Mit künstlicher Intelligenz

Luzerner Forscher tüfteln an neuen Hörgeräten

Eine Forschungsgruppe um Ruksana Giurda (zweite von links) und Simone Lionetti (zweiter von rechts) untersucht, wie Hörgeräte dank KI deutlich verbessert werden könnten. (Bild: Thi My Lien Nguyen)

Oft sind Gespräche für Gehörlose ein Wirrwarr von Geräuschen. Forscher der Hochschule Luzern und der Firma Sonova wollen das nun ändern und mit einem neuartigen Hörgerät ihr Leben erleichtern. Künstliche Intelligenz soll die Lösung dafür sein.

Stell dir vor, du läufst durch den Bahnhof in Luzern. Rechts von dir bellt ein Hund, links von dir streitet eine Gruppe von sechs Jugendlichen darum, ob sie den Bus oder den Zug nehmen sollen. Für dich ist das natürlich kein Problem, denn du hörst schliesslich gut genug, um diese Geräusche voneinander zu unterscheiden und deine Aufmerksamkeit auf das wirklich Wichtige zu lenken. Anders sieht es hingegen bei rund 600'000 Personen in der Schweiz aus, die leicht bis hochgradig schwerhörig sind.

Diesen Menschen möchten die Hochschule Luzern (HSLU) und die Firma Sonova helfen. Sie wollen Hörgeräte mittels künstlicher Intelligenz (KI) verbessern.

Was Hörgeräte mit künstlicher Intelligenz besser machen

Die Vision der rund zwanzig Forscher von «Darling» lautet folgendermassen: Die KI-Hörgeräte sollen auf der Basis von statischen Daten jene Audiosignale ermitteln, die für die Trägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit relevant sind. Der Name setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben der englischen Worte «Detecting And Reacting to Listening Intention aNd Goals» – und bedeutet: «Erkennen von und Reagieren auf Zuhörabsichten und -ziele».

«Das Hörgerät ‹weiss› ja nicht, welche akustischen Signale in einem bestimmten Moment für eine Person gerade wichtig sind und welche nicht.»

Ruksana Giurda, Sonova

Aber wie kommt man auf die Idee, KI für Hörgeräte zu entwickeln? Zwar arbeiten neuere Hörhilfen bereits mit Audiofiltern, die automatisch einen Teil der Nebengeräusche unterdrücken können. Diese haben aber lediglich sehr allgemein gehaltene Voreinstellungen. Das erklärt Ruksana Giurda, Ingenieurin und Projektleiterin von Sonova. «Das Hörgerät ‹weiss› ja nicht, welche akustischen Signale in einem bestimmten Moment für eine Person gerade wichtig sind und welche nicht.»

Das war auch einer der Gründe, weshalb die Verantwortlichen das Projekt Darling ins Leben gerufen haben. «Wir verstehen das menschliche Verhalten zu wenig gut, um daraus – ohne externe Hilfe – die Absichten des Zuhörens abzuleiten», bestätigt auch Simone Lionetti. Er ist KI-Forscher und bei der HSLU für das Projekt verantwortlich.

Relativ schnell beschlossen die Forscher deshalb, dass ein Algorithmus die ideale Lösung für dieses Problem bieten könnte. Ein Algorithmus, der also, auf sorgfältig gesammelten Daten basierend, lernt, wie man das menschliche Verhalten beim Zuhören besser verstehen kann.

Die Geräusche des Restaurantbesuchs werden simuliert

Dafür werden derzeit in einem Praxislabor möglichst alltagsnahe akustische Szenarien gesammelt. So werden beispielsweise Geräusche simuliert, die jenen bei einem Besuch in einem Restaurant gleichen. Den Forscherinnen geht es dabei vor allem darum , diese Geräusche nachzubauen und die Reaktionen des menschlichen Körpers auf diese Geräusche zu messen.

Im «Real Life Lab» simuliert das Forscherteam reale Geräuschkulissen. (Bild: Thi My Lien Nguyen)

Aufgrund der akustischen Eigenschaften und des Nutzerverhaltens in verschiedenen Situationen erhofft sich das Forscherteam, dass sie die relevanten akustischen Quellen bestimmen können. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil dadurch das Signal, das der Nutzer hören möchte, verbessert werden kann.

Was ist die Hauptschwierigkeit des Projekts? Auch in diesem Projekt mit KI stellte die grosse Datenmenge eine der grössten Hürden dar, die überwunden werden musste. Aber auch, dass das Experimentieren mit Geräuschen und das Entwerfen der richtigen Experimente für eine sinnvolle Datensammlung nicht immer einfach war.

Obwohl der Forschungsprozess gut laufe, stossen auch die neuen Systeme immer wieder an ihre Grenzen. So werden derzeit einige akustische Signale, die für den Nutzer unmittelbar relevant sein könnten, separat berücksichtigt. Heisst: Dem Nutzer könnten sonst gewisse (Neben-)Geräusche unter dem Radar durchgehen. «Wir arbeiten derzeit daran, diesen Teil zu verbessern», sagt Lionetti.

Prototyp des neuen Hörgeräts soll 2024 fertig sein

Das Hörgerät ist derzeit nicht das einzige Projekt, welches für Menschen mit einer Beeinträchtigung unterstützt wird. Es gibt zahlreiche Fälle, an denen laufende Forschungen im Bereich der KI beteiligt sind. Menschen mit einer Sprachbehinderung können beispielsweise in ein Mikrofon sprechen. Ein Lautsprecher erzeugt dann anhand der abgehackten Wörter klare Sätze.

Eine der neusten Entwicklungen im Bereich der KI betrifft die Manipulation von Roboterarmen durch spezielle Elektroden. Diese werden auf der Haut platziert und ermöglichen dem Träger ähnliche Griffe, als würde er eigene Hände haben.

Auch die HSLU plant weitere Projekte im Bereich der KI. Welche das sein werden, wird sie in den nächsten Monaten kommunizieren. Zuerst soll nun aber das Hörgerät mit KI fertiggestellt werden. Geplant wäre, den ersten Prototyp des neuen Hörgeräts bis 2024 fertigzustellen. Bis dahin wird das Projekt von Innosuisse, der Forschungsagentur des Bundes, mit rund 700'000 Franken unterstützt.

Wie viel das KI-betriebene Hörgerät kosten wird, ist derzeit noch nicht klar. Das hängt sowohl von Hardwareanforderungen als auch von strategischen Entscheidungen Sonovas ab.

Der erste Prototyp des neuen Hörgeräts soll bis 2024 fertig sein. (Bild: Thi My Lien Nguyen)
Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Simone Lionetti, HSLU
  • Schriftlicher Austausch mit Ruksana Giurda, Sonova
  • Medienmitteilung der HSLU
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon