Ein Hauch von Silicon Valley im Luzerner Tribschenquartier

Keiner versammelt Hacker so verlässlich wie dieser Luzerner

Der Hackergarten Luzern wird einmal im Monat von Marcus Fihlon organisiert.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit versammelt sich jeden Monat eine Gruppe Hacker in Luzern. Doch was dahintersteckt, hat mehr mit Kommunismus gemein als mit Kriminellem.

Das Geschäftsviertel zwischen Tribschenstrasse und See gehört nicht zu den gemütlichsten Orten der Stadt Luzern. Nur wenige hundert Meter hinter dem Seeufer ragen moderne Sichtbetonbauten in die Höhe. Besonders im Winter kein schöner Ort.

Einladend dagegen wirkt an diesem Januarabend das beleuchtete Fenster an der Rösslimatte 52. Inmitten der kargen, kalten Betonlandschaft füllt sich ein verglaster Meeting-Raum mit mehr und mehr Menschen.

Es sind Hacker. Und zum Teil extra heute Abend nach Luzern angereist. In den nächsten Stunden werden sie wie jeden Monat die Grenzen des Machbaren ausloten.

Willkommen im Hackergarten

Er hat die Hacker nach Luzern gebracht. Sein Name? Marcus Fihlon. Auf LinkedIn bezeichnet sich der kräftige Mann aus Luzern als Software Craftsman. Denn in seinem Verständnis ist das Schreiben von Code, das Entwickeln und Bauen von Software, ein Handwerk.

Jeden ersten Donnerstag im Monat lädt der Autodidakt zum «Hackergarten» ein. Das Konzept stammt nicht von ihm. «Beim Hackergarten ist es wie bei McDonalds – du weisst, was du bekommst», erzählt er. Erstmals in Basel gesehen, habe er alles daran gesetzt, das Event nach Luzern zu holen.

«Hierherzukommen braucht Energie und Idealismus.»

Marcus Fihlon, Organisator des «Hackergarten» Luzern

Das «Hackergarten»-Menü besteht aus kostenlosem Bier, Cola, Chips und Pizza. Dann kommen IT-Begeisterte zusammen und arbeiten an selbstgewählten Projekten. Bei jedem Treffen wird neu abgestimmt, welche Projekte verfolgt werden. Die einzige Regel: Es muss Open-Source sein.

Kommunistische Ideale

Open-Source ist Software, die von Privatpersonen in ihrer Freizeit entwickelt wird. Es entstehen Produkte, die nicht Firmeneigentum sind, sondern der Allgemeinheit gratis zur Verfügung stehen. Nicht nur als Programm, sondern auch mit Quelltext. So kann jeder an dem Gemeinschaftswerk mitarbeiten. Wie etwa an Linux, einer Software, mit der fast alle Rechenzentren weltweit laufen.

Die Hacker in dem erleuchteten Raum sind Überzeugungstäter, da ist Marcus Fihlon sicher: «Die meisten haben schon einen ganzen Arbeitstag hinter sich. Hierherzukommen braucht Energie und Idealismus.»

Thomas, ein ruhiger, herzlicher Mann, ist Elektroingenieur in Zürich. Er träumt von einer Welt, in der alles nach dem Prinzip von Open Source funktioniert: «Ich frage mich manchmal, ginge das nicht auch woanders? Die Welt könnte zum Beispiel zusammen und kostenlos an Pharmaprodukten arbeiten.»

Von links nach rechts: Thomas, Jan, Lina und Laura.
Von links nach rechts: Thomas, Jan, Lina und Laura. (Bild: zvg)

Nirgendwo so verlässlich wie in Luzern

Die Zürcherin Laura ist Sprachtherapeutin. In ihrer Freizeit betreibt sie eine Website mit Rätsel-Geschichten. Um diese zu lösen, braucht es simple Programmierkenntnisse. Seit Kurzem gibt es auch Geschichten ohne Rätsel, erklärt sie: «Schliesslich wollen nicht alle Programmieren lernen.»

An einem Tisch mit Laura arbeiten an diesem Abend Jan, ein tschechischer Software-Ingenieur aus Luzern. Die Brasilianerin Lina mit ihrem Freund Fadri. Und der Zürcher Thomas. Im Raum wird in drei Sprachen wild durcheinander diskutiert.

«Hier kann man es auch als Autodidakt ohne Uniabschluss bis ins Silicon Valley schaffen.»

