Kritik zum Luzerner Sonntags-Krimi

«Tatort»: Berührender Konflikt neben heimlichen Sex-Dates

Überzeugend: Noel Basman und Jevgenij Sitochin als Neffe und Onkel.

(Bild: SRF/Daniel Winkler)

Der neuste Luzerner Tatort stellt einen Konflikt ins Zentrum, der noch immer glüht. Und glühend ist diesmal auch Flückigers Liebesleben. Besonders spannend ist der Film leider trotzdem nicht geraten. 💣 Obacht, Spoiler-Alarm! 💣

Darum geht’s:

Ein Journalist stürzt aus dem Fenster eines Hotels und ist sofort tot. Die Spur führt ins tschetschenisch-russische Umfeld. Reto Flückiger und Liz Ritschard ermitteln und merken, dass der Journalist durch seine Recherchen eine dramatische Kettenreaktion in Gang gesetzt hat. Tobias Ineichens vierter Tatort handelt vom erschütternden Erbe eines aus den Medien verschwundenen Konflikts.

Die Kritik:

Mit einer spannenden Stimmung, einem heimlichen Sex-Date und einem unmoralischen Angebot beginnt der neuste Luzerner Tatort. Trotzdem ist er insgesamt nicht besonders sexy geraten. Denn bald ist man den Ermittlern weit voraus.

Die Figuren sind zwar schön angelegt, gut gespielt, die Bilder sind toll und die Thematik der unlösbaren Konflikte bietet viel an, doch die Story ist schwach aufgezogen. Der Aufbau hätte spannender gestaltet werden können. Irgendwie hat man die ganze Zeit das Gefühl, die Ermittler tappen nur im Dunkeln und besuchen zwar die richtigen Orte, aber immer zu spät oder zu unmotiviert, um wirklich etwas herauszufinden. Dass sie dann fürs Finale tatsächlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort auftauchen, scheint purer Zufall zu sein. Flückiger und Ritschard hätte man daher in dieser Geschichte auch einfach streichen können. Denn wie Ritschard richtig sagt: «Es erwartet niemand von uns, dass wir den Konflikt lösen.» Doch etwas mehr Auseinandersetzung mit der Thematik, etwas Einfühlungsvermögen, Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit hätte gut getan.

Aber vielleicht sind die Ermittler dessen auch einfach müde geworden. Haben ja auch wir dem Luzerner Tatort schon öfters die Moral-Keule vorgeworfen. Das können wir diesmal nicht tun. Lediglich ganz zum Schluss, als Ritschard und Flückiger Ena Abaev verhaften müssen, kommt die Tragik dieses Tatorts richtig zum Tragen. Schade, dass man für die Gefühlsregung bis zum Ende durchhalten muss.

Denn da um den Journalisten keiner wirklich trauert und es nicht so aussieht, als wäre abgesehen von einem mutmasslichen Terroristen sonst jemand in Gefahr, ist die Ermittlung für den Zuschauer nicht sehr aufregend.

Und doch: Die Thematik berührt. Wie die Kinder, die nächste Generation, unter den Kriegen ihrer Eltern leiden, zeigt sich in zahlreichen endlosen Konflikten. Wie sie hineingezogen werden in den Hass und diesen zu ihrem Lebensinhalt machen – wegen Familie, Heimat, wegen dem Blut. Da kann Joel Basman noch lange «Das ist euer Scheiss-Krieg!» schreien – leider ist er das nicht. Denn sogar der Journalist wird im Namen der Wahrheit oder der Gerechtigkeit zum rücksichtslosen Widerling, der auch vor Drohungen nicht zurückschreckt.

Die Darsteller

Delia Mayer als Liz Ritschard gibt sich ganz seriös und cheflike bei den Besprechungen der Polizei – abgesehen von dem richtig schlechten Witz gegenüber Flückiger (Wer hat diesen Dialog bitte verbrochen?). Zudem zeigt sie sich sportlich und hüpft über Brüstungen, bei welchen der Journalist sich schon das Genick gebrochen hätte. Ansonsten bleibt sie in diesem Tatort etwas farblos.

Stefan Gubser als Reto Flückiger darf diesmal ein bisschen rummachen – mit schlechtem Gewissen und einer etwas blassen Dame zwar, aber immerhin. Beeindruckend ist seine Standhaftigkeit gegenüber dem stark beschleunigten Profikiller und sein Jackie-Chan-Fusstritt. Mehr davon bitte.

Joel Basman als unschuldiger Nurali Balsiger überzeugt wie erwartet auf ganzer Linie. So auch seine härzige Ehefrau, gespielt von Magdalena Neuhaus.

Jevgenij Sitochin ist als böser Onkel Abaev beziehungsweise Achmadova die perfekte Besetzung. Man schwankt zwischen Mitleid, Wut und Hilflosigkeit. Dass man bis zum Schluss nicht wirklich weiss, ob er tatsächlich ein Kriegsverbrecher, ein Terrorist oder ein Held war, passt. Und es scheint, als wäre die Unterscheidung in seiner Welt auch nur eine rein subjektive. Denn: «Es war Krieg. – Es ist immer noch Krieg.»

Johanna Bantzer hat als Exfreundin des zu Tode gestürzten Journalisten nur einen kurzen, aber dafür sehr überzeugenden Auftritt.

Die tschetschenische Klischee-Wohnung in Emmen.

Die tschetschenische Klischee-Wohnung in Emmen.

(Bild: SRF/Daniel Winkler)

Herausgehoben

Highlight: Die verzweifelte Verarztung und «Annäherung» von Onkel und Neffe im kahlen Industriegebiet. Die Bilder, der Text, die schauspielerische Leistung in dieser Szene sind durchs Band grossartig.

Jesses: Welche Frau rastet denn derart wegen Koliken aus? Dass die Kommissare hier nicht skeptisch werden?

Ganz nett: Der Agglo-Tatort – Ein grosser Teil dieses Tatorts spielt abseits der bekannten Luzerner Plätze in der Innenstadt. So kann man auch mal die Bilder geniessen, ohne ständig zu denken: Ach, das kenne ich! Ach, Luzern ist schon schön!

Der Aufreger: Wenn man gern Elektro-DJ werden möchte, dann sollte man seine ersten Schritte vielleicht besser an einem betrunkenen Club-Publikum testen – und nicht unbedingt in einem Tatort. Musste beinahe den Fernseher auf stumm schalten bei der seltsamen musikalischen Untermalung.

Guuuut: Der schicke tschetschenische Profikiller ist schlichtweg schön anzuschauen.

Warum nur: … haben die Requisiteure die Klischee-Keule ausgepackt? Da sitzt der böse russische Onkel verletzt in seinem Versteck – auf einem mit Fell ausgekleideten Sessel mit einer Maschinenpistole im Schoss. Wie passend. Und natürlich läuft seine Ex-Frau in Emmenbrücke rum, als hätte sie sich mottogerecht im russischen Dorfladen der 50er-Jahre eingekleidet.

Unrealistisch: Schusswunde? Fragen Sie Ihren Apotheker. Das ist nun wirklich eine mässig intelligente Idee.

Gute Idee: Zur Informationsbeschaffung am Telefon Sirenengeheul abspielen.

Schlechte Idee: Sex für Transportdienstleistungen anbieten. Ach – und Affären.

 

Note für den Film (von 1 bis 6): 4

Note für Kommissar Flückiger: 5

Note für Kommissarin Ritschard: 4

Gedanke zum Schluss: Hat Flückiger eigentlich sein Boot verkauft, um die Hotelrechnungen zu berappen?

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