Wieso das Luzerner Theater nicht mehr taugt

Technikdirektor: «So baut man einfach keine Bühne»

Wer hier arbeitet, muss sich minutenlang bücken: Peter Klemm, technischer Direktor, im Schuhfundus des Luzerner Theaters. (Bild: bic)

Die Stadt und das Luzerner Theater wollen anstatt des heutigen Stadttheaters einen Neubau realisieren. Doch dagegen wehren sich Denkmal- und Heimatschutz des Bundes. Weshalb der Abriss des 180-jährigen Gebäudes aber wohl tatsächlich das einzig Vernünftigste ist, zeigt ein Augenschein vor Ort.

«So können wir kein modernes Theater machen und müssen darum das Gebäude vergrössern. Am besten wäre gleich ein Neubau», erklären das Luzerner Theater und die Stadt Luzern. «Kommt überhaupt nicht infrage», erwidern die eidgenössischen Kommissionen für Denkmalpflege sowie für Natur- und Denkmalschutz.

«Die Nordfassade zur Reuss hin muss erhalten bleiben und das Gebäude darf nur bedingt Richtung Jesuitenkirche erweitert werden.» Obwohl die Empfehlungen der beiden Gremien keine rechtliche Wirkung haben, ist die Situation aktuell festgefahren (zentralplus berichtete).

Grund für den Wunsch eines Neubaus sind vordringlich die immer enger werdenden Platzverhältnisse im Theatergebäude von 1839. «Das Gebäude kommt mit den technischen Entwicklungen und den sich wandelnden Anforderungen ans zeitgemässe Theater rein aufgrund seiner Grösse und Struktur nicht mehr mit», moniert Peter Klemm bei einer Besichtigung des Hauses. Klemm ist technischer Direktor am Luzerner Theater und somit für den reibungslosen technischen Betrieb verantwortlich.

Sanitätszimmer und Serverraum in einem

Schaut man sich in dem Gebäude etwas um, wird rasch klar, wovon Klemm spricht. So wurde beispielsweise das Sanitätszimmer im Untergeschoss vor einigen Jahren kurzerhand in einen Technikraum umgewandelt. «Einen anderen Platz hatten wir im ganzen Haus schlicht und einfach nicht», erzählt Klemm.

«In einem modernen Theater gäbe es ein Podium, das per Knopfdruck schnell und einfach auf verschiedene Niveaus gehoben werden kann.»

Die Sanitätsliege muss sich das Zimmer seither mit dem Innenleben der Soundanlage und den Servern teilen, die bei Vollbetrieb kräftig für Wärme sorgen. Gekühlt werden kann der Raum nur mit einer behelfsmässig installierten, kleinen Klimaanlage. Der Anschluss an die Gebäudelüftung sei aus architektonischen und Platzgründen ebenfalls nicht möglich, sagt Klemm.

Blick ins Sanitätszimmer.

Der Orchestergraben: Ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten

Auch der Orchestergraben sei völlig aus der Zeit gefallen, da er mittlerweile viel zu klein sei und folglich auch eine Gefahr für das Gehör der Musikerinnen darstelle, so Klemm. Hinzu komme, dass in modernen Kompositionen regelmässig grosse Instrumente wie Marimba- oder Xylophon, grosse Pauken und auch mal ein oder zwei Synthesizer vorkommen. Diese bei der Vollbesetzung eines Orchesters aufzustellen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Sitzt bei einer Produktion kein Orchester im Graben, kann dieser mit Bühnenelementen zugedeckt und somit die Spielfläche vergrössert werden. «In einem modernen Theater gäbe es ein Podium, das per Knopfdruck schnell, einfach und sicher auf verschiedene Niveaus gehoben werden kann. Wir brauchen für exakt das Gleiche mit vier Mitarbeitenden jeweils knapp eine halbe Stunde», rechnet Klemm vor. Arbeitszeit, die eigentlich in die Produktionen gesteckt werden könnte.

