aufgenommen Bilder in Echtzeit weiter und speichern diese nicht längerfristig, weshalb die Installation die Kunden nicht wie im herkömmlichen Sinn «filmt».

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Silvia Manser, Mediensprecherin Spar Handels AG
  • Schilderung eines Leserreporters
  • Artikel in «Infosperber»
  • Website Advertima
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Marc
    Marc, 20.05.2022, 17:03 Uhr

    Das ist nun nichts Neues, bzw. neu ist allenfalls dass die Presse darüber berichtet. Intelligente IP Cams, People Counters, In-store Heatmaps, gezielter Personaleinsatz und Werbung. Diese Technologie verkaufen wir in unserer Firma seit Jahren. Ein gigantisches Wachstumsgeschäft. Kann man gut finden oder nicht, aufhalten wird man es nicht mehr können.

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  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 20.05.2022, 16:46 Uhr

    Aber dahinter steht die Fenaco oder nicht??

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    • Profilfoto von Redaktion zentralplus
      Redaktion zentralplus, 20.05.2022, 17:30 Uhr

      Die Spar-Gruppe ist eigenständig. Sie hat ihren Sitz in den Niederlanden und ist in 48 Ländern tätig. Zu Fenaco gehören die Detailhändler Volg und Landi.

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