Marcus Fihlon

Thomas und Laura werden heute Abend zurück nach Zürich fahren. Es gebe solche Events auch dort, häufig würden sie aber drei Tage vorher abgesagt. «Keine Person in der Deutschschweiz macht das so verlässlich wie Marcus», sagt Laura und blickt hinüber zu dem grossen Mann am Kopfende eines Tisches voller Laptops.

Hacker hauen in die Tasten

Ob er ein echter Hacker ist, wurde Marcus Fihlon schon oft gefragt. Und immer war seine Antwort gleich: Ja und Nein. Verstehe man unter Hacken das Einbrechen in Systeme, weist er es scharf zurück. Er versteht den Begriff anders: «Der Begriff Hacken ist entstanden, weil Leute beobachtet haben, wie Programmierer wild auf die Tastatur einhacken und tolle Dinge entstehen. Und genau das machen wir.»

Als Autodidakt sei er kein Einzelfall, erzählt er. In der Software-Entwicklung sei es einfach, sein Hobby zum Beruf zu machen. Er ist überzeugt: «Hier kann man es auch als Autodidakt ohne Uniabschluss bis ins Silicon Valley schaffen.»

Doch heute geht es nicht darum, was sein könnte. Es soll etwas geschaffen werden, ganz im Jargon des Handwerkers. Ein Tisch arbeitet an der vereinfachten Einbindung von Mastodon Accounts (eine dezentrale Twitter-Alternative) auf Websites. Am anderen Tisch wird an einer Bilderkennungs-Software geschraubt, die Kinderzeichnungen in Geschichten verwandelt.

Eine Arbeitsgruppe von IT-Experten.
Eine Arbeitsgruppe von IT-Experten. (Bild: zvg)

Günstiger als jeder Headhunter

Wifi plus ein Budget für Pizza, Bier und Co – mehr kostet das monatlich stattfindende Event den Sponsor CSS nicht. Fihlon ist überzeugt, dass die Versicherung wie alle grossen Firmen eine Verantwortung hat: «Nur dadurch, dass Firmen etwas zurückgeben, kann das Ökosystem an offener Software am Leben gehalten werden.»

Ausserdem sei Luzern nicht gerade das Silicon Valley, es sei schwierig, gute Software-Entwickler zu finden. Solche Events verbesserten die Sichtbarkeit und das Image. Und Pizza und Bier sei sehr viel günstiger als jeder Headhunter, scherzt er.

Die CSS schreibt auf Anfrage, «eine aktive und professionelle Softwareentwickler-Community» zu unterstützen. Sie verweist auf weiteres Engagement wie etwa die Nachwuchsförderung im Rahmen des CSS ICT Campus. Das Logo prangt an der Wand hinter den Hackern, denn die Jugendlichen treffen sich im selben Raum (zentralplus berichtete).

Innovation, Idealismus und Kooperation

Der Zeitgeist ist an diesem Abend spürbar. Die Schlüsselwörter fliessen wie beiläufig in die Gespräche ein: Idealismus, Kooperation, Inklusion, Engagement und natürlich Innovation. Marcus Fihlon scheut sich nicht, die Gruppe scherzhaft als «nerdig» zu bezeichnen. Nur wenig später prangert er Rassismus und Zensur auf Twitter an.

Was heisst es, «nerdig» zu sein? Nach Oxford-Definition beschreibt der Begriff einen sehr intelligenten, aber sozial isolierten Computerfan. Lina, Laura, Thomas, Marcus und der Rest wirken deutlich anders. Es ist ein Hauch von Silicon Valley spürbar an diesem Abend in der Rösslimatte 52 in Luzern.

Das Resümee: Es lohnt sich, die Hacker kennenzulernen. Oder wie Marcus Fihlon auf seinem LinkedIn-Account schreibt: «Du möchtest wirklich mit mir in Kontakt kommen? Dann ist ein Schlipsträger-Netzwerk voll von Job-Hyänen nicht das Richtige!»

Verwendete Quellen
  • LinkedIn-Profil von Marcus Fihlon
  • Telefonat mit Marcus Fihlon
  • Website von Hackergarten
  • Schriftlicher Austausch mit Christina Wettstein, Leiterin und Mitglied des Kaders bei CSS
  • Mastodon Account von Marcus Fihlon
  • Twitter Account von Marcus Fihlon
  • Website von CSS zum ICT Campus
  • Website von Story Coder
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