«Was wir uns ebenfalls wünschen, wäre ein Foyer, in welchem wir Anlässe, zum Beispiel mit Sponsoren, in einem angemessenen Rahmen durchführen können.»

Unter der Bühne, direkt neben dem Orchestergraben, befindet sich auch die Garderobe der Musiker. In dem völlig zugestellten Raum bereitet sich zum Beispiel vor Opernaufführungen jeweils ein ganzes Symphonieorchester vor. «Die Kontrabässe passen kaum unter die Decke», sagt Klemm. Eine Tür führt direkt in einen Lagerraum, in dem unter anderem die Abfallcontainer stehen. «Hier spielen sich vor dem Auftritt die Blechbläser ein», führt er aus. An den Wänden nackter Beton und keinerlei Dämmmaterial.

Wenn das Foyer zur Kantine wird

Wie aufwändig Produktionen im Luzerner Theater heute sind, offenbart sich bei einem Blick ins Foyer, wo sich das Publikum in den Pausen zum Cüpli trifft. «Während des Tages ist es quasi unsere Mitarbeiterkantine, da es keine Räume gibt, in denen man gemütlich essen und sich erholen kann», sagt Klemm dazu.

Was den Zuschauern ebenfalls verborgen bleibt: Während den Aufführungen dient das Foyer als Garderobe, die jeweils im Eiltempo auf- und abgebaut werden muss. «Ein riesiger Aufwand, der mit einem neuen Theater wegfallen würde», betont Klemm. «Wenn die Kostüme im Foyer stehen, verkaufen wir das den Besuchern einfach als bewusst organisierte Ausstellung.»

Ein Risiko für die Gelenke der Tänzerinnen

Und auch die Tänzer wärmen sich im Foyer auf, da ein entsprechender Raum aus Platzgründen fehlt. Dies geschehe im Profibetrieb normalerweise auf einem weichen Boden, der die Gelenke schont. Da dieser im Vestibül des Luzerner Theaters nicht verlegt werden kann, würden sich neben den Musikerinnen auch die Tänzer einem gewissen gesundheitlichen Risiko aussetzen, warnt Klemm.

«Was wir uns ebenfalls wünschen, wäre ein Foyer, in welchem wir Anlässe, zum Beispiel mit Sponsoren, in einem angemessenen Rahmen durchführen können», ergänzt er. Diese müssten meist in einem kleinen Teil des Foyers unter ziemlich engen Bedingungen stattfinden.

Wenig einladend sind auch die Arbeitsplätze der Maskenbildnerinnen. Sie arbeiten in einem engen Estrich ohne Tageslicht und haben kaum Platz, um die in vielen Arbeitsstunden hergestellten Perücken korrekt und sicher zu verstauen. Viel zu wenig Platz gibt es auch für den Fundus, weshalb die Schauspieler meistens in den Südpol fahren müssen, um sich einzukleiden. Und wer ein paar Treter braucht, muss sich im kleinen und extrem niedrigen Schuhfundus unter der Dachschräge minutenlang bücken.

Das zur Mensa umfunktionierte Foyer.

Der Saal stösst an seine Grenzen

Ein Sorgenkind für Klemm ist auch der Saal, das Herzstück des knapp 180-jährigen Theaterhauses. Hier gibt es vordergründig zwei Probleme: «Die Sitzplätze auf der Seite in den oberen Rängen sind rechtwinklig zur Bühne angeordnet und bieten keine gute Sicht. Deshalb müssen wir sie zu günstigeren Preisen anbieten», erklärt Peter Klemm. «Mit mehr guten Plätzen könnten wir folglich mehr Einnahmen generieren.» Ein wichtiger Aspekt bei der Diskussion über die Finanzierung durch Steuergelder und den Selbstdeckungsgrad des Luzerner Theaters. Auch deshalb kommt für Klemm nur ein Neubau infrage.

«Ein grosses Handicap besteht darin, dass das Dach über der Bühne ausgerechnet im Bereich, wo Kulissen am höchsten weggezogen werden sollten, am tiefsten liegt.»

Da sich die Theatertechnik massiv weiterentwickelt und zum Beispiel Licht einen viel höheren Stellenwert erhalten habe, komme der Saal auch in diesem Punkt an seine Grenzen. «Die Leute sind sich heute die Qualität des Fernsehens oder von Shows gewohnt. Deshalb haben wir zum Beispiel unsere Möglichkeiten zur Beleuchtung aus dem Zuschauerraum mittlerweile komplett ausgereizt», sagt Klemm dazu.

Und weiter: «Früher leuchtete man Szenarien mit einfachen Mitteln aus, heute ist das Licht aber ein zentrales künstlerisches Gestaltungselement im Ausstattungskonzept von Theaterproduktionen. Es wird stundenlang auf die im Probenhaus erarbeiteten Szenen eingerichtet.» Denn insbesondere die so erzeugten und wechselnden Stimmungen faszinierten das Publikum.

Diese Sitze sind im 90-Grad-Winkel zur Bühne angeordnet, was nicht mehr zeitgemäss ist und finanzielle Einbussen mit sich bringt.

Zu kleine Bühne macht Zusammenarbeit mit anderen Theatern schwierig

Bleibt noch die Bühne. Diese sehe zwar auf den ersten Blick grosszügig aus, sei aber vergleichsweise klein. «Ein grosses Handicap besteht darin, dass das Dach über der Bühne ausgerechnet im Bereich, wo Kulissen am höchsten weggezogen werden sollten, am tiefsten liegt. Dies schränkt den Bühnenbetrieb ein und macht ihn aufwändig», moniert Klemm. «So baut man einfach keine Bühne», gibt er sich wenig zimperlich.

Weil die Bühne im nationalen und internationalen Vergleich sehr klein ist, falle es dem Luzerner Theater schwer, mit anderen Institutionen zu kooperieren, Synergien zu nutzen und so fixfertige Produktionen mit eher bescheidenem Aufwand aufzuführen. «Deren Kulissen sind meistens viel grösser und passen bei uns nicht rein. Zudem können wir sie nicht richtig manövrieren, da es seitlich der Bühne keinen Platz gibt, wie es in modernen Theatern mit Seitenbühnen und Hinterbühne der Standard ist.»

Eine Zusammenarbeit sei also immer ein gewisser Kraftakt, sagt Klemm. Aufgrund der nicht mehr zeitgemässen Infrastruktur sei es auch oft schwierig, berühmte Regisseurinnen und Schauspieler für Produktionen zu engagieren.

Fazit: Modernes Theater ist so kaum zu machen

Peter Klemm hätte noch viel zu erzählen. Doch für den neutralen Beobachter ist auch nach dem kurzen Augenschein nachvollziehbar, dass modernes Theater an der Reuss zurzeit kaum möglich oder zumindest mit grossem personellem Aufwand verbunden ist. Die Schaffung von zusätzlichem Platz scheint unumgänglich. Die Mitglieder der beiden eidgenössischen Kommissionen scheinen das hingegen nicht so zu sehen.

Der Platz neben der Bühne ist bei Vollbetrieb völlig zugestellt und unübersichtlich.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Marcel Sigrist
    Marcel Sigrist, 26.09.2020, 14:54 Uhr

    Richtig, wenn Luzern ein neues Theater braucht, dann ein richtiges. Eines das den Anforderungen genügt. Aber muss das unbedingt da stehen wo das alte steht? Muss keiner sagen, dass das gut kommt. Eingezwängt zwischen Häuser, Jesuitenkirche, Wege und Reuss. ein Theater brauch auch Aussenfläche, Freiraum und Zufahrten, nicht nur für Velos. Und Geschosse im Untergrund. Da höre ich jetzt schon zu den Kosten: Bauen am Wasser ist halt teuer (siehe Velostation). Nein, bitte zurück auf Platz 1, bitte andernorts planen.